Es war an einem kalten Februarabend, als wieder jenes erschreckende
Wolfsgeheul aus Richtung des Zeller Friedhofs über dem Wiesengrund der
Gemarkung Zell an der Mümling erklang, das schon Wochen zuvor die Anwohner
der kleinen Odenwaldgemeinde in Schrecken versetzt hatte. Zwar klang es an diesem
späten Abend nicht ganz so laut wie zuvor, aber es klang so erbärmlich
und klagend, dass es einem jeden, der es hörte, eine Gänsehaut
über den Rücken jagte.
Als die alte Frau Wagner mit
ihrer gerade erst sechs Jahre alten Enkelin am Vormittag des nächsten
Tages auf den Friedhof ging, um dem verstorbenen Mann zu seinem Sterbetag einen
kleinen Kranz mit roten und weißen Kunststoffblümchen aufs Grab zu
legen, traute sie ihren Augen nicht.
Auf dem noch relativ
frischen Grab des erst vor Wochen verstorbenen Polizeiinspektors Werner Koch lag,
in eine tiefe Kuhle eingebettet, der Kadaver seines wohl in der frostkalten Nacht
verendeten Hundes.
Frau Wagner dachte anfangs, dass der Hund
hier schlafen würde, als sie ihn so in der gebuddelten Erdkuhle liegen sah.
Da sich aber auf dem Teil des Fells des goldbraunen Mischlings, der nicht vom
kleinen Wachholderstrauch geschützt war, eine dünne Schneeschicht
gebildet hatte, erkannte sie, dass das Tier verendet war. Vorsichtshalber
warf sie mit einem energischen „Mach dich fort!“ einen kleinen
Kieselstein nach dem Hund, aber der rührte sich nicht mehr.
„Mein Gott“, seufzte die Alte, „jetzt seid ihr beide
wieder zusammen, wer hätte das geglaubt?“
Die kleine Anja, die sich vorsichtshalber hinter die Oma gestellt
hatte, lugte nun neugierig hinter dem weiten Rock hervor und fragte:
„Du, Oma, ist das nicht Berry?“
„Ja, ich
kannte ihn gut, das war Berry, der Hund vom alten Koch, der Anfang Januar
verstorben ist.
„War das auch Berry, der gestern Abend so
jämmerlich gejault hat?
„Ich glaube schon, er
konnte jaulen wie ein Wolf. Ich glaube, er ist über den Tod seines
Herrchens nicht hinweggekommen und wollte dort sein, wo jetzt auch sein Herrchen
ist.“
Das Kind heulte nun auch wie ein Schlosshund,
nicht so laut aber doch auch herzergreifend. Oft genug war sie dem Berry oben am
Heubergweg begegnet, wenn sie mit ihren Freundinnen und ihre
Dalmatinerhündin Diana am Heuberg spazieren gingen. „Diana wird
auch traurig sein“, schluchzte die Kleine, „wenn Berry jetzt nicht
mehr mit ihr spielen kann.“
Neugierig ging sie auf den
auf dem Grab des Herrn Koch liegenden toten Hund zu und fuhr im liebevoll wie zum
Abschied über das nasse Fell.
„Oma, guck doch mal,
wie mager der Berry geworden ist, man kann ja jede Rippe einzeln
fühlen.“
„Komm, Anja, lass den Hund nun in
Ruhe, er ist tot, und wer weiß, was der in letzter Zeit alles durchgemacht
hat.“
Immer wieder drehte sich das Mädchen nach
dem Grab des Herrn Koch um, wollte sie doch sicher sein, dass der kleine
Tannenzweig, den sie mit Billigung der Oma über den toten Berry gelegt
hatte, dort auch noch lag, als sie den Friedhof wieder verließen.
Auch zuhause bei Wagners und bald auch im ganzen Dorf war der Tod des
Hundes auf dem Grab seines Herrchens das alles beherrschende Thema. Selbst jene
Zeller Bürger, die sich am Abend zuvor noch über das wolfsähnliche
Jaulen im Friedhofswald ärgerlich aufgeregt hatten, sprachen nun voller
Achtung von diesem Hund, den fast jeder von ihnen gut gekannt hatte.
Am Besten hatte ihn wohl der alte Scharmann gekannt, der mit dem
verstorbenen Zollinspektor i. R. Werner Koch über viele Jahrzehnte in
enger Freundschaft gelebt hatte, und so war es auch nicht verwunderlich, dass es
Herr Scharmann war, der am Abend am Stammtisch mit seinen Erzählungen aus
dem Leben dieses Hundes größte Aufmerksamkeit erlebte.
„Ja“, so begann Herr Scharmann, „nachdem sein
abendliches Glas Dornfelder vor ihm abgestellt war, „ja, das war schon ein
besonderer Hund, dieser Berry. Ich glaube, so ein inniges Verhältnis
zwischen Mensch und Tier habe ich zuvor in meinem Leben noch nie erlebt. Wenn ich
euch erzählen würde, was mein Freund Werner Koch mir alles für
Erlebnisse mit seinem Berry erzählt hat, ihr würdet es nicht
glauben.“
„Erzähl doch“, drängten
nun die anderen am Stammtisch, „erzähl doch, was du weißt, aber
tisch uns keine Märchen auf!“
„Nein, Märchen
erzähl ich euch wirklich nicht, zumindest möchte ich glauben, dass es
wahr ist, was mir Werner erzählt hat, und das war kein Blender.“
„Ja, dann erzähl doch. War der Hund nicht früher
auch für den Zolldienst abgerichtet?“ „Ja, das stimmt, der
Berry hatte eine besondere Begabung, die Werner sehr früh erkannte. Es
begann eigentlich im Sommer vor etwa zehn Jahren.
Werner und
ich waren unten am Ufer der Mümling auf dem Weg zum Kurpark, als uns das
aufgeregte Schreien eines Jungen darauf aufmerksam machte, dass ein kleines
Mädchen in die Mümling gefallen war. Noch ehe wir richtig begriffen,
was da geschehen war, sahen wir, wie Berry mit einem Satz ins Wasser sprang, sich
das Kind schnappte, und es sicher wieder ans Ufer schleppte. Hier konnten wir uns
um das Kind kümmern, das dank Berry damals nicht zu Schaden kam. Vielleicht
kann sich der eine oder andere von euch noch an die Geschichte erinnern, sie
stand groß und breit im Blättchen. Ja, ich glaube, das Echo hat auch
darüber mit einem großen Bild berichtet, das der Reporter vom Berry
gemacht hat. Das war schon eine brave Leistung von dem Tier. Das war schon eine
brave Leistung von dem Tier. Der Berry hatte aber eine Kraft, die war nicht von
schlechten Eltern. Wisst ihr noch, was der als mal für starke Hölzer
durch den Wald geschleppt hat? Und
wie der jeden Rüden aufs Kreuz gelegt hat, der ihm sein Revier am Heuberg
streitig machen wollte. Ich hab es selbst mal miterlebt, wie er Rudis
großen Hund den Abhang runter geschaufelt hat. Das hättet ihr mal
sehen müssen. Andererseits war er zahm wie ein Lamm, der spielte mit
sogar mit Katzen, aber wehe, es tauchte ein Rüde auf!
Und dann
später, als der Werner ein Praktikum beim Schweizer Polizeidienst absolviert
hatte. Damals wurde Berry richtig ausgebildet und bestand alle Prüfungen mit
Bravour! Ja, ich weiß noch wie heute, als der Werner mir
erzählte, wie Berry ihm im Hochgebirge von Graubünden das Leben gleich
zweimal gerettet hatte.“
„Was, sein Hund hat dem Koch
das Leben gerettet? Wie ging denn das zu?“ fragte Georg Schrader, der alle
Dinge gerne hinterfragte.
„Das kann ich euch sagen.
Gleich zweimal und beides Mal im Landwassertal bei Davos, und das passierte
folgendermaßen:
Seit einiger Zeit machten Wilddiebe die
Region um das Mittagshorn oberhalb von Kühalptal unsicher, und Werner ging
an diesem Tag ausnahmsweise ohne Begleitung des ihm ansonsten zugeteilten Davoser
Kommissars Ulli Wildhaber auf die Pirsch, um diesen Wilddieben das Handwerk zu
legen. Der Kollege hatte an diesem Morgen arge Zahnschmerzen und war zum Arzt
gegangen.
„Beobachten, aber nur observieren, kannst du ja
auch mal alleine“, hatte er noch gesagt, bevor sich Werner mit Berry auf
die Pirsch machte.
Oben, im Tal vor dem Hochduckan peitschte
ein Schuss. Werner stieg seitlich vom Wasserfall in das Hochtal. Von den
Wilderern war nichts zu sehen. Werner und Berry hatten das Hochplateau durchquert
und waren gerade bei dem für Werner relativ schwierigen Aufstieg nach
Mondstein unterwegs, als er von links verdächtige Geräusche vernahm.
Werner verbarg sich hinter einem großen Felsen am Weg, und auch Berry
erhielt die strikte Anweisung, sich muksmäuschenstill zu verhalten.
„Bleib, Berry!“ hatte Werner damals befohlen und sich selbst
ein Stück weiter an die einzusehende Wegkreuzung geschlichen, um
sicherzugehen, dass der oder die Wilddiebe nicht seitwärts abhauen
würden. Werner war damals wohl nicht umsichtig genug gewesen, denn noch ehe
er selbst zur Dienstwaffe greifen konnte, sah er sich dem Wilderer mit dem Gewehr
im Anschlag gegenüber.
„Na, mei Bursch“, sagte nun
der Wilderer mit tiefe Stimme, „bescht hüt z´früh dusse
gwest! I werd di halt umlege müsse, dass de mi net erwüscht!“ (so
ähnlich hat der wohl gebabbelt) und mit diesen Worten wollte er gerade zum
tödlichen Schuss ansetzen, als Berry lautlos durch die Luft geflogen kam.
Der Hund stieß mit solch einer Wucht gegen den Oberkörper des
völlig überraschten Wilderers, so dass dieser mitsamt seinem Gewehr den
steilen Felsabhang hinunterstürzte. Berry hatte sich zum Glück
noch halten können, fast wäre er selbst mit abgestürzt.
„Was ist mit dem Wilderer geschehen, war er tot?“ fragte
Hans Michel. „das weiß ich nicht, sicher hat es mir der Werner
damals mal erzählt, aber ich habe es vergessen. Bestimmt hatte der sich den
Hals gebrochen. Aber, wer weiß, ohne Berry hätte Werner diese
Begegnung wahrscheinlich nicht überlebt.“
„Das ist ein Ding“ meinte nun Georg wieder, „das hätte ich
dem Hund nicht zugetraut. Aber du sagtest, er hätte dem Werner zweimal
das Leben in der Schweiz gerettet. Was ist beim zweitenmal passiert?“
„Ja, das war eine ganz besonders heikle Situation.
Es war in einem sehr kalten Winter, als die Davoser Polizei von einem
Lawinenabgang im Dischmatal informiert wurde. Alles rückte aus, um zu
retten, was eben noch zu retten war. Seit Wochen hatte es fast ununterbrochen
geschneit und nun, nach einem plötzlichen Föneinbruch, gingen
überall in den Seitentälern des Landwassertals gewaltige Lawinen
herunter.
Wenngleich die Lawinenwarte am Weißfluh schon
seit Tagen vor Lawinenabgängen gewarnt hatte, waren doch viele unbelehrbar
in ihren Häusern verblieben. Ein schon seit vierhundert Jahren von Lawinen
verschontes Gehöft war hoffnungslos unter einer schweren Lawine begraben,
und jede Hilfe kam zu spät. Niedergeschlagen wegen der Hilflosigkeit in
dieser Situation hatten sich die sechs Beamten in einer benachbarten Hütte
zusammengefunden, um das weitere Vorgehen in dieser Nacht zu besprechen.
In diesem Moment näherte sich ein gewaltiges Grollen vom Jakobshorn,
und die Beamten wollten gerade eiligst die Hütte ins Freie verlassen, als
Werner ihnen mit lauter Stimme zuschrie, im Raum zu verbleiben.
Wenngleich Werner diesen Beamten überhaupt nichts zu befehlen
hatte, das stand ihm dienstrangmäßig überhaupt nicht zu,
verharrten alle wie angewurzelt in dem engen Raum. Die Erde bebte, als eine
gewaltige Lawine unmittelbar neben der Hütte niederging. Genau vor dem
Hütteneingang. Keiner der Polizisten hätte diese Stunde überlebt,
wären sie vor der Lawine flüchtend ins Freie gestürzt.
„Ja sagge emol, Werner, warum hasch du do bleibe wolle?“ So
ähnlich fragten sie nach einer Weile der Beruhigung wie aus einem
Mund.
„Weil mein Hund still sitzen geblieben ist, der
hat gewusst, dass uns hier nichts passieren kann!“ Ja, so war das damals,
wie mir der Werner erzählte.“
„Hat dir der
Werner auch erzählt, wie das damals in den Sommerferien in Norddeutschland
war?“ fragte Heinz Gärtner, der, wie die meisten anderen, bis dahin
sprachlos zugehört hatte.
„Ach, du meinst mit der
Autobahn?“
„Ja, genau, da ist doch auch so was
Seltsames passiert.“
„Das stimmt allerdings, das
war das Größte. Stellt euch das einmal bildlich vor:
Werner und Ilse, die lebte damals noch, waren ohne Berry in die Ferien
gefahren. Den Hund hatten sie nach Würzberg in eine Hundepension gegeben und
hatten sich mit ihrem Auto auf den Weg gemacht. Hinter dem Kamener Kreuz kamen
sie in einen so dichten Nebel, dass sie kaum mehr als zehn Meter weit sehen
konnten, was vor ihnen lag. Da sah Ilse plötzlich den Barry neben sich
laufen, den Spazierstock im Maul, den Werner in der Hektik des Aufbruchs daheim
vergessen hatte.
„Du, Werner“, rief sie damals
ihrem Mann zu, „Fahr doch mal rechts ran, unser Berry ist uns mit deinem
Spazierstock nachgelaufen!“ Da Werner gerade in Höhe eines Rastplatzes
war, bog er rechts ab und parkte das Auto. Beide waren damals ausgestiegen, um
nach Berry zu schauen, doch der Hund war nicht da. Werner und Ilse wollten gerade
wieder ihre Fahrt im dichten Nebel fortsetzen, als sie auf der Autobahn das
Ineinanderkrachen vieler Autos hörten. In dieser Nacht, so war später
im Radio zu hören, ereignete sich an dieser Teilstrecke der Autobahn einen
grässliche Massenzusammenstoß vieler Autos, der glücklicherweise
an Ilse und Werner vorbeigegangen war. Wären sie damals nicht auf den
Rastplatz gefahren, hätten sie mit Gewissheit mitten in diesem Schlamassel
gesteckt.
Als Ilse und Werner zwei Wochen später Berry
wieder aus der Hundepension abholten, lag unerklärlicherweise in dem
verschlossenen Zwinger, den Berry während seines Aufenthaltes in der
Hundepension nicht einmal verlassen hatte, Werners Spazierstock.“
„Ja, ja“, lärmten nun die Stammtischbrüder durcheinander,
„was es nicht alles gibt!, das war wohl Berrys Geist, der da durch die
Lüfte sauste?“
„Wer weiß, das kann nur
wissen, wer´s weiß“, sagte Herr Scharmann, „Dichtung oder
Wahrheit, ich weiß es nicht. So jedenfalls haben es Ilse und Werner mir
erzählt.“
„Ich dachte, der Hund wäre
vor zwei Wochen zu Werners Bruder nach Neu-Isenburg gekommen, nachdem sich hier
die Leute beschwert hatten, dass er immer laut heulend um den Friedhof herum
geschlichen war“, fragte Horst.
„Ja, das stimmt,
da war er wohl auch, aber wie ich gestern bei einem Telefonat mit Werners Bruder
erfahren konnte, ist er da ausgebüchst. Man sollte es nicht glauben, der
Zwinger ist dort an einer Stelle mit einem Bauzaun abgegrenzt, so eine Baumatte,
wisst ihr, in der die Stäbe dicht beieinander liegen. Und der hat sich da
durchgeschafft! Fragt mich nicht wie, aber er hat es getan!
Fellbüschel verrieten es, dass der sich durch das enge Gitterloch
durchgezwängt hat, Man möchte es nicht für möglich
halten.“
„Und dann hat der Hund die fast hundert
Kilometer bis hier zu uns allein zurückgefunden? Das grenzt ja auch wieder
fast an ein Wunder!“ sagte Klaus Heilmann.
„Das ist
wohl wahr. Fast zehn Tage hat er gebraucht, und das ohne Futter und Kompass, das
macht ihm so schnell kein Hund nach, das könnt ihr mir glauben. Ich
weiß nicht, wer ihn von euch noch gesehen hat, es war ja fast nichts mehr
von ihm übrig, so war der abgemagert. Ich glaube, seitdem Werner gestorben
ist, hat der Hund nicht einen Bissen mehr zu sich genommen. Der hat sein Herrchen
wirklich geliebt, dass er die Strapazen eines so langen Weges auf sich genommen
hat, um hier auf seinem Grab zu sterben! Ein Mensch wäre dazu nicht
fähig gewesen, man sollte ihm ein Denkmal setzen!“
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Artur Hüttemann).
Der Beitrag wurde von Artur Hüttemann auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.10.2023.
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