Klaus-Peter Behrens

Der Kater und der wilde Norden, 17

-13 -

Der Nebel hing wie ein feuchtes Tuch über dem Land, als ich am frühen Morgen mein Pferd sattelte. Ich hatte schlecht geschlafen und überlegt, ob ich nicht genug gehört hatte, um mich zurück nach Finsterburg durchzukämpfen. Dann aber kam mir Bärbeiß in den Sinn, der auf dem Weg zur Zwergenmine war und bestimmt ein wenig magische Unterstützung brauchen könnte. Auch wenn die meistens nicht so ausfiel, wie ich mir das vorstellte. Ich zog den Sattelgurt fest, nahm das Halfter, führte das Pferd aus der Stallung und staunte.

„Hab ich es dir nicht gesagt. Der ist so trottelig und zieht allein los.“

„Das lebensmüde.“

Tränen traten mir in die Augen, die ich unauffällig wegwischte, als mir gewahr wurde, dass meine Freunde mich nicht im Stich ließen. Ich versuchte lässig zu bleiben und fragte den Kater, warum er denn nicht den Bus nehmen wolle.

„Meine Dosenöffnerin flucht immer, weil der so unzuverlässig ist. Da kann ich auch mit dir Saftgurke mitkommen. Bei dir kann ich wenigstens sicher sein, dass du zuverlässig ins nächste Fettnapf trittst und meine Hilfe brauchst.“

„Unsere“, stellte Gorgus klar.

Ich verkniff mir eine Antwort und schwang mich in den Sattel. Gorgus verschwand im Stall, um kurze Zeit später auf seinem Pferd wieder herauszukommen. Begleitet von guten Zurufen der anderen Frühaufsteher und Vetter Grumbatz, der sich am Tor von uns verabschiedete verließen wir die fragile Sicherheit des Dorfes, um uns in die nächste Gefahr zu begeben. Wir waren noch nicht weit gekommen, als ein hohes Sirren ertönte.

„Ich glaub's nicht“, stöhnte Mikesch, als Elisal die Elfe im nächsten Moment um unsere Köpfe kreiste und verkündete, sie würde uns begleiten.

„Im Zweifel bin ich die Einzige, die wegfliegen kann, um Hilfe zu holen, wenn etwas passiert, wovon ich ausgehe“, argumentierte sie gegen meine Einwände an. Dagegen war schwer etwas einzuwenden, allenfalls der Hinweis, dass Mikesch, wenn er hungrig wurde, nicht sehr wählerisch in seiner Speiseauswahl war. Ich erinnerte mich noch gut, als er mein Erscheinungsbild als „saftig“ bezeichnet hatte, nur weil ich ihm das zweite Abendessen gestrichen hatte. Also bedankte ich mich unter dem Protest des Katers für das Angebot uns zog nun mit drei Gefährten ins Abenteuer.

 

Die nächsten Tage zeigten, dass Elisals Hilfe von großem Vorteil war. Die Elfe flog als Kundschafterin voraus und zeigte uns so den besten Weg. Gelegentlich flog sie auch zurück, um zu prüfen, ob uns jemand folgte, doch bisher konnte sie das nicht feststellen. Sollten uns jedoch die Werwölfe folgen, würden sie dies nachts tun und sich tagsüber verbergen. Da Elisal aber nur tagsüber flog konnten wir nicht ausschließen, möglicherweise auch von hinten mit einer Gefahr rechnen zu müssen. Doch die Nächte verliefen ruhig, sah man einmal von Gorgus Schnarchen ab.

Am fünften Tag schließlich wurde die Landschaft kahler, fast so, als sterbe sie allmählich ab.

„Wir kommen in die Randbezirke der Stadt. Ich habe weit voraus die ersten Gebäude gesehen und frische Klauenabdrücke. Irgendwelche finsteren Kreaturen treiben sich dort herum. Wir müssen aufpassen“, verkündete Elisal nach einem der letzten Vorausflüge. 

Dann passierten wir die ersten Gebäude.

„Die kann man ja nur noch abreißen. Was ist das denn für eine Instandhaltung? Die sollten mal die Verwaltung wechseln“, kommentierte Mikesch den Anblick des ersten Gebäudes, auf das wir auf unserem Weg stießen und sprachlos anstarrten. Es ragte bestimmt vier Stockwerke in den Himmel und entsprach im Umfang der guten alten Finsterburg. Allerdings war an diesem Bauwerk alles marode. Die Fenster waren nur noch finstere Höhlen, die wie tote Augen wirkten. In der Fassade klafften tiefe Risse, das Dach war komplett eingestürzt und überall wucherte das Grün, sogar in dem verfallenen Hauseingang. Es juckte mir in den Fingern, einmal innen nachzusehen, doch meine innere Stimme und der entsetzte Blick des Katers als ich diesbezügliche Erwägungen äußerte, hielten mich davon ab.

Also ritten wir mit gehörigem Abstand an dem unheimlichen Gebäude vorbei.

„Das bewohnt“, grollte Baumbatz düster. Offenbar hatte der Troll etwas gewittert, das selbst Mikesch guter Nase entgangen war. Mir lief ein Schauder über den Rücken. Nun war ich sicher, dass ich mir die Blicke aus den toten Fenstern nicht nur eingebildet hatte. Auf wen oder was wäre ich gestoßen, wenn ich meiner Neugier gefolgt und das Innere erkundet hätte?

Meine innere Stimme sagte mir, dass ich das nicht wissen wollte. Zum Glück ließen wir das unheimliche Gebäude allmählich hinter uns, ohne dass eine Heerschar von Ungeheuern hervorgestürzt kam, um uns zu fressen.

„Es ist ja auch noch nicht Nacht“, flötete Elisal, als ich ihr meine Gedanken mitteilte. Das ernüchterte mich. Ebenso wie die Tatsache, dass die Elfe es vermied, die Gegend auszukundschaften, als würde sie befürchten, am Himmel eine leichte Beute für dunkle Jäger abzugeben. Ich beschloss, die Augen noch offener zu halten und auch den Himmel nicht auszusparen. Möglicherweise drohte auch aus dieser Richtung Gefahr.

Mit jedem Kilometer, den wir zurücklegten, stießen wir nun auf immer mehr Ruinen, bis diese so dicht beieinanderstanden, dass man allmählich eine Perspektive für die ehemalige Stadt gewann.

Sie musste wahrlich gigantisch gewesen sein.

An vielen Stellen stießen wir auf düstere Schlünde, die in die Erde führten. An einer Stelle war die ehemalige Straße großflächig eingebrochen. Ich erspähte tief unten einen halbrunden Eingang in die Unterwelt.

„U-Bahntunnel“, vermutete Mikesch. „Von wegen, die Bahn hat Zukunft....“

Wir ritten weiter.

Mein Ziel war ein Bauwerk, das sich in der Ferne in einem kühnen Schwung in den Himmel erhob sich und mich an eine Brücke erinnerte, allerdings von einem Ausmaß, das dem Staudamm Konkurrenz machen konnte.

„Wie nähern uns dem Fluss“, zirpte Elisal und bestätigte damit indirekt meine Vermutung.

Tatsächlich wurde die Luft feuchter. Ein Hauch von Meer hing in der Luft und erinnerte mich an bessere Zeiten. Leider holte mich Mikesch schnell in die Gegenwart zurück.

„Hör mal Houdini, die Sonne legt sich bald schlafen, und dann wird es hier ungemütlich. Wir sollten uns allmählich nach 'nem kuscheligen Lagerplatz umsehen, möglichst mit Stacheldraht bewehrt und 'ner gut schließbaren Stahltür.“

„Das Untier hat Recht“, stimmte Elisal zu. Wenn es dunkel wird, erwachen die Geschöpfe der Nacht, und an diesem Ort sollen sie besonders unangenehm sein.

Das behagte mir gar nicht.

Da wir bisher unbehelligt durch dieses Gebiet gezogen waren, hatte ich ein wenig vergessen, was man hierüber erzählte. Das drängte sich jetzt mit Macht wieder in mein Bewusstsein zurück und sorgte dafür, dass mir warm unter der Kutte wurde. Meine Augen wanderten mit zunehmender Besorgnis über die Ruinen der Stadt. Ein paar hundert Schritt weiter erhoben sich die Reste eines vermutlich ehemals ansehnlichen Gebäudes in den roten Abendhimmel. Mangels anderweitiger Alternativen beschloss ich dort mein Glück zu versuchen.

„Wenigstens gibt’s genug Parkplätze“, miaute Mikesch, als wir vor dem Gebäude die Pferde anhielten. Ein erstaunlich breiter Eingang hieß uns willkommen, sofern man die abgrundtiefe Dunkelheit dahinter einladend fand. Müde glitt ich aus dem Sattel und musterte die Überreste der Fassade. Die Reste eines ehemaligen Schriftzuges zierten den Eingang. Nur die letzten Buchstaben waren erhalten geblieben.

.….trum

Was war ein trum?

„Falls du dich neu einkleiden willst, biste hier richtig. Das war mal 'n Einkaufszentrum“, klärte Mikesch mich auf.

„Besser wäre das?“, kritisierte ausgerechnet der größte Unhold aus unserer Schar meinen Bekleidungsstil. Ich schnaubte genervt und führte mein Pferd vorsichtig am Zügel zum Eingang. Dieser war groß genug, um uns allen nebeneinander samt Pferden Platz zu bieten – und damit sehr schlecht zu verteidigen. Angesichts des tiefen Sonnenstands blieb uns aber keine Wahl. Da die Pferde sich weigerten, das Gebäude zu betreten, pflockten wir sie mit einem mulmigen Gefühl außen an. Dann betraten wir den finsteren Eingang.

„Superledmitrestlichtverstärkerundundeigenersolarzelle“, murmelte ich einen Zauberspruch, worauf plötzlich eine kleine Leuchtkugel vor mir her schwebte und Licht ins Dunkle brachte. Schutt knirschte unter unseren Füßen, als wir uns tiefer in das Gebäude wagten. Unheimliche Schatten geisterten im Licht der Leuchtkugel über die Wände. Zu meinem Erstaunen bestanden diese aus vielen aneinander gereihten nach vorn offenen Räumen, in denen allerei Undefinierbareres lag.

„Das nenn ich mal n erfolgreichen Schlussverkauf. Das ist hier ja so leer wie inner Börse von 'nem Bettelmönch“, maunzte Mikesch, allerdings ungewohnt leise, als würde er befürchten, gehört zu werden, vielleicht von einem Verkäufer, der ihm den letzten, übrig gebliebenen Ladenhüter andrehen wollte.

Ein Stück weiter entdeckten wir eine vom Rost zerfressene Treppe, die in die nächste Etage führte.

„Vorsicht“, warnte Gorgus, als ich einen Fuß auf die erste Stufe setzte, um die Tragfähigkeit zu testen.

„Ich passe schon auf, wenn ich dort hoch gehe, Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich...“ Ein dumpfes Poltern irgendwo über uns in der Tiefe des Gebäudes ließ uns erschrocken zusammenfahren.

„Ich mir mehr darum Sorgen machen“, korrigierte Gorgus meine Annahme.

Baufälliger Einsturz?“, miaute Mikesch fragend.

„Eher bewohnt“, erwiderte Gorgus düster.

Alle sahen daraufhin Elisal an.

„Kommt nicht infrage. Ich werde das nicht erkunden gehen. Wer weiß ob da Fledermäuse oder Eulen lauern.“

„Apropos Fledermäuse“, merkte ich mit quiekender Stimme an, als mein Blick auf den Eingang fiel. Im letzten fahlen Dämmerlicht schwebte dort eine gigantische Fledermaus mit lässigen Schlägen auf der Stelle und fixierte uns aus schwarzen, kalten Augen. Ihre ledernen Flügel peitschten nahezu lautlos die Luft.

Mit verblüffender Behändigkeit für einen Troll ging Gorgus in Kampfstellung. Die schwere Keule mit beiden Händen umklammernd stellte er sich der Kreatur entgegen, während er uns anwies hinter ihm Aufstellung zu nehmen. Ich positionierte mich einen Schritt links hinter ihm und durchforstete mein Gedächtnis panisch nach einem geeigneten Zauberspruch. Mikesch hatte spiegelbildlich meine Position rechts eingenommen und Elisal schwebte irgendwo sprachlos über uns.

Du kommen, wenn du willst sterben“, knurrte Gorgus feinselig. So hatte ich den Troll noch nie vernommen und musste zugeben, dass das sehr bedrohlich klang.

„Fledermausragout soll lecker sein. Schnapp sie dir, mein Großer.“

Doch wieder erwarten, schien das das fliegende Ungeheuer nicht zu beindrucken. Verdenken konnte ich es ihm nicht. Wer über mindestens vier Meter Spannweite und Eckzähne in Dolchlänge verfügt, wird kaum einen vorlauten Kater ernst nehmen. Dass das Wesen aber auch den Troll offenbar als nicht gefährlich genug einstufte, beunruhigte mich hingegen schon.

Anstatt das Weite zu suchen, schwebte die Fledermaus auf die Drohung hin sachte in das Gebäude hinein. Ein tiefes Grollen drang aus der breiten Brust des Trolls angesichts dieser Zurschaustellung fehlender Angst. Fünf Meter vor uns geschah dann etwas, was mir noch mehr Angst einjagte, als der Anblick des fliegenden Ungeheuers. Die Konturen der Fledermaus verschwammen plötzlich wie bei einer Luftspiegelung. Kaum war der Spuk vorbei, stand nun plötzlich ein hagerer, sehr großer, ganz in Schwarz gekleideter Mann vor uns. Der Blick mit dem er uns musterte löste eine Urangst in mir aus, die ich mir nicht erklären konnte. Nur eines war klar.

Mit diesem Mann stimmte etwas ganz gewaltig nicht.

„Welch erfreulicher  Besuch“, begrüßte er uns mit einer wohl modulierten Stimme, die in mir das gleiche Gefühl auslöste, wie ein Fingernagel, der quietschend über eine Schiefertafel kratzt. Dabei entblößte der ungewohnt bleiche Mann zwei spitze Fangzähne, die in dem Gebiss eines gewöhnlichen Durchschnittsmenschen definitiv nichts zu suchen hatten. Auch die roten Augen waren gewöhnungsbedürftig. Ich fand, dass die Werwölfe dagegen richtig sympathisch gewirkt hatten. Die Angst vor diesem Wesen raubte mir die Sprache, nicht so dem Kater.

„Hallo Kalkleiste“, erwiderte Mikesch gewohnt dreist die Begrüßung. „Ich hoff mal, du bist nur 'n Albino mit 'nem saumäßigen Zahnarzt.“

„Kann da helfen“, grollte Gorgus.

„So ein junger, warmer Mensch war schon lange nicht mehr zu Gast“, raunte der Bleiche ohne auf meine Gefährten zu reagieren. Die roten Augen durchbohrten mich. „Ihr anderen könnt gehen. Er bleibt.“

„Sorry mein Alter, aber der Dummbatz ist mein Dosenöffner, den brauche ich noch. Also mach mal den Flattermann und geh anderen auf die Nüsse“, empfahl der Kater. Ein süffisantes Grinsen huschte über das Gesicht des Bleichen.

„Wie ihr wollt.“

Das Flappen vieler lederner Flügel erhob sich wie ein Rauschen ein Stockwerk über uns, kalt wie der eisige Winterwind. Ohnmächtig mussten wir mit ansehen, wie ein halbes Dutzend Fledermäuse elegant heran gesegelt kam und in einem Kreis um uns herum Aufstellung nahm. Es folgte das schon bekannte Wabern der Luft und im nächsten Moment waren wir von noch mehr bleichen Schreckensgestalten umgeben, die uns hungrig ansahen, als sei das Buffet eröffnet.

Es war mir schleierhaft, wie wir hier lebend wieder herauskommen sollten. Aufs höchste beunruhigt musterte ich den Anführer, der gerade eine unpassende elegante Verbeugung machte und dabei sein furchteinflößendes Gebiss präsentierte .

„Es ist angerichtet“, zischte er.

 

-14 -

Hilly konnte sich nicht erinnern, jemals so wütend und besorgt zugleich gewesen zu sein. Frustriert fuhr sie sich mit den Händen durch ihre blonde Mähne und überlegte, was sie tun sollte. Gleich drei ihrer Gefährten hatten sich ohne ein Wort des Abschieds ins Abenteuer gestürzt. Um Gorgus und Mikesch machte sich Hilly weniger Sorgen, aber Squeeze war eine andere Nummer. Seit ihrem Abenteuer auf der Suche nach Nobeline hatte sie ihr Herz für den Unglücksraben von Zauberlehrling entdeckt. Doch trotz diverser Anstöße hatte der Narr es bisher nicht gewagt, den letzten Schritt zu tun.

Dies war einer der Gründe, warum Hilly für eine Weile durch ihr altes Revier gestreift war.

Sie hatte nachgedacht.

Und war zu einem Entschluss gelang.

Konventionen hin und her, wenn er zu schüchtern war, den ersten Schritt zu tun, musste sie es eben machen. Schließlich kam es nur auf das Ergebnis an.

Zufrieden mit sich war sie schnurstracks nach Finsterburg geeilt, um den Mann ihres Herzens endlich mit einem innigen Kuss zu zeigen, was sie von ihm erwartete.

Und dann hatte der die Frechheit, einfach zu verschwinden.

Wütend stampfte sie mit den Fuß auf. Nun gut, ihr Entschluss stand fest. Also würde sie den drei einfach folgen und ihren Plan dann in die Tat umsetzen. Allerdings war das leicht gesagt. Hoch in den Norden, hatte die Auskunft gelautet, als sie nach dem Ziel der Gefährten gefragt hatte. Bärbeiß, der Zwerg hatte offenbar schlechte Neuigkeiten von dort mitgebracht und die drei waren aufgebrochen, um das aufzuklären. Gerne hätte Hilly mehr Informationen von Bärbeiß erhalten, aber der einzige Informationsträger war ebenfalls unauffindbar. Hilly war auf sich allein gestellt war.

Aber das würde sie nicht abhalten.

Ganz im Gegenteil.

Keine Stunde später hatte sie ihr Pferd gesattelt, sich reichlich mit Proviant und erstklassigen Pfeilen ausgerüstet und ritt wild entschlossen, die Gefährten zu finden, durch das Nordtor. Als gute Fährtenleserin gelang es ihr mühelos den erst zwei Tage alten Spuren der Freunde zu folgen. So kam sie den Tag über gut voran und war überzeugt, die Gefährten in Kürze eingeholt zu haben, bis die Spur an einem breiten Fluss endete. Dieser bot einen so wilden Anblick, dass Hilly die Möglichkeit einer Bootsnutzung kategorisch ausschloss. Also ritt sie erst eine Meile nach Norden, ohne eine Spur zu entdecken. Irritiert kehrte sie zum Ausgangspunkt zurück und versuchte ihr Glück nun im Süden.

Wieder erfolglos.

Frustriert kehrte sie erneut zum Ausgangspunkt zurück und grübelte über dieses Rätsel.

War hier Zauberei am Werk gewesen?

Dann allerdings hätte sie kaum eine Chance, die Spur wiederzufinden. Da der Tag inzwischen zur Neige ging, beschloss sie hier zu rasten. Im Dunklen könnte sie ohnehin nichts ausrichten.

 

Knorrige Bäume am Ufer warfen im flackernden Licht des Lagerfeuers unheimliche Schatten und in ihren Ästen wisperte geheimnisvoll der Nachtwind. Hilly zog ihren Umhang enger um die Schultern und rückte ein Stück näher an das Lagerfeuer heran. Ihr angepflocktes Pferd scharrte hinter ihr gelegentlich mit den Hufen und überall dem lag das beständige Rauschen des Flusses. Hilly war die Natur gewöhnt, doch so ganz allein weit weg von allem, was sie kannte, fühlte sie sich doch ein wenig verloren und einsam.

„Verdammt, warum nur mußte ich mich in so einen Wahnsinnigen verlieben?“, rief sie in den Nachthimmel, als würde die funkelnden Sterne die Antwort kennen. Natürlich hatte Hilly keine Antwort erwartet, sondern nur ihrem Unmut Luft gemacht. Umso erstaunter war sie, als sie gleichwohl eine erhielt.

Das Problem kenne ich“, erklang plötzlich eine ungemein weibliche Stimme aus dunklen Schatten am Uferrand. Mit einem Satz war Hilly auf den Beinen, warf ihren Umhang ab und spannte ihren allseits bereit liegenden Bogen. Die Stimme war zwar definitiv weiblich, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass da irgendetwas ganz gewaltig nicht stimmte. Angespannt starrte sie in die nachtschwarzen Schatten am Ufer, bis ihr gewahr wurde, dass der vermeintliche Schatten der Körper einer riesigen Schlange war, die wie eine Cobra aufgerichtet zwischen den Bäumen am Ufer stand. Jetzt wusste sie auch, was mit der Stimme nicht gestimmt hatte. Sie war von oben gekommen und hatte viel zu viel Volumen für eine menschliche Kehle.

„Komm nicht näher, oder du wirst es bereuen“, bluffte Hilly mit leicht zitternder Stimme.

„Oh ihr Menschen. So zerbrechlich und doch leichtfertig mit dem Wort und so kriegerisch.“

Mit einer fließenden Bewegung glitt die Schlange zu Boden und begann langsam den Lagerplatz zu umrunden. Die Hornplatten an der Unterseite des Schlangenkörpers machten dabei raschelnde Geräusche auf dem Untergrund, die Hilly schaudern ließen.

„Normalerweise würde ich dich schon längst verdauen, wie ich es sonst mit deinen Artgenossen tue, die so leichtsinnig sind, sich in mein Reich zu wagen. Doch du hast meine Neugier geweckt...“

Hillys treues Pferd keilte mit rollenden Augen aus, als die Seeschlange keine zwei Meter entfernt vorbeiglitt. Doch die Seeschlange nahm keine Notiz von dem Pferd. Ihr Augenmerk galt ausschließlich Hilly, die sich langsam im Kreis mitdrehte und den Bogen gespannt hielt. Der Langbogen mit seiner enormen Durchschlagskraft konnte der Seeschlange zwar durchaus gefährlich werden, aber nur in dem unwahrscheinlichen Fall, dass der Mensch ein Auge traf. Alles andere war gepanzert genug, um selbst einen Langbogenpfeil abzuhalten.

„OK, was willst du?“

„Reden.“

„Worüber?“

„Über die seltsamen Wege der Liebe. Du sprachst davon. Ich bin auch verliebt in jemanden, der nicht zu mir passt.“

Hilly senkte überrascht den Bogen.

„Da bin ich wohl kaum die richtige Ratgeberin.“

„Das wäre deiner weiteren Lebensplanung möglicherweise abträglich.“

Die Seeschlange hatte ihr Gleiten eingestellt. Der vordere Teil des Körpers erhob sich drohend, während sie mit kalten Augen Lilly auf eine Weise anstarrte, die ihr nicht behagte.

„Auf der anderen Seite bin ich für meine romantische Ader bekannt“, lenkte Lilly ein.

„Schön, dass du so einsichtig bist. Vor kurzem traf ich hier einen wunderbaren Mann mit seidenweichem Fell aber leider einer sehr großen Klappe.“

„Das ist bei Männern die Norm. Daran musst du dich gewöhnen.“

Der Vorderteil senkte sich wieder und die Seeschlange nahm ihr Gleiten wieder auf.

„Er war in Begleitung eines Magiers und eines ungehobelten ...“

„Sagest du Magier. War er jung, etwa so groß wie ich, katastrophaler Kleidungsstil mit einem wilden Haarschopf in Begleitung eines Trolls?“, fragte Hilly aufgeregt. Die Bedrohung, die von diesem Raubtier ausging, hatte sie fast vergessen.

„Kommt hin. Er hat mich in diese trostlose Gegend gezaubert und dann sah ich ihn. Schwarzweißes Fell, Samtpfoten, grüne..“

„Du redest doch nicht etwas von diesem Großmaul von Kater?“ Hilly war fassungslos. In was war der Kater da wieder hinein, bzw. wie war er wieder hinaus geraten war. Argwöhnisch beäugte sie den geschwollenen Schlangenleib. Hatte der Kater etwa eine neue Bleibe bezogen. Und was war mit den anderen passiert?

„Was ist aus ihnen geworden? Du hast sie doch nicht etwa....“

„Wo denkst du hin. Außerdem hatte ich zwischendurch das Vergnügen, auf eine voll besetzte Fähre zu stoßen, die ich anderweitig brauchte. Das macht Appetit und satt. Außerdem geziemt es sich nicht, die Weggefährten des Liebsten zu verspeisen. Das kann zu einer echten Beziehungskrise führen. Es sei denn, einer schuldet ihm Geld. Dann kann das möglicherweise den gegenteiligen Effekt haben. Aber sei unbesorgt, ich habe keinen von ihnen verspeist.“

Hilly schluckte. Diese Schlange tat zwar auf verliebt, war aber alles andere als zart besaitet. Zarte Frauenstimme hin oder her, das Biest war mordsgefährlich.

„Und wo sind sie nun hin?“

„Ich habe sie zur Brücke der Gehenkten den Fluss hinaufgebracht. Sie wollten dem Fluss weiter folgen. Mein armes Liebchen. Die Gegend ist nichts für seine samtenen Pfoten.“

„Um den Kater brauchen wir uns am wenigsten zu sorgen. Der hat sieben Leben. Aber die anderen...“

„...sind mitgegangen. Die Gegend ist wirklich gefährlich. Onkel Steamer ist den Fluss jenseits der Brücke hinauf geglitten, weil er neugierig war. Er ist nie zurückgekehrt.“

„Ich denke, dann nehme ich den Landweg.“

„Dir gefällt der Mensch wirlich, sonst würdest du das nicht in Erwägung ziehen. Er ist seltsam. Linkisch und sich der Kraft, die in ihm schlummert nicht wirklich bewusst. Ein Widerspruch, der dich anzieht. Er hat mich hierher gezaubert und war darüber enttäuscht, weil ich nicht seiner Erwartung entsprochen habe. Das habe ich gemerkt. Dabei hat er gar nicht realisiert, was es für eine große magische Begabung ist, überhaupt etwas von meiner Größe herbeizuzaubern. Ich glaube nicht, dass er ernsthaft in Gefahr gerät. Er zieht sie an, wird aber darin nicht umkommen. Das sagt mir mein Jahrhunderte altes Gespür. Bei dir hingegen.....sieht es anders aus. Du begibst dich in große Gefahr, wenn du ihm folgst. Aber ich bin froh, dass du gehst, denn dann kannst du meinen Liebsten von mir grüßen. Nebenbei, deine Entscheidung, ihnen zu folgen, ist der einzige Grund, warum du noch nicht verdaut wirst. Noch einmal solltest du mir aber besser nicht über den Weg laufen. Leb wohl.“

Hilly bekam keine Gelegenheit zu einer passenden Erwiderung. Mit einer unglaublichen Schnelligkeit glitt die Seeschlange zurück in den Fluss. Zurück blieb eine leicht schlotternde Hilly, der allmählich bewusst wurde, in welch großer Gefahr sie tatsächlich geschwebt hatte.

Und das alles nur, weil er ohne Sang und Klang verschwunden war, fluchte sie vor sich hin. Womit hatte sie das nur verdient? Wütend warf sie ein paar Äste in das nur noch schwach brennende Lagerfeuer, um die Kälte der Nacht zu vertreiben und mehr Licht in die Finsternis der Nacht zu bringen. Sie beschloss wachsam zu bleiben und kein Auge zuzutun.

Erst sehr früh am Morgen übermannte sie schließlich die Müdigkeit. Am Lagerfeuer sitzend, den Bogen immer noch in der Hand halten, glitt sie in das Reich des Schlafs mit Träumen voller dunkler Vorahnungen.


Wird fortgesetzt, Eure Meinung zur Story wäre interessant
LG
Klaus

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Klaus-Peter Behrens).
Der Beitrag wurde von Klaus-Peter Behrens auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Klaus-Peter Behrens als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Einfache Gedichte – deutsch - englisch von Dragos Ionel (Übersetzer Uwe David)



Die "Einfachen Gedichte" sind die Niederschrift von Momentaufnahmen, Impressionen, Gedanken und Erkenntnissen, die nach Dragos Ionels eigener Aussage keine besonderen Absichten verfolgen.
Die Texte kommen ihm einfach in den Sinn, und er wird zum Stift. Viele der Gedichte schrieb er nach der Lektüre von Rabindranath Tagores "Gitanjali" ("Sangesopfer").
Weitere Informationen zu dieser zweiten, leicht überarbeiteten Auflage mit neuen farbigen Abbildungen: http://www.einfache-gedichte.jimdo.com.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Fantasy" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Klaus-Peter Behrens

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Riss zwischen den Welten, Teil 4 von Klaus-Peter Behrens (Fantasy)
Wunschtraum von Edelgunde Eidtner (Fantasy)
Ist alt werden immer ein schönes Erlebnis? von Norbert Wittke (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen