Francois Loeb

DER SCHRÄGE VOGEL

Einem schrägen Vogel begegnen? Ganz einfach: Die neueste Wochengeschichte aus meiner Feder hier lesen!

DER SCHRÄGE VOGEL

Ah, was gibt es auf dieser Erde – selbst in unserem Einzugsgebiet – alles für Kostgänger! So ist es nicht erstaunlich, dass der in der Lokalzeitung ausgeschriebene, geführte Tagesausflug mit dem Titel ‚BESUCH DER SCHRÄGEN VÖGEL‘ innert Tagesfrist vollständig ausverkauft ist. Es bestehe bereits eine Warteliste von 13 Personen, antwortet mir der Redaktionssekretär auf meine telefonische Anfrage, die ich mir mit einem halbstündigen Warteschleifentango teuer erkauft habe.

Glücklicherweise war ich einer der Ersten, der gebucht hatte, doch meine Freundin, die auch dabei sein wollte, sich jedoch nicht sofort entscheiden konnte, blickte nun in ein ‚Black Hole‘, in ein schwarzes Loch, wie sie sich ausdrückte. Ich versprach ihr aber, über den Ausflug Sekunde für Sekunde über WhatsApp zu berichten und dazu zahllose Bilder dieser aus dem normalen Lebenskarussell abgesprungenen Menschen zu übermitteln. Meinen Platz aber wollte ich trotz ihrer herzerweichenden Bitten nicht abtreten, denn ich erhoffte mir von den Erkenntnissen Aufschlüsse für mein kommendes Leben, war doch einer meiner Wachträume, genau einen solchen Sprung zu wagen.

In der Nacht vor dem geführten Ausflug schlafe ich schlecht. Wirre Träume befallen mein Hirn. Ich sehe mich bereits am Samstag als schräger Vogel am Wochenmarkt vor dem Münster, unter einer Kastanie sitzend. Eine Flasche Rotwein um 07.30 morgens als Banknachbar neben mir, auf Leerung hoffend. Ich beobachte Menschen. Alles Frühaufsteher, die mit den Marktbeschickern schäkern, wie ich das so gern unternehmen möchte. Als 'NIEMAND', als Schräger bleibe ich unbeachtet, obwohl ein schicker, befiederter Hut meinen kahlen Schädel ziert. Unter dem, das weiss glücklicherweise niemand, mein ganzes Vermögen lagert. Die Auszahlung meiner angesparten gefakten Lebensversicherung in Millionenhöhe. Leider in 15 Millionenscheinen des Thüringer Notgelds aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Mit gewaltigem Schrecken und schweissgebadet wache ich auf und konsultiere sogleich meinen Bankauszug, der mich mit der beachtlichen Beamtenrentenzahlung augenblicklich beruhigt. Am Horizont erscheint bereits der erste Schimmer der 'aube', wie die französische Sprache so poetisch die Morgendämmerung beschreibt. Lohnt sich nicht mehr, unter die Decke zu kriechen. Leiste mir ein ausgedehntes Frühstück samt einem der Stimmung entsprechenden, verlorenen Ei, das fachgerecht zuzubereiten nicht einfach ist. Gut genährt ist der halbe Erfolg dieses Ausflugs. Denn fremde Hungergefühle dürfen keineswegs diejenigen stören, die wir zur Betrachtung auf poliertem Silbertablett kredenzt bekommen werden.

Frage mich, ob es moralisch vertretbar ist, an einer solchen ‚SCHRÄGEN VOGELFAHRT‘ teilzunehmen. Doch wenn eine solche angeboten wird, liegt die Verantwortung nicht bei mir. Nein, klarerweise bei den Veranstaltern, die ja damit einen vollen Erfolg zu verbuchen wissen. Mache mich auf Schusters Rappen auf den Weg zum Busbahnhof. Der Reisebus steht bereits bereit. Als Früheinsteiger – die Abfahrtszeit ist in 90 Minuten – habe ich freie Platzwahl. Setze mich ganz vorne hin, damit ich die beste Aussicht habe und die schrägen Vögel einzeln besser betrachten kann. Selbstverständlich ohne mich an deren Schicksal zu laben, vielmehr, um sie intensiver bemitleiden zu können. Bin doch ein überzeugter Humanist. Der Bus füllt sich nach und nach. Neidische Blicke meines besten Sitzplatzes wegen erreichen mich. Endlich fahren wir los. Der Fahrer stellt sich höflich vor. Begrüsst uns alle herzlichst. Hat eine sonore Stimme, die ihn für mich Sympathiepunkte gewinnen lässt. Betont, dass die Fahrt ins Blaue gehe. Könne deshalb über die Route keine Auskunft geben. Bin gespannt, welche Städte wir besuchen werden. Wo sich am meisten schräge Vögel finden lassen. Bin erstaunt, dass wir bergwärts fahren. Grossstädte finden sich da nicht. Doch die Organisatoren werden wissen, wo sich die entsprechenden Ziele befinden.

Jetzt geht die Fahrt durch einen Wald. Holprige Strassen. Waldwege eher. Der Fahrer gibt über sein Mikrofon bekannt, dass uns gleich der Wildhüter des Waldbezirks empfangen wird. Ich frage mich, was dieser mit unserem Tagesausflug zu tun haben kann. Lasse mich aber gerne überraschen. Hat die neue Regierung alle schrägen Vögel ausgelagert? Hatten ja erst kürzlich Neuwahlen, die sehr überraschend ausgefallen sind. Der Bus hält in einer Waldlichtung.
Dort erwartet uns der Forstbeamte mit einer Feder auf dem Hut, ganz wie in meinem Traum. Beginnt, als wir alle im Kreis um ihn geschart sind, mit seiner Erklärung, auf die ich so gespannt bin: „Ich bitte Sie alle um absolutes Silentium! Nur so werden wir die seltene, hoch geschützte Art des schrägen Vogels, seine schräge Art des Fliegens beobachten können. Es gibt hier nur noch 5 zertifizierte Exemplare. Eine ornithologische Rarität, die wir wertzuschätzen haben. Für deren Besichtigung sich ein Tagesausflug, wie Sie ihn als Vogelwelt-Begeisterte unternehmen, mehr als lohnt!“



Und als Bonus ein weiterer DREISATZROMAN aus meiner Feder:

S C H R Ä G

Schräg hängt der Berg
Verhalten gehalten vom Nagel
Der den Lebensrahmen sanft entrahmt.

Weil Rahm allein nicht hält den stummen Rahmen
Zu gross die Angst des vorzeitigen Versamens
Das der Nagelwelt vergittern wird die Sicht.

Nicht mehr erpicht zerbricht der Hammer
Jetzt hält ein einsam schräger Nagel
Ohne einstürzend Turm zu Babel
Unser skurriles Weltenzelt.


Herzlichst
François Loeb

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.09.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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