Der Räuber war es, kein anderer,
der Omas Kreuz vom Friedhof stahl,
im Wert von fünfzehn Euro.
Es war aus Fichtenholz und farblos lackiert,
darauf war eine kleine Tafel
mit Namen und Daten montiert.
+
Er ist ein fanatischer Kreuzverehrer,
der sein Anwesen mit lauter Kreuzen verziert,
um vor Jesus‘ und Gottes Augen,
sowie vor dem Gesetz,
sich Narrenfreiheit zu erringen,
indem er vortäuscht, ein gläubiger Christ zu sein.
Bei meinem nächsten Nachbarn,
hab ich Omas Kreuz wieder gesichtet.
+
Als meine Mutter Jahre später im Krankenhaus
im Sterben lag, besorgte ich einen Rosenkranz
aus schwarzem Halbedelstein im Dom in Gurk,
den ich dort von einem Priester mit Weihwasser segnen ließ.
Ich wollte ihr den Rosenkranz mitgeben.
+
Der Nachbar hat ihn aus dem Haus geklaut,
ich konnte ihn meiner Mutter nicht mehr um die Hände legen.
Es ist bitter, es ist traurig, was braucht ein Räuber,
der sich weder an die Religion hält, noch Gott verehrt,
einen wertvollen Trauer-Rosenkranz?
+
Darüber hinaus stahl er auch in 2009
die von meiner Oma in ihren jungen Jahren bestickten Tücher,
die ich für die Aufbahrung meiner Mutter gebraucht hätte,
es war ein - nach alter Sitte - selbst gemachtes Trauer-Set
von mehreren großen und kleinen weißen Baunwolltüchern,
bunt bestickt mit Engeln, Kerzen, Blumen und Sprüchen:
„Von der Erde gegangen, im Herzen geblieben.“
„Wenn Herz und Auge bricht, oh Herr verlass mich nicht!“
Auch andere Sprüche, an die ich mich jetzt weniger erinnere.
+
Hat ihm der Diebstahl Glück gebracht?
Erst starb sein Vater, dann seine ältere Schwester,
dann gingen seine Mutter und sein jüngerer Bruder;
und in der Warteschleife steht sein jüngster Sohn,
der schon längere Zeit ein Pflegefall ist.
Nur vier Jahre nach meiner Mutter verstarb die alte Räubermutter;
ich mutmaße, dass er meinen schwarzen Halbedelstein-Rosenkranz
in die Hände seiner Mutter gelegt hat,
sofern er nicht heute noch in seinem Besitz ist.
Ich denke oft darüber nach,
warum seine Angehörigen so früh versterben,
insbesondere, seit ich mehrmals vergiftet worden war,
und er lebt und raubt und stiehlt und plündert immer noch,
und hülle meine Gedanken in Schweigen.
© Brigitte Waldner
Foto folgt, falls ich ein brauchbares finde.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.09.2023.
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