Klaus Mattes
Ideen&Sex 2/6 - Niklas Luhmanns Aufnahmefähigkeit
Obzwar ich Niklas Luhmann nicht kenne, Luhmann, wer ist das?, zumindest genoss ich keine privaten Audienzen, auch als ganz junger Mensch damals nicht, gehe ich davon aus, dass Niklas Luhmann sich als Hochschullehrer nicht überarbeitet und ausgeburnt hatte oder überempfindlich geworden war bis zur Asozialität und Ungenussbarkeit, sondern es scheint eher, als hätte des Luhmanns spezifische Charaktereigentümlichkeit darin bestanden, alles um sich her, insbesondere das Kommunizieren unter den ihm wesensfremden Menschen ständig zu registrieren und zu reflektieren und in „Ergebnisse“ zu transformieren. Das ging so weit, dass er eines Nachmittags auch noch den banalen Alltagskonversationen japanischer Europatouristen unauffällig lauschen musste, um selbst diese zu „erforschen“ und im Geiste schon mal die Grundzüge der Kapitelaufteilung seines kommenden Werkes vorzunehmen. Genau darin scheint die wahre und wirklich überragende Größe von Niklas Luhmann, dem besten deutschen Soziologen des letzten Jahrhunderts, gelegen zu haben, dass er alles, aber wirklich alles bemerkte und ihm nichts, aber auch nichts, jemals entging. Andererseits wuchs sich das zu einem riesigen Problem für ihn persönlich und als Privatperson aus. Selbst im verschlafensten Schienentriebfahrzeug der seinerzeit noch halbwegs zuverlässigen Deutschen Bundesbahn konnte er sich nicht eine Sekunde gehen lassen und entspannen. Erst nachdem er alle Wagen, die er, weil es sich um zusammengekoppelte Triebwagenfahrzuge handelte, nur während der kurzen Aufenthalte in menschenleeren Heide-Stationen wechseln konnte, in Augenschein genommen und abgelauscht hatte, fand er einen halbwegs zumutbaren Sitzplatz, von dem aus er einer schräg gegenüber in Fahrtrichtung sitzenden mittelalten blonden Dame während ihres Lesens eines Taschenbuchs, auf dem „Das Superweib“stand, beim Denken zusehen konnte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.08.2023.
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