Christa Astl

Zurück auf der Erde

 

 

 

Auch Frau Jakobine war noch einmal auf die Erde zurück gekehrt. Sie hatte damals, vor 50 Jahren am Rande eines kleinen Dorfes, das noch auf keiner Landkarte verzeichnet war, gelebt und war dort, auf der Ofenbank liegend hinüber geschlafen in die ewige Heimat.

Nach allen Freuden und noch mehr Leiden des Lebens in der Stadt hatte sich in dieses kleine, alte, einsame Häuschen oberhalb der Stadt zurück gezogen, um ihren Lebensabend in Ruhe und Beschaulichkeit zu verbringen. Viel Zeit hatte sie zum Nachdenken, Vergangenes nochmals im Geiste hervor zu holen, zu überdenken, ändern konnte sie es ja nicht mehr, aber auch ihr jetziges und das noch zu erwartende Leben zu überdenken. Sie pflegte ihr Gärtchen, fütterte im Winter die Tiere aus dem nahen Wald, sie waren ihre letzten Freunde.

Menschen duldete sie nicht mehr um sich, doch fühlte sie sich nicht einsam. Still, aber noch gerne, lebte sie ihre Tage, um dann im Ewigen Reich zu verschwinden und vergessen zu werden.

Und ausgerechnet Frau Jakobine musste noch einmal auf die Erde zurück. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, wie sollte sie auch, nie hatte sie gelernt sich wo durchzusetzen.

In den Tagen kurz vor Weihnachten trat sie die Traumreise an. Mehr war es nicht, der vergeistigte Körper wurde ja nicht wahrgenommen.

Sie landete – in einer Mondnacht - auf der Hungerburg, einem Stadtteil oberhalb von Innsbruck. Wie leuchteten die Straßen- und Wohnungslampen da herauf! War das früher auch schon so? - versuchte sie sich zu erinnern. Nein, da war es in der Nacht dunkel. Leichten Fußes, eher schwebend, machte sie sich an den Abstieg. Den Weg ihrer Kindheit gab es allerdings nicht mehr, stattdessen eine breite Straße, auf er gerade ein Bus daher kam. Verängstigt drückte sie sich in eine Einfahrt. Überall, wo damals noch Wald war, standen riesige Häuser. Warum sind so viele Menschen hier, ging es ihr durch den Kopf, wo kommen die denn alle her? Sie suchte bekannte Straßen oder Plätze, wie nun das „Goldene Dachl“ in der Altstadt. Mitten in der Straße stand ein riesiger Christbaum, kleine grüne Häuschen drum herum. Keine Auto, aber viele Menschen. Sonderbar, alle hatten was vor dem Gesicht. Wollten sie nicht, dass man sie erkennen sollte? Warum mussten sie sich hinter Masken verstecken? War denn die Luft in der Stadt auch schon so schlecht, wie sie es damals von den fernöstlichen Ländern gelesen hatte? Warum blieben sie aber dann nicht zu Hause? Renigaldis verstand die Welt nicht mehr. War sie denn überhaupt auf der Welt,  noch in ihrer Landeshauptstadt? Doch, die Türme der Kirchen erkannte sie. Sie beschloss in den Dom zu gehen, sich auszuruhen. Hier war es still wie immer, auch der Domplatz war wie ausgestorben. Drinnen stand ein uralter Priester am Altar, der fast in der Mitte des Gotteshauses stand und blickte zu den wenigen Kirchenbesuchern, während er aus seinem Buch sang und betete. Keine Orgel ertönte, die Gebete des Volkes waren nur ein leises Murmeln einzelner Stimmen. Wo war sie da hin geraten? Sollte das nicht die Christmette sein, wo sich früher die Menschen in den Bänken drängten?  Sie blickte um sich. Erschrocken musste sie feststellen, dass auch diese Personen eine Maske vor dem Gesicht hatten. In ihrer Angst und Not fiel es ihr schwer, die von früher noch gewohnten Worte und Lieder zu verstehen oder gar mitzubeten.

Verängstigt und verwirrt verließ sie die Kirche. Hier draußen war sie wenigstens allein, nur der weite Sternenhimmel über ihr. „Nein, hier will ich nicht sein, warum durfte ich nicht oben bleiben?!“ Endlich gelang es ihr, Gott anzurufen und um Rückkehr zu bitten. Sie setzte sich auf eine Bank. Dort wurde am nächsten Morgen ein erfrorener und erstarrter Schneeklumpen gefunden.

 

 

ChA 06.01.2022

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