Tobi Prel

Beifang

“Ein Weib segelt auf See allein, bald wird ihr’s ein Geisterschiff sein.” Doch Ariola war nicht wie jede andere Frau. Sie war Stur, wie die See selbst und hatte mindestens genauso viel Kraft in sich wie die Wellen, die in der Brandung brachen. Vor allem aber scherte sie sich meistens nicht um das leere Gerede der Dorfweiber. Doch dieses eine Mal hatte sie ihre Worte für bare Münze genommen, nur dieses eine Mal entschied sich Ariola den Gebrabbel der Dorfweiber Glauben zu schenken. Sie konnte nicht anders, es war die einzige Möglichkeit. 

“Fischen, auf der See, einen Monat lang, dann bekommst du was du erhoffst, doch erst vier mikrige und dann ein dicker Fang!” Es stürmte ob hell oder dunkel, die Wellen schlugen heftig gegen den Bug, wieder und wieder. Die Kälte zerrüttete nachts jegliches Wohlbehagen, der Regen fiel endlos auf die Frau und ihren Kahn, er lies nie nach, niemals. Feuchter Graus und der Hunger quälte sie jede Stunde ein wenig mehr. Doch nach ein paar Tagen fand sich etwas in ihrem Netz wieder - der Verkümmerte. Ein handgroßes knochenloses Flossentier, abscheulich anzusehen. Kaum der Rede eines Fischers wert, vor allem, zu wenig, um davon satt zu werden. So warf sie ihn zurück in die See.

“Wenn Sturm war, war er so liebevoll gewesen, die Fische bissen, doch bei heiterem Wetter konnte er zum Ungetüm werden, es zählte jedes Netz, nur der Fang.” Weitere Tage vergingen, dann fand sich wieder etwas in dem Ariola’s Netz - der Zackige. Ein schmales knorriges Fischwesen von verzerrter Statur, mit spitzen Enden überall. Seine Zähne besorgten sie, da diese scharf und zahlreich waren. Sie befürchtete sich zu verletzen, nur wenn sie ihn striff. Welch sonderlich Kreatur? Auch ihn warf sie zurück in die See.

Der salzige Geruch der Seeluft wurde immer schlimmer, kaum noch auszuhalten. Der Hunger wuchs weiter, das Unbehagen ebenso. Sie fühlte sich schon lange nicht mehr wohl. Das Glitzern des Leuchtturms zwischen der grauen Nebelsuppe sah verlockend aus. “Halt das sichere Land im Blick, fahr nicht weiter raus, sonst gelangst du nicht zurück.” Einst gesprochene Worte halten in diesen einsamen Momenten durch die Gedanken von Ariola. Doch sie hielt stand, aber wie lange konnte sie dies noch? Die Tage vergingen und dann fand sich wieder etwas im Netz - der Bucklige. Ein schweres, fettes, rundes Meereswesen. War er es endlich? Der, den sie zu Finden suchte? Groß war er, aber nicht so imposant, wieder Volksglaube beschrieb. “In der See wartet etwas Mächtiges, viel größer als du, halte durch, es kommt auf dich zu.” Ariola vermisste es in diesen rauen Momenten ihre Wange an seinen sanften Bart zu drücken und seine liebevollen Umarmungen zu spüren. Der Hunger quälte sie spottend, in ihrem Kopf, doch auch diesen Fisch warf sie zurück in die See.

Es zogen weitere Tage ins Land, Dunkelheit und Helligkeit wechselten sich ab, doch das ungestüme Wetter blieb  und der graue Nebel auch. Dann zog sie erneut etwas mit dem Netz aus der Tiefe des Nass - der Lange. So ein schlankes Tier hatte sie noch nie gesehen. Viele viele Meter lang, größer als ihr Boot und dessen Kopf war noch im Wasser verborgen. Nur ein Stück des Mittelteils lag vor ihr im Netz. Hatte sie eine Schlange aus der Dunkelheit von dort unten herauf gezogen? Es zuckte hin und her und schlug mit seiner Kraft um sich, der Kahn begann zu schaukeln, wie ein Pendel. Er würde dem nicht lange standhalten können. “Hoffnung zieht einen runter, ohne Verstand gehst du beim Einholen unter.” Mit ihrem Messer kappte sie das Netz und warf auch ihn zurück in die See.

Viele Wochen war sie nun unterwegs, unaufhaltsam, wie die Wellen, die sie umgaben. Ihre Augen trugen genauso viel Wasser in sich, wie die See. Seine tiefe Stimme wünschte sich Ariola nun, nur ein paar gesprochenen Worte von ihm, würden sie beruhigen. Doch wie lange musste sie noch ausharren in diesem unwirtlichen, nein qualvollen Ort?
Die Spule des Netzes sprang eines Nachts an und drehte sich, hektisch, schneller und schneller mehr als je zuvor. Etwas großes zog es mit sich, das ganze Boot folgte ihm. Mit aller Müh, holte sie den Fang ein. Etwas fand sich in Ariola’s Netz wieder - endlich, der Deiwel.
Es war ein wundersam Vieh. Seine Haut übersät mit vielen hell leuchtenden Punkten, das ganze Boot war in dessen Schimmer getunkt. Und das Wesen selbst eine unaussprechliche Abscheulichkeit. Es war riesig von orangeroter Farbe, hatte enorme gelbe verrottete Fangzähne in seinem Maul und große finstere Augen, die unruhig hin und her zuckten. Sein Atem stank wiederlich. Ein seltsamer deformierter Fisch. Doch er war es, da war sich Ariola sicher - der Deiwel. Die Dorfweiber hatten tatsächlich recht mit ihrer Geschichte, dieses Mal. Ariola zückte ein Messer aus ihrer Tasche, mit aller Kraft stemmte sie sich gegen das widerwärtige Wasserwesen und drehte es auf die Seite. Dann schnitt sie ihn der Länge nach auf. Seine ekelerregenden Organe platzen hervor und verteilten sich auf den Planken des Decks, begleitet von einem üblen fauligen Geruch. “Wo ist das Herz?” Ariola suchte und suchte in den Eingeweiden, dann fand sie einen großen pulsierenden Muskel. Beide Hände umklammerten ihr Messer und stießen es tief in das Fleisch hinein. Der Fischriese zuckte und jaulte. “Wenn du wirklich der legendäre Deiwel bist, dann habe ich dich bezwungen, nun musst du mir einen Dienst erweisen, bring mir meinen Mann Ulfus zurück.” Die Augen des Viehs leuchteten zusammen mit den Punkten auf seiner Haut in einem strahlend hellen Weiß auf. Sein ganzer Rumpf zappelte hin und her, einen Moment lang, gefolgt von einem erleichterten Stöhnen. Dann trat die Dunkelheit ein und die Stille. Der Regen peitschte gegen den schuppigen Kadaver, der zum Erliegen gekommen war, kein Zucken, kein Muks mehr. Der Sturm allerdings warf das Boot zwischen seinen Wellen hin und her. Die Blicke von Ariola musterten ungeduldig die Umgebung und den mächtigen Fisch. Nichts, überhaupt nichts geschah. Die Überreste des Fischwesens rutschten langsam durch die Erschütterung des Wetters in Richtung der See, bis sie schließlich den Kahn verließen und hineinfielen. Dann war er wieder verschwunden. Ariola sackte zusammen, sie wischte sich die Tränen aus den Augen und hielt einen Augenblick lang inne, dann musterte sie entschlossen den Horizont. Das Leuchtfeuers des Turmes war am Horizont nur noch klein zu sehen. Sie raffte sich auf und setzte Kurs dorthin.

Das Boot bewegte sich langsam auf die Ferne zu und wurde in den Wassermassen kleiner und kleiner. Endlich klarte auch das Wetter auf, die Sicht wurde besser, doch der Nebel machte sich wieder breit und umgab alles weit und breit. Hindurch flackerte zaghaft ein zweites Licht auf und wurde immer heller und heller, direkt auf dem Kahn an der Seite von Ariola und … legte liebevoll seine Arme um sie.


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.08.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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