Donnernd verbreitete sich das Gerücht: Von Westen rückten dunkle Wolken heran. Immer dieses Wetter, dachte ich. Es brachte Unruhe in den Tag. Erst die Schuld und dann das Wetter. Manche nannten es die Eleganz der Tatsachen; hatte nicht sogar Helen so etwas geschrieben, war es nicht eines ihrer berühmten Bonmots aus einem ihrer berühmten Romane, mit denen sie sich gegen jede Art von Missmut wappnete (oder hieß es besser verwahrte?), mochte dieser nun vom Wetter oder einer anderen atmosphärischen Störung herrühren? Lebenshilfe, Humbug, Helen. Allein, was nützte es.
Ich klappte das Buch zu und rollte die Wolldecke zusammen. Erste Blitze zuckten; es begann zu tröpfeln. Ich sah Helen über den Rasen eilen, einen Schirm in der Hand. „Das Buch! Das Buch!“, schrie sie. Ja, dachte ich, das schöne Buch. Helen riss es mir aus der Hand. Ich sah den giftgrün leuchtenden Schutzumschlag mit den großen schwarzen Lettern: Helen Markovitz, Mein Leben ohne Max. Dass mit solchem Schund Geld zu machen war, verstörte mich. Aber so vieles im Leben war verstörend. Helen zum Beispiel. Sie war unverändert, ätherisch, obwohl die giftgrüne Schwarte bisher einhundertausendmal verkloppt worden war.
„Verkauft“, hörte ich Helen sagen, die jetzt neben mir stand. „Es heißt verkauft, meinetwegen verramscht, verhökert. Kommst du jetzt, Max?“ Mittlerweile schüttete es wie aus Kannen. Das Buch war sicher verstaut, wie es schien. Ein mitgebrachtes Etwas umschloss es. Ja, Helen ging auf Nummer Sicher. „Eine Plastiktüte!“ Ich musste lachen. „Du benutzt Plastiktüten! Mein Gott, Helen!“ Fast tat sie mir leid.
Übermütig entwischte ich ihr, rannte über den Rasen Richtung Haus, drehte ab, stürzte und suhlte mich im Dreck. Helen wartete unter dem Regenschirm, kopfschüttelnd. „Wie weit bist du?“, wollte sie wissen. Sie schrie aus Leibeskräften; nur mit Mühe verstand ich sie durch die Wasserwand. „Karamasow ist gerade abgenibbelt“, rief ich, noch liegend. Das verdross sie. „Ermordet, zu Tode gekommen, verschieden, heimgefahren. Und das falsche Buch, Max. Oder meinst du Korsakow?“
Von wegen Korsakow, du Schnepfe, dachte ich und erhob mich. War den Menschen denn gar nichts mehr heilig? Ihr Leben ohne Max. Mein Leben ohne ihr Leben ohne Max. Bitte schön. Es war längst geschehen. Zeit für Dosto. Ein Gigant bei jedem Wetter. Hoffentlich hielt der Umschlag, sonst – ja, was sonst, was schon? Ich schlug den Dreck ab und begrüßte die Sonne.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2023.
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