Horst Radmacher

Und sie wussten, was sie tun

Es war wieder einer der unangenehm heißen Tage in Copan, am Randes des tropischen Regenwalds in Honduras. Die feuchte Luft ließ ihm den Schweiß am ganzen Körper herunterrinnen. Pater Urbano Hernández war gerade von einem Gottesdienst in seiner Kirche Santa Rosa de Copan in seine Wohnung zurückgekehrt, um sich zu erfrischen, als das Telefon klingelte. Er stand förmlich stramm, als er die Stimme am anderen Ende der Leitung vernahm: Der Erzbischof der Diözese Tegucigalpa, der Hauptstadt Honduras', beorderte ihn zu einem Treffen. Die Causa war ungewöhnlich, es schien sich um eine wichtige Sache zu handeln, wie er es der knappen Vorankündigung entnehmen konnte. Die Einzelheiten würde er zwei Tage später vom Erzbischof in der Hauptstadt dann persönlich erfahren.

Und in der Tat, ein äußerst ungewöhnliches Anliegen: Padre Urbano war ausgewählt worden, eine Ausgrabung im alten Zweistromland Mesopotamien im heutigen Irak zu begleiten. Diese Anordnung war von allerhöchster Stelle im Vatikan, der Kongregation für Glaubenslehre, ergangen. Bruder Hernández war als einer von zwei katholischen Priestern weltweit ausgesucht worden, die aufgrund ihrer vor-kirchlichen, archäologischen Ausbildung für solch eine Unternehmung infrage kämen. Der zweite Kandidat wäre Pater Benediktas Sausmikat aus Kaunas in Litauen. Die beiden wurden zunächst vor Ort gebrieft und erhielten anschließend in Rom eine weitere Schulung, bevor sie mit einem international besetzten Expertenteam in den Irak aufbrachen. Dort, im Zweistromland Mesopotamien, zwischen Euphrat und Tigris, sollte durch eine wissenschaftliche Exploration endgültig der Ursprung der Mutter aller Geschichten gefunden werden: im Garten Eden, wie in Moses 1, 2:8 beschrieben. Die Schöpfungsgeschichte konnte nur hier ihren Anfang genommen haben. Die geografische Zuordnung war stimmig. Es passte, dieses heute so öde Land war einst in einem paradiesischem Zustand gewesen, von einer üppigen Vegetation bedeckt. Dies wurde durch die sehr viel später in dieser Region entdeckten reichhaltigen Erdölvorkommen bestätigt; sie waren zweifelsfrei Endprodukte aus den gewaltigen Mengen von verwesten Pflanzen- und Tierresten. In dieser Region wurden diese organischen Ausgangsstoffe letztlich zum metabolischen Material für die Umwandlung zum allseits begehrten Mineralöl. Allein das schon war eine fantastische Vorstellung: Der Garten Eden als Ursprung zur Schaffung heutiger Energiequellen.

Die Ausgrabungen erwiesen sich schwieriger als erwartet. Dabei waren die bedingt aussagefähigen Ergebnisse früherer Forschungen zwar hilfreich, aber irgendwann kamen die Forscher nicht weiter und die Leitung des Teams beschloss, die Aktion zu beenden. Das Lager der Archäologen wurde daraufhin abgebaut. Während die Aufräumarbeiten in den verstreut liegenden Ausgrabungsstätten bereits begannen, machten sich Padre Urbano und Pater Benediktas die Mühe, ein weiteres Areal durchzuwühlen. Und sie wurden fündig. Eine Sensation. Sie fanden Beweisstücke von ungeheurer Aussagekraft. Darunter einen zunächst schwer zu identifizierenden Gegenstand, der bei gründlicher Begutachtung umfassende Informationen über die ersten Bewohner des Paradieses enthielt; zweifelsfrei die erste von Menschen erschaffene Dokumentation eines sozialen Umfelds. Zu den weiteren Funden gehörte unter anderem eine eingeschlagene menschliche Schädelplatte, sowie das dazugehörige Schlagwerkzeug mit dem Rest einer Blutspur und weitere höchst interessante, stumme Zeitzeugen. Die forensische Untersuchung, sowie eine Prüfung nach der Radio-Carbon-Methode, ergab, diese Fundstücke konnten auf eine Zeit um 6200 v. Chr. datiert werden.

Mit diesen sensationellen Beweisstücken wurden die beiden Geistlichen nach ihrer Rückkehr vor eine Kommission der Kurie im Vatikan einbestellt. Das, was sie dort vortrugen, stellte alle bisherigen Erkenntnisse über den Garten Eden ad absurdum. Die Geschichte des Sündenfalls musste hiernach neu geschrieben werden. Nach dieser neuen Beweislage stand zweifelsfrei fest, Adam und Eva hatten ihren Schöpfer beschwindelt. Die Versuchung und die Sünde liefen seinerzeit anders als berichtet ab; denn sie wussten was sie tun. Die Erklärung mit der Schlange und dem Apfel war frei erfunden: Es war der erste Fake der Menschheit. Die Kardinäle der Kurie waren außer sich. Der Vorwurf der Blasphemie hing wie eine dunkle Wolke über dem Auditorium. Es kam zu einem Tumult. Da griff der Pontifex Maximus, der Papst selber ein, und sprach: “Quid his demonstrandum!” - was zu beweisen wäre. Da trat Pater Hernández vor, er überreichte dem obersten Hirten der Katholischen Kirche ein in ein samtenes Tuch gewickeltes, längliches Päckchen. Der Heilige Vater war verunsichert und neugierig zugleich, als er dieses vorsichtig auswickelte. Zu seiner Verblüffung hielt er eine Videokassette in der Hand. In vergilbten, aber gut lesbaren Lettern war dort als Titel zu lesen:

KAIN – DAS WAR MEIN LEBEN

Die beiden archäologischen Priester quittierten später den kirchlichen Dienst und kehrten zurück in den Irak. Dort, jenseits von Eden, im Lande Nod, wollten Sie eine Antwort auf eine weitere große Frage der Menschheit finden: Wenn Adam und Eva die ersten Menschen waren, und Kain und Abel ihre Söhne, wo kamen dann die anderen Menschen her? Die Antwort würde auf der Kassette KAIN 2 zu finden sein, hofften sie.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.12.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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