Burckhardt Fischer

Von einer Fahrt

Einmal erfasste mich eine große Unruhe.

Ich nahm Kasimir, trug ihn zu meinem Wagen und fuhr los. Ein offenes Cabrio, unbequem, laut zugig. Fürs Reisen ungeeignet.

Kasimir kraulte ich auf meinem Schoß.

In der Grenzkontrolle sprang er mit einem riesen Satz und schmiegte sich in die Falten des Verdecks. Sie, einige Wagen hinter mir und 3 Spuren weiter, geriet weitgehend außer sich ob dieser Katze, rannt hin und her zwischen den Grenzern, den Transportbändern, in denen unsere Pässe ratterten zu Plätzen, zu Häuschen, in den sie gestempelt würden von uns unsichtbaren Personen, nur die Hände sah man durch den kleinen Ausschnitt der Fenster, wenn sie mit den Stempeln niederknallten, unseren Pässe zu füllen.

Sie kam und kraulte die Katze. Es war mir nicht unangenehm, nein, nicht.

Aber die Liebe hielt nicht lang. Die Liebe hält nie lang. Bei mir.

 

Bei meiner Mutter in O. kaufte ich ein, mähte den Rasen, band das Spalier, fuhr zum Markt, zum Grab des Vaters. Ich verabschiedete mich – spät – von Kasimir und fuhr ins nahe Holland. Amsterdam aber ist weit.

Ich suchte die Plätze, die Stätten, die Lokale auf, in denen K. und ich herumgetollt. Die Orte waren da, aber nicht K., nicht ich. Nicht wirklich.

Zum Ende der Tage wählte ich lange. Schließlich wandte ich mich dem französischen Restaurant zu, vielleicht der blauen Tischdecken wegen und des Interieurs, das nicht übertrieben. Ich war der einzige Gast, dem Service machte es sichtlich Freude, mich zu umschmeicheln - 5 Gänge: 3 Bohnen, eine Möhre. Köstlich. Teuer.

Den nächsten Tag, in Den Haag, fand ich das Haus, meinen Traum, das Haus der Häuser, nicht.

Es war Zeit, heimzukehren.

 

Ich lud Kasimir, ich lud Mutter in mein klappriges Cabrio und fuhr sie zum Treffen ihrer Genossen. Eine absonderliche Fuhre, aber sie absolvierte sie in Würde. Seht her: mein Sohn. Kasimir durchstreifte Bederkesa. Der rechten Szene wich er aus.

So weit schon gekommen, fuhr ich weiter zu Bruder L., ans Ende der Welt. Dort, wo der Leuchtturm blinkt. Den Abend, die Nacht waren wir wohl gelitten. Doch des Morgens zogen wir von dannen, eh L.‘s mühsam gehaltene contenance zusammenbrach, da Kasimir den Hof erorbert, und die heimischen Katzen beäugten uns aus sicherer Distanz von Zaunpfosten, dem Rohr am Graben, dem Backhause. Der Lieblingskater geborgen. Ein kleiner Sieg.

Kasimir schmiegte sich in die Falten.

In den Dörfern beäugten uns die Mädchen, kicherten: ein seltsames Gespann.

 

Nach Berlin, noch vor der Grenze, führte seinerzeit eine Straße, die, dreispurig zumeist, mit ihrem häufigeren Spurenwechsel, den kleinen Hügeln, sanften Kurven geeignet war für mein Autochen, in dem man nicht rasen konnte. Eine vergnügliche Fahrt.

Nach einiger Zeit jedoch befiel mich mit einem Schlage eine plötzliche, lähmende Müdigkeit, und mit Anstrengung nur erreichte ich einen Parkplatz, weitläufig, etwas entfernt von der Straße, geeignet für ein Nickerchen.

Aus tiefsten Tiefen weckte mich ein Kratzen, ein Scharren – Kasimir in seinem Katzenklo, hinter meinem Sitz. Nicht bereit, die Augen zu öffnen, kapitulierte ich nach vergeblicher Wehr vor einem infernalischen Gestank – außerordentlich! Es blieb nur der Weg zum Müll, zur Entsorgung. Zwischen den LKW öffnete ich den betreffenden Container, doch dieser war gefüllt mit einem wunderbaren, einem riesigen Christusdorn, nicht hineingestopft: nein prangend wie in einer Auslage, frisch, strahlend.

Wer immer in der Welt muß am frühen Morgen eine solche Pflanze entsorgen am Rande der Autobahn. Mühsam, aufmerksam, sorgfältig hineinzuzirkeln in den Blechcontainer?

Ich habe mich reichlich gestochen bei der Bergung.

 

 

In jungen Jahren hatte ich ein Zeitproblem. Nicht wie jetzt, da zwischen unerledigter Arbeit der Muße gedacht wird wie einem Diebstahl, nein, begründet lag meine Verhedderung in den Terminen in meiner Unfähigkeit, NEIN zu sagen. Häufig war es mir gegeben, die schwierigsten Anforderungen, Ansprüche zu koordinieren, wenn auch mit Anstrengung, und sowohl der Familie, den Freunden, den Frauen zu genügen – ein Jongleur der Erledigungen. Doch solches System war anfällig gegen Brüche, Verzüge, und in ungünstigen Fällen kumulierte solches Versagen zu außerordentlichen Verspätungen, die mir dann Zorn, Verbitterung, Verachtung eintrugen. Ich muß zugeben, daß M. häufiger Opfer solcher Katastrophen war, und er ließ es mich dann spüren.

N. war zu spät gekommen, seinen VW-Bully zu tauschen gegen mein Motorrad seinem Wunsch gemäß, aber mir zupass kommend für M`s Wiedereinzug in seine alte WG, und da einige Helfer darob schon nach Hause gegangen, mußte ich doppelt schleppen. M. gnadenlos.

Der Einzug überschnitt sich mit der Räumung der Zimmer durch die zwischenzeitlichen Bewohner: ein englisches Paar. Mit ihr entschwand ein Fixstern meiner Verehrung aus meinem Leben und ich glaube, sie hatte es genossen. Da ich schüchtern war, und nicht kämpfte. Vielleicht.

Als letztes stand ein riesiger Christusdorn auf einem niedrigen Tisch, vielzweigig, einen Meter vielleicht umfassend, frappierend. Sie bemerkte meine Bewunderung nun auch für dieses Gewächs und trug ihn mir an, was in einen Streit mit ihrem Mann darob geriet, und so ward der Abschied Tränen, und ein niedergeschlagener Blick. M machte mir Vorhaltungen, auch dieses Vorgangs wegen, ich hatte Mühe, meinen Mut nicht sinken zu lassen und die ostentativ gute Laune.

 

Nun war es aber so, daß ich auf der Fahrt zum Umzuge eine riesige Tüte mit Kirschen gekauft hatte, im Sonderangebot, und sie reichte fast die gesamte Transitstrecke lang auf der anschließenden Fahrt für M und für mich, daß wir, jeweils eine oder zwei Früchte kauend dann auf Kommando die Kerne hinaus spuckten durch die offenen Fenster: wer weiter käme. Wir haben so die Spur gelegt für eine Kirschbaumallee die ganze DDR hindurch, und noch heute halte ich Ausschau nach diesen Bäumen. Manchmal werde ich fündig, oder so.

M gewann seine gute Laune wieder, ich meinen Mut, und schließlich war uns schlecht: O endlich wurde verschissen, kaum dort angelangt.

So schließt sich der Kreis von Christusdorn zu Christusdorn, Kasimir sei Dank. Jahre später.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.11.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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