Hajo Schindler

Belastender Sieg

Wir leben in einer Zeit, in der es drunter und drüber geht. Zeitenwende eben. Es gibt wenig Anlass, unbeschwert und fröhlich zu sein. Ich will jetzt nicht schon wieder auf die unsäglichen Krisen auf unserem Planeten zu sprechen kommen. Aber eins ist mir wichtig zu sagen: Hansi Flick ist nicht mehr unser Fußball-Bundestrainer. Die Messe ist gelesen. Traurig, traurig, weil er eklatante Fehler bei der WM in Katar und auch danach gemacht hat, wurde ihm der Trainerstuhl unterm Hintern weggezogen.

Eine ungewöhnliche Motivationsstrategie sollte unsere National-Kicker bei der WM beflügeln. Ein Video über den "Flug der Graugänse" zeigten Bundestrainer Hansi Flick und der Teampsychologe Hans-Dieter Hermann den Spielern am Vorabend der Auftakt-Niederlage bei der WM 2022 gegen Japan (1:2).

Lasst uns von den Gänsen lernen und gemeinsam unseren großen Flug machen!", steht am Beginn des Filmchens, aus dem schließlich Turnier-Leitsätze entwickelt werden, wie zum Beispiel: "Wir geben uns gegenseitig Aufwind." Flick referiert dazu über den Zusammenhalt und den Schutz, den sich die Tiere gegenseitig bieten. Hansi hätte wissen müssen, dass dies nur ein ablehnendes, zwar nicht direkt sichtbares Kopfschütteln bei der Mannschaft auslöste, also ein Muster ohne Wert war.

Mein Tipp: Wenn schon Tiere als Motivationsfaktor herangezogen werden, wäre ein Film über das aggressive Verhalten von Piranhas oder Zecken bestimmt zielführender gewesen. Schwamm drüber, hinterher ist man immer schlauer.

Und jetzt, neun Monate nach der WM eine erneute Niederlage gegen Japan. 1:4 hieß es am Ende des Freundschaftsspiels in Wolfsburg zwischen Deutschland und Japan. Ach du dickes Ei, eine Demütigung ohne Gleichen. Wäre Rudi in dem Spiel schon Teamchef gewesen, da bin ich mir sicher, hätte er sich kurz vor Ende der Spielzeit selbst eingewechselt, um zumindest ein Unentschieden zu erreichen.

Dunkle Wolken zogen am Horizont auf und es gab ein tosendes mediales Gewitter. Was erregt deutsche Gemüter mehr als eine Niederlage der Fußball-Nationalmannschaft? Ein Neubeginn muss her.

Rudi Völler übernehmen Sie, rief die völlig am Boden liegende Fußballnation Deutschland. Und der Rudi ließ sich nicht lange heißen, übernahm die Verantwortung im Spiel gegen den Vizeweltmeister, die Equipe Tricolor (Frankreich). Er schaffte es in nicht mal 48 Stunden, die von Fußball-Alleskönner Mario Basler als blinde Kicker abgekanzelten Spieler aus dem verlorenen Japan Spiel sehend zu machen und verstand es, den matt, lahm, kraftlos, lustlos wirkenden Fußballern neues Leben einzuhauchen. Dem Himmel sei dank. Rudi der Messias. Halleluja.

Nach dem 2:1 Sieg kannte die Euphorie bei den Fans keine Grenzen und alle stimmten das Lied an: Es gibt nur einen Rudi Völler. Unser Rudi wird groß wertgeschätzt, sogar zum Verbleib aufgefordert, obwohl er doch nur dieses eine Spiel coachen will.

Also liebe Freunde, vielleicht sollte ich liebe Fans der Fußball-National-Mannschaft sagen, jetzt aber mal sachlich bleiben, Füße auf dem Boden lassen, Ruhe bewahren und Butter bei die Fische.

Wollt ihr, dass der Rudi sich das wirklich antut? Erinnert Euch, wie unser aller Rudi in den 90 Minuten des Spiels ausgesehen hat. Ich habe mir in dieser Zeit Sorgen um ihn gemacht. Erschöpfung im Gesicht, müde Augen, die Haare von Schweiß und Regen durchnässt. Ohnehin ist es meines Erachtens eine groteske Verdrehung der Tatsachen, zu glauben, der Sieg gegen die Les Bleus sei allein „Tante Käthe“, so der Spitzname von unserem Rudi, zu verdanken.

Sorry, wer das glaubt, der glaubt auch, dass die neugeborenen Babys vom Klapperstorch gebracht werden.

Rudi will aber trotz des Erfolges nicht weitermachen. Okay. Leute, was ich jetzt schreibe, könnte einen Shitstorm in der Leserschaft auslösen und DFB-Vizepräsident Aki Watzke, wenn er davon erfährt, erteilt mir womöglich ein Stadionverbot für alle Länderspiele auf Lebenszeit. Egal! Ich als einer von 83 Millionen Fußball-Trainern stelle die steile These auf und behauptete: Tante Käthe - Rudi Völler - passt so gar nicht in das Anforderungsprofil des DFB. „Vorturner“ Bernd Neuendorf - DFB Präsident – sagte bei der Jubiläumsfeier „60 Jahre Bundesliga“ im Berliner Tempodrom: Wir haben klare Vorstellungen. Der Wunschkandidat müsse jemand sein, der durchsetzungsstark, der auch robust und belastbar ist.“

Also: Auf Rudi Völler passt meiner Meinung dieses Anforderungsprofil nur bedingt. Denn im Sportteil meiner Tageszeitung stand in großen Lettern:

Erschöpfter Völler gönnt sich „Auszeit“. Ein sichtlich erschöpfter Rudi Völler belohnte sich nach seinem magisch anmutenden Teamchef-Comeback selbst. „Ich bin ehrlich, ich nehme mir eine kleine Auszeit, sagte der 63-jährige nach dem 2:1 gegen Frankreich. (Ruhr-Nachrichten 14.9.)

Das gab mir zu denken. Unser aller Rudi ist schon nach knapp 48 Stunden im Amt erschöpft? Er hat sich müde geschuftet, schoss es durch meinen Kopf. Also: Belastbar? Da kann ich nur die Note Ungenügend vergeben.

Gestatten Sie mir dazu einen kleinen Exkurs. In der Politik werden Stimmen lauf, die Lebensarbeitszeit von 67 auf 69-70 Jahre anzuheben, bevor man in den Ruhestand ohne Abschläge gehen kann. Dachdecker, Autobahn-/Straßen-/Brücken-/, Gerüstbauer, usw., die bei unerträglichen Temperaturen draußen arbeiten müssen, sollen bis zum 70-Lebensjahr beruflich tätig sein. Oh, Oh, Oh!

Au weiha, herjemine. Ist das nicht alles traurig.

Hoffen wir zusammen, dass sich alles zum Guten wendet. Gehet hin in Frieden und lasst uns zusammen beten, dass unsere einst glorreiche Fußballnation wieder aufersteht und zu alter Stärke findet.

So sei es.

Übrigens: Meine Frau ist sowieso der festen Überzeugung, dass ich mit meinen fußballerischen Weisheiten den besten Bundestrainer aller Zeiten abgeben würde. Sicher, auch ich bin von mir überzeugt, hege keinen Zweifel daran, aber ich denke, es wird mir so ergehen wie von Max Rabe in einem Lied besungen: Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich (…).

Eigentlich schade!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.09.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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