Marcel Hartlage

Blind Date (Kapitel 10)

Sirenengeheul erklang von der Straße. Meine Eltern schauten wie abgesprochen von ihren Tellern auf und blickten aus dem Fenster. Die Feuerwehr schien die Straße Richtung Colombus runterzufahren. Ich wischte mir den Mund mit einer Serviette ab und stand vom Tisch auf, um hinauszusehen.

»Dahinten ist Rauch«, sagte ich. »Scheint ein Feldbrand zu sein.«

Klirrend legte meine Mutter ihr Besteck beiseite und stand auf. Als ich mich umdrehte, war sie aus der Küche verschwunden. Mein Vater saß mit aufgeschlagener Zeitung am Tisch und rührte sich nicht. Es war die Morgenausgabe, in die er sein Gesicht vergraben hatte. Er hatte sie heute bereits gelesen.

Für einen Moment überlegte ich, etwas zu sagen. Doch ich besann mich eines Besseren. Wortlos nahm ich mein Glas und meinen Teller mit halbgegessenem Auflauf und spülte beides ab. Dann verließ ich den Raum genauso schweigend. Das häufte sich hier in letzter Zeit.

Obschon es Mittag war und die Sonne in voller Kraft auf uns herabschien, setzte ich mir eine Cappy auf und ging nach draußen. Ich wollte nicht im Haus bleiben und nahm einen Sonnenstich dafür in Kauf. Während ich unseren staubigen Zufahrtsweg Richtung Landstraße entlangging, schien sich die allgegenwärtige Trockenheit wie Sand in meinen Mund zu legen. Das T-Shirt klebte mir schon nach wenigen Sekunden am Rücken, Schweißperlen rannen an meinen Schläfen hinab und der Rauchgestank, der in der Luft hing, bereitete mir leichten Druck hinter der Stirn.

Seit meinem Telefonat mit Leila waren ein paar Tage vergangen. Wir hatten seitdem wieder jede Nacht miteinander geschrieben – unser ehrwürdiges altes Ritual praktisch wieder auf Kurs gebracht –, und mir gefiel diese scheue, unsichtbare Wandlung, die sich nun zwischen unseren Zeilen verbarg. Ihre Geschichte hatte den Nebel gelichtet, der es mir an manchen Stellen unmöglich gemacht hatte, sie zu sehen und zu verstehen, hatte ein Gefühl von Vertrautheit und Verständnis erzeugt – zumindest empfand ich es so, und ich war mir sicher, dass es ihr genauso ging. Manchmal war die Wahrheit ein unglaublich mächtiges Instrument; ein Kleister, der zerbrochene Fundamente wieder zusammensetzte, um weiter auf ihnen bauen zu können.

Ich dachte immer noch viel über das nach, was sie mir erzählt hatte. Mit solchen Dingen war ich in meinem Leben nie konfrontiert worden, und bisher hatte ich auch noch niemanden gekannt, dem solche Dinge widerfahren waren, zumindest nicht nach meinem Wissen. Diese Dunkelheit, durch die Leila einen Großteil ihres Lebens gewattet war, die sie letztlich an Orte befördert hatte, die für mich unbegreiflich und beinahe außerweltlich schienen – makabre, schmerzhafte und destruktive Passagen – diese Dunkelheit war mir fremd. Ich kannte solche Dinge nur aus den Nachrichten. Aus Spielfilmen und Serien. Es musste anders sein, wenn man diesen Dingen selbst gegenüberstand. Sie brandmarkten einen bis zum Schluss, verewigten sich mit Narben, die niemand sehen konnte. Sie ließen einen die Welt anders sehen.

Genau dieses Bekenntnis hatte ich ihr an dem ersten Abend nach unserem Gespräch gestanden, nachdem ich im Verlauf des Tages noch einmal Gelegenheit gehabt hatte, alles Revue passieren und sacken zu lassen. Wie soll ich mit diesem Wissen umgehen?, hatten meine Worte in ihrem Kern geklungen. »Mach einfach weiter wie bisher«, hatte Leila gesagt, und ich hatte mein Bestes getan, dem Folge zu leisten.

Trotzdem spukte es mir natürlich weiter durch den Kopf. Immer wieder hatte ich vor Augen, wie sie, schlammbedeckt und mit etlichen Blutergüssen im Gesicht, über die Straße humpelte, auf der verzweifelten, benommenen Suche nach Hilfe. Immer wieder hatte ich vor Augen, wie ihr Vater, eine mir fremde und gesichtslose Gestalt, zu ihr ins Zimmer kam … oder mit ihr jene Abzweigung in den Wald aufsuchte. Wie die Serienkiller, über die Leila und ich uns ausgetauscht hatten, hatte auch ihr Vater der perfidesten, bösartigsten und krankhaftesten Form des Egoismus gefrönt, sich in dieser Hinsicht in keiner Form von derartigen Monstern unterschieden. Die Impulsivität eines einzelnen, so war es mir bewusst geworden, konnte ganze Leben zerstören.

Von gegenteiliger, aber nicht weniger surrealer Natur, war die Vorstellung, mit der ich der Morbidität der ersteren entgegenzuwirken versuchte. Am Wochenende würden wir einander das erste Mal sehen. Mein Herzschlag beschleunigte sich, wann immer ich daran dachte, meine Handflächen wurden feucht und nicht selten erwischte ich mich dabei, einfach dümmlich vor mich herzulächeln. Manchmal schlüpfte etwas von dieser Nervosität durch, wenn ich mit Leila schrieb, kleine scheue Texthappen, die danach anprangernd in unserem Chatverlauf standen, doch das war in Ordnung, denn mir erging es in dieser Hinsicht nicht allein. Je näher das Wochenende rückte, desto häufiger erwähnte es auch Leila selbst; sie sei aufgeregt, weil sie schon lange keinen Besuch mehr gehabt hatte, ich solle doch bitte nicht von dem etwas »heruntergekommenen« Flair ihres Zuhauses abgeschreckt sein, und ihre kleine Schwester bemerkte inzwischen ebenso, dass etwas anders war. »Sie bohrt nach«, erklärte Leila mir eines Abends kichernd am Telefon. »Seitdem ich dich erwähnt habe und sie weiß, dass ich mit einem Jungen schreibe, horcht sie praktisch nur noch darauf, dass ich mich verplappere. Sie macht sich einen Spaß daraus.«

Ich schaute bloß lächelnd in den Nachthimmel empor. »Es ist schön, dich so glücklich zu hören.«

Ein Schmunzeln in ihrer Stimme. »Bald kannst du mich glücklich sehen.«

Am Freitagmorgen wachte ich entspannt auf. Das Bevorstehende lag noch ein paar Stunden entfernt, doch meine Hirnstränge verknoteten sich bereits jetzt nur darum, ließen keinen Raum mehr für etwas anderes. Während die Zeit zäh vorankroch, durchbrodelte immer mehr Wärme meinen Magen, auf eine Art, die mir half – so redete ich mir zumindest ein – der sonderbaren Kälte entgegenzuwirken, die sich in unserem Haus gebildet hatte. Am Nachmittag, als ich an meinem Kleiderschrank stand, wurde mir erstmals bewusst, dass ich die Stimmen meiner Eltern heute nicht einmal gehört hatte. Es war, als teilten sich nur noch drei wildfremde Menschen die Räumlichkeiten dieses Hofes.

Vielleicht sollten wir auch in Erwägung ziehen, zu verkaufen.

Ich schüttelte den Kopf und strich das Hemd glatt, das ich herausgesucht hatte. Schwarz würde Leila sicher gefallen.

Am frühen Abend, gegen sechs, begann sich mein Herzschlag in einer erhöhten Frequenz einzupendeln. Es war beileibe nicht das erste Mal, dass ich ein Mädchen traf, doch noch nie hatte ich eine derartige Nervosität, eine derartige Rastlosigkeit empfunden. Wurde der Begriff Lampenfieber meinen Empfindungen gerecht? Ich wusste, dass ich bei Leila nicht zu »performen« brauchte, keine Show abzuliefern brauchte … keine Maske zu tragen brauchte. Und womöglich, dachte ich, lag es genau daran, dass ich so nervös war.

Sie hatte mir ihre Adresse gegeben, und zu meiner Verblüffung lebte sie keine volle Stunde von mir entfernt, irgendwo mitten in der Pampa. Als es schließlich acht war, marschierte ich – in Hemd und Jeans, mit gekämmtem Haar und einem würzig-hölzernen Parfumgeruch am Körper, von dem ich hoffte, er würde nicht zu intensiv duften – nach unten. Mein Vater schien sich draußen bei den Fahrzeugen aufzuhalten, meine Mutter war nicht da. Ich hinterließ einen Zettel in der Küche, auf dem ich beide wissen ließ, dass ich bis voraussichtlich morgen Früh außer Haus sein würde; meine Hand zitterte etwas beim Schreiben. Ich legte den Zettel auf den Küchentisch, warf noch einen letzten Blick auf das dreckige, gestapelte Geschirr in der Spüle (das nicht nur von heute stammte), und marschierte dann nach draußen zu meinem Wagen.

Der wolkenlose Himmel schien ob der einsetzenden Dämmerung zu glühen; ein tiefes Glutrot überzog den westlichen Horizont und blendete mir in den Augen, bis ich ins Auto stieg und die Sonnenblende herunterklappte. Ich drehte den Schlüssel. Der Wagen schaukelte über den unbefestigten Weg und wirbelte Staub empor, bis ich auf die Landstraße bog und beschleunigen konnte. Die Farm meiner Eltern schrumpfte zu einer Ansammlung flimmernder, dunkler Konturen im Rückspiegel zusammen, bis sie nicht mehr zu sehen war. Nur noch Felder umgaben mich – ein endloses, windstilles Meer aus Weizen und Mais. Ich verkrampfte meine Finger ums Lenkrad und rutschte auf dem Sitz herum, und weil ich die Stille schon bald nicht mehr ertrug, hielt ich kurz an, um mein Handy anzuschließen und mich mit Musik abzulenken. Phucking Phreak von der Band Velvet Acid Christ. Ein weiterer Song, den Leila mir empfohlen hatte. Ich lächelte, als ich weiterfuhr, und drehte die Lautstärke auf.

Zunehmend kroch Dunkelheit über den Himmel, vertilgte immer mehr den rotglühenden Glanz der Dämmerung. Bald säumten ausschließlich Maisfelder die Straße, und das Scheinwerferlicht meines Wagens durchdrang kaum die äußeren Reihen. Die Aromen von Weizen und Mais wehten durch den Spalt meines geöffneten Fensters, die Fahrtbrise fächerte mir angenehm Luft zu. Nach einer halben Stunde überprüfte ich noch einmal die Adresse auf meinem Handy, wischte mir mit dem Arm Schweiß von der Stirn und blinzelte den zwei gelben Mittelstreifen entgegen, die sich in die Nacht vor mir auftaten und mich leiteten, immer tiefer in die Dunkelheit hinein.

Als sich in der Ferne schließlich die Lichter eines Hauses abzeichneten, machte mein Herz einen Hüpfer.

Mein Wagen rumpelte über eine kleine Grabenüberfahrt. Und plötzlich war der Mais verschwunden; zu meiner Linken tat sich eine weite, vertrocknete Wiese auf, und am Ende einer langen, unbefestigten Einfahrt zeichneten sich die Umrisse eines zweistöckigen Gebäudes vorm Nachthimmel ab. Ich schluckte, als ich vom Pedal ging und auf die Einfahrt bog.

Schotter knirschte unter den Reifen. Mein Blick fiel über den ramponierten, von Unkraut überwucherten Holzzaun, der den Weg flankierte, sowie über die Silhouetten einzelner vertrockneter Bäume und Büsche, die sich unweit des Hauses sowie am Wiesenrand auftaten wie die Schemen von seltsamen, knöchrigen Gestalten. Das Grundstück schien nicht gerade klein zu sein, und ich fragte mich, ob Leilas Großmutter Tiere besaß. Als die Kegel des Scheinwerferlichts die Gebäudefront erreichten, schaute ich wieder nach vorn, und mein Blick fiel auf eines der oberen Fenster, in dem Licht brannte. Ich meinte eine Gestalt auszumachen, die hinter den Gardinen stand.

Ich parkte meinen Wagen und stellte den Motor ab. Die Stille, die plötzlich herrschte, erschien mir in diesem Moment seltsam vollkommen, so als hätte es mich an den entlegensten Ort der Welt geführt. Ich steckte mein Handy in die Jeanstasche, spannte die Finger ums Lenkrad und atmete ein letztes Mal tief durch.

Dann stieg ich aus.

Warme Nachtluft umwehte mich. Kühlte den Schweiß auf meinem Nacken. Ich erblickte einen ramponierten Pickup-Truck, der ein Stück abseits vor einer Gruppe Büsche parkte, und dessen dreckige, rostige Karosserie selbst bei Nacht noch mühelos zu erkennen war. Das Grillenzirpen, das aus den Büschen und den umliegenden Bäumen erklang, schmiegte sich auf seltsame, nahtlose Art in die allgegenwärtige Stille ein, vervollständigte sie zu der unverwechselbaren Melodie des Mittleren Westens. Die Verandastufen ächzten unter meinen Schuhen, als ich sie betrat und auf die Eingangstür zuhielt.

Das ist der Moment. Eine Woge von Adrenalin durchschwappte mich, als ich die Hand hob und anklopfte. Ich war selbst etwas überrascht, es ohne Zögern zu tun. Die Tür besaß ein Fenster, hinter der ein alter, vergilbter Vorhang hing und durch das ich ein Fliegengitter sowie einen langen, dunklen Flur erkennen konnte. Als darauf Licht angeknipst wurde und ich meinte, Schritte zu hören, wischte ich mir meine schweißnassen Hände an der Jeans ab, trat von einem Fuß auf den anderen.

Wochenlange Gespräche, gegenseitige Einblicke in das Leben des anderen, Geständnisse von Fantasien und Geheimnissen – all das war nun zu dem Moment kulminiert, in dem eine Gestalt hinter dem Fenster auftauchte, das Fliegengitter öffnete und die Tür aufschwang. Skepsis, Zweifel, jedwede Bedenken, all das löste sich in mir auf, sobald Leila vor mir stand, und im Hinterkopf dachte ich noch, wie absolut banal und magisch zugleich dieser Moment war.

»Hallo, Landrover94.« Leila lächelte mich an.

»Hey.« Ich lächelte ebenso, und Wärme pulsierte in meinem Magen wie ein zweiter Herzschlag. Das erste, was mir auffiel, war aus irgendeinem Grund Leilas Körpergröße. In meiner Vorstellung war sie immer ein wenig kleiner als ich gewesen, doch ich stellte fest, dass ihre Augen auf der Höhe der meinen waren. Sie trug lediglich ein schwarzes, nicht gerade sehr langes Tunika-Kleid, sowie ein Paar schwarzer, halterloser Overknee-Strümpfe. An dem Streifen freier, nackter Haut, an dem meine Augen für einen kurzen Moment auf Höhe ihres rechten Schenkels hängenblieben, entdeckte ich die unteren Ansätze ihres Tausendfüßler-Tattoos. »Du bist –«, begann ich.

Doch sie umarmte mich schon. Strähnen ihres langen, kastanienbraunen Haares blieben an meinen Lippen kleben, und sie schlang ihre Arme fest um meinen Rücken, schmiegte sich so eng an mich, als wäre ich ein totgeglaubter Freund, der nach Jahren des Verschwindens an ihre Tür geklopft hatte. Sie roch so intensiv und verführerisch nach Rosen, dass mir schwindelig wurde, und durch den dünnen Stoff ihres Kleides erfühlte ich die glatte Haut ihres Rückens unter meinen Fingerspitzen. Allen Begehren zum Trotz war da jedoch noch etwas anderes. Ich spürte die Wärme, die von ihr ausging. Spürte eine so tiefe Sehnsucht in ihrer Umarmung, dass mein Mund trocken wurde. Es war, als würde der Wunsch, einander zu fühlen, nach Wochen der Verweigerung nun umso kräftiger emporgespült kommen, und als sei es von großer Bedeutung, die vergangenen Wochen hiermit nun gutzumachen, die körperliche Kommunikation auf denselben Fortschritt wie die der gesprochenen zu heben. Deshalb erwiderte ich die Umarmung genauso fest und innig wie Leila, und für eine volle Minute standen wir einfach nur da, auf der Schwelle des Hauses ihrer Großmutter.

Schließlich löste sie sich von mir, ließ ihre Hände aber weiterhin auf meinen Schultern ruhen. »Schön zu wissen, dass du echt bist«, sagte sie grinsend.

»Das beruht auf Gegenseitigkeit, nicht wahr?«

»Du riechst gut.«

»Oh, ich weiß.« In gespielter Arroganz hob ich das Kinn.

Sie kicherte. »Rrrr. Selbstsichere Männer sind meine Schwäche.«

»Fuck, dann sollte ich vielleicht doch das Weite suchen.« Gespielt machte ich auf dem Absatz kehrt.

Sie lachte, bevor sie ihre Finger in meine verschränkte und mich über die Schwelle zog. »Komm rein, du gutriechender, selbstsicherer Feigling.«

Das Flurlicht entstammte einer nackten, spinnwebenverhangenen Glühbirne. Durch die holzgetäfelten Wände wirkte es gelblicher, als es war, und mir fiel auf, dass sich ebenjene Wände unnatürlich nahe zueinander befanden, dem Flur dadurch eine gewisse Enge verliehen. Vom anderen Ende her, wo sich das Glühbirnenlicht in der Dunkelheit verlor, plärrten die Geräusche eines voll aufgedrehten Fernsehers heran.

»Meine Grandma wollte das Haus ein wenig modernisieren, nachdem Sophie und ich eingezogen waren.« Leila schloss Tür und Fliegengitter und sah mich mit einem etwas entschuldigendem Lächeln an. »Die Bauarbeiter haben jedoch viel gepfuscht, und so wirklich ist daraus nie etwas geworden. Zwischen Holz- und Steinwände befinden sich jetzt kleine Hohlräume, und die Flurbreite ist um fast einen Meter geschrumpft.«

Dass sie meine Hand unverändert hielt, fühlte sich natürlich und schön an. »Das hat zumindest nicht jeder, würde ich sagen. Wirkt … kubistisch.«

Sie lächelte weiter. »Manchmal verenden dazwischen Ratten, Steven.«

»Oh.«

»Tut mir also leid, falls es hier irgendwo … nicht so angenehm riecht wie in deinen Armen.« Sie räusperte sich und schaute weg.

Meine Nase registrierte den leichten Hauch von Fäulnis, kaum dass sie die Worte gesprochen hatte. Aber ich lächelte und drückte ihre Hand. »Das ist okay.«

»Gehen wir rauf, ja? In meinem Zimmer ist es schöner. Oh –« Sie war bereits vorangegangen, zu der steilanmutenden, engen Treppe, die sich gleich neben einer hölzernen alten Tür befand, hielt aber noch einmal inne. »Nicht dass es für uns heute Abend eine Rolle spielt … aber meine Grandma weiß nicht, dass ich dich erwartet habe.« Sie nickte den Flur hinunter, in die Richtung, aus die der Fernsehlärm kam. »Falls es dich zwischendurch also mal aus irgendeinem Grund hierunter verschlagen sollte … wäre es vielleicht besser, nicht zu ihr ins Wohnzimmer zu gehen. Taucht plötzlich ein fremder Kerl neben ihr auf, wäre das nicht allzu gut für ihr Herz, fürchte ich.«

Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie diesen letzten Satz als Scherz meinte, und deshalb nickte ich bloß. »Kein Problem.«

Sie lächelte, und in diesem Moment glimmerte etwas von dem in ihren graugrünen Augen auf, was ich bisher nur in anderer Form aus ihrem Mund gehört oder in ihren Texten gelesen hatte. »Dann wiederum ist es natürlich auch sehr unwahrscheinlich, dass ich dich heute Nacht noch aus meinem Zimmer lasse. Geschweige denn aus meinem Bett.«

»Nun …« In meinem Unterleib zog sich etwas zusammen.

Leila kicherte und zog mich weiter. »Nicht stolpern. Die Treppe ist ein wenig steil.«

Sie führte mich nach oben. Die Stufen knarzten unter unseren Schritten, die Luft stand. Es roch abgestanden, muffig, nach alten Sägespänen. Fliegen krabbelten über die Wände, die auch hier im Treppenschacht holzverschalt waren. Als wir die oberste Stufe erreichten, schlug mir eine so intensive, süßlich-faulige Woge entgegen, dass ich Mühe hatte, ein Würgen zu unterdrücken. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie unerträglich heiß es tagsüber in diesem Haus sein musste.

Wie, um meine Gedanken zu bestätigen, schlug uns oben sogleich eine Wand aus stickiger Hitze entgegen. Auf diesem Flur hingen ein paar mehr Glühbirnen, und der Boden war mit einem strubbeligen, dunkelgrauen Teppich ausgelegt, in dem sich hier und da Staubflusen, Krümel, Splitter und Gesteinsbröckchen verfangen hatten. Leila trug keine Schuhe, doch schien sie nicht zu befürchten, sich Verletzungen zuzuziehen.

Vor einer Holztür, auf der die weiße Farbe bereits abblätterte, hielten wir inne. »Hm«, machte Leila.

»Was ist?« Ich rang ein wenig nach Sauerstoff. Mein Hemd klebte mir bereits am Rücken, und auch zwischen meinen und Leilas Finger war alles nass.

»Ich glaube, so leicht kommen wir nicht rein.« Sie drehte sich zu mir um und lehnte sich dabei mit dem Rücken an die Tür.

»Wirklich? Hast du deinen Schlüssel verloren?«

»Tja, weißt du … Ich glaube, der Schlüssel ist so eine Art Geste.«

»Eine Art Geste«, wiederholte ich bedeutungsschwer.

»Ja. Ich glaube, da liegt ein Fluch auf dieser Tür.« Mit dem Zeigefinger ihrer freien Hand strich sie einmal über die abblätternde weiße Farbe. »Solange wir ihn nicht brechen, sitzen wir hier wohl leider in dieser elendigen Hitze fest.«

»Ich verstehe. Und hast du eine Ahnung, wie man ihn bricht?«

»Ich bin mir nicht sicher. Aber man schafft es nicht allein. Es braucht mindestens zwei.«

»Sicher?« Ich trat näher an sie heran.

Sie ließ von der Tür ab. Als sie mich wieder ansah, wanderte ihr Blick von meinen Augen zu meinen Lippen. Es waren nur wenige Zentimeter, die unsere Münder voneinander trennten, aber der Moment dauerte sehr lange. »Ziemlich.«

Es war ein sehr zarter Kuss. Bis hierhin hatte sich ein Teil von mir gewiss ausgemalt, dass es anders verlaufen würde. Stürmischer, wilder, pointierter. Dass es nicht so verlief, und dass ich mich stattdessen einfach an sie schmiegte und sie ihre Lippen fast schon vorsichtig für mich öffnete, machte es echter, wärmer, ein bisschen holpriger. Leila löste ihre Finger von meinen, um mir über den Arm zu streichen, und mit der anderen Hand erkundete sie zaghaft meine Wange. Ich gab einen leisen, unartikulierten Laut von mir, als sie mein Haar fand und hindurchstrich.

»Scheint, als wäre der Bann gebrochen«, flüsterte ich zwischen zwei Küssen.

»Kommt drauf an, welchen Bann du meinst.« Sie verschränkte ihre Arme hinter meinem Kopf und schob mich noch näher an sich heran, umspielte mit ihrer Zunge warm die meine. Durch den Stoff ihres Kleides hindurch spürte ich, wie sich ihre Brüste gegen meinen Vorderleib pressten.

»Ich hab nicht erwartet, schon nach fünf Minuten ’ne Latte zu bekommen, falls du das meinst.«

Sie prustete ein Lachen und löste sich von mir. »Rein mit dir«, sagte sie und drehte den Knauf.

Ihr Zimmer stand in starkem Kontrast zu den Räumlichkeiten, die ich bisher begutachten konnte. Unter der Oberfläche war es zwar da: die getäfelten Holzwände, vergilbt von Staub und Zeit, sowie der fransige dunkle Teppichboden, an dem ein Aroma von Moder haftete; die Allgegenwart des Verfalls, der das Haus anheimgefallen war. Doch hatte Leila sich Mühe gegeben, all das zu überdecken. Wandteppiche, die Schwarzweißmotive von Mandalas, Monden und okkulten Symbolen zeigten, versperrten zu einem Großteil die Sicht auf das nackte Holz; auf dem Boden türmten sich mehrere Schichten von Langflorteppichen und Läufern. Zwischen den beiden Fenstern, die zur Einfahrt hinauszeigten, stand ein recht moderner Schreibtisch, und obwohl Leila eine alte, klobige Kommode besaß, schien auch ihr Bett recht neu zu sein. Breit, mit vielen Kissen und schwarzen Bezügen. Lichterketten, die wie Sternenbilder über den Wandteppichen angebracht waren, hüllten den Raum in eine warme, angenehme Halbdunkelheit. Neben der Tür standen eine braune, etwas ältere Couch und ein flacher Glastisch, auf dem wiederum eine kleine Lavalampe waberte und Räucherstäbchen einen angenehm erdigen, holzigen Duft verströmten.

»Mein Zufluchtsort.« Leila schloss die Tür hinter uns.

»Gemütlich.« Die schwarzen Bezüge ihres Bettes erschufen einen so starken Kontrast zur übrigen Einrichtung, dass man immer wieder und unweigerlich zu ihnen sehen musste. Und das wiederum erschuf Assoziationen. Zumindest bei mir. Und Leila schien das zu ahnen, ihrem Lächeln nach.

»Setz dich.« Sie deutete zur Couch.

Ich sank tief in die Polster, und das Sofa schien unter meinem Gewicht zu ächzen. Obwohl auf Leilas Schreibtisch ein Ventilator stand und gegen die stehende Luft ankämpfte, war es noch immer so drückend heiß, dass ich die beiden obersten Knöpfe meines Hemdes öffnen musste. Dabei fiel mein Blick auf eine Lichterkette, die neben dem rechten Fenster hing. Mit Wäscheklammern hatte Leila dort Polaroids angeheftet, auf denen ich – trotz der Halbdunkelheit und Distanz – die Umrisse von Grabsteinen erkennen konnte.

Sie bemerkte meinen Blick und lächelte ertappt. »Ein kleiner Beweis.«

»Das wäre nicht notwendig gewesen.«

»Ich weiß. Aber beim Aufhängen dachte ich mir, dass sie sich dort ganz hübsch machen.« Sie grinste. »Also hab ich’s gelassen.«

»Interessant, dass du eine Polaroid-Kamera verwendet hast.«

»Hat für mich mehr Charme als ein hochauflösendes Handybild.« Leila griff zu einer Schale, die auf einem Beistelltisch neben ihrem Schreibtisch stand. Darin schwammen ein paar Bierdosen in einer Suppe halbgeschmolzener Eiswürfel. »Vorhin hatte ich was kaltgestellt. Ich spare immer noch auf einen Minikühlschrank, damit ich es mir komplett sparen kann, immer ans andere Ende des Hauses in die Küche laufen zu müssen. Aber es wird wohl noch etwas dauern, bis ich so ein Ding habe.« Sie fischte zwei Dosen heraus und kam auf mich zu.

»Zumindest auf einen Grill bist du ja im Moment nicht angewiesen.« Ich schaute einmal Richtung Tür. »Mag es deine Grandma grundsätzlich nicht, wenn du Besuch bekommst?«

Leila hielt inne. »Es verwirrt sie sehr, um ehrlich zu sein. Sie hat Anzeichen einsetzender Demenz, und solange es noch geht, will ich sie nicht zu sehr belasten. Mit fremden Gesichtern konfrontieren und so.«

»Das verstehe ich.«

»Männer würden sie verunsichern«, sagte Leila mit einem zugleich verspielten, als auch entschuldigendem Lächeln. »Zumindest Männer, die ich einlade. Trotz – oder vielleicht auch wegen – allem, was geschehen ist, traut sie meinem Urteilsvermögen wohl nicht allzu sehr. Und damit weder du, noch ich in Schwierigkeiten geraten …«

»Ich wollte es nicht in Frage stellen. Oder persönlich nehmen«, fügte ich grinsend hinzu.

»Solltest du auch nicht. Würde sie ihre Skepsis außen vor lassen, würde sie in dir genau das sehen, was auch ich sehe.«

»So? Und was siehst du?«

Leila lächelte bloß. Damit war das Thema vorerst erledigt, wusste ich, und sie schüttelte stattdessen die Dose in ihrer Hand. »Du magst doch Bier, oder?«

»Gekühlt sogar noch mehr als warm.« Ich wollte schon zur Seite rücken, damit sie etwas mehr Platz hatte, hörte jedoch nur einen verneinenden Laut aus ihrem Mund. Im nächsten Moment setzte sie sich mit gespreizten Beinen auf meinen Schoß. Die Couch knarzte, meine Mundhöhle wurde augenblicklich trockener, und das Blut, das sich gerade schon auf dem Rückweg befunden hatte, rauschte wieder zurück zwischen meine Beine.

Leila lächelte. Durch ihre kniende Position war ihr Kleid etwas höhergerutscht, und der Anblick ihrer nackten, nun noch etwas mehr entblößten Oberschenkel, brachte mich zum Schlucken.

»Du scheinst Durst zu haben«, sagte sie.

Es dauerte einen Moment, doch ich räusperte mich und sah zu ihr auf. »Und du scheinst Spaß daran zu haben, mich zu verführen.«

Sie kicherte. »Ja.« Sie stellte eine Dose auf den Glastisch, die andere öffnete sie. Der zischende Laut machte mir deutlich, dass ich inzwischen tatsächlich sehr durstig war, und ich betrachtete sehnsüchtig die Wasserperlen, die sich an der Dose gesammelt hatten.

»Komm wieder zu Kräften, feiger starker Mann.« Sie lehnte sich vor und hielt mir die Dose an die Lippen. »Im Verlauf der Nacht wirst du sie schließlich noch sehr viel brauchen.«

Ich trank. Und dabei sah ich ihr in die Augen. Während das Bier wohltuend meine Mundhöhle flutete und meinen Rachen hinabprickelte, schien Leila genau zu beobachten, wie mein Kehlkopf bei jedem Schluck zuckte. Ihr intensiver Blick, mit dem sie mich dabei ansah, befeuerte wiederum mein eigenes Verlangen. Mit einer Hand berührte ich ihr Bein, strich ihr vom Knie bis rauf an den nackten, entblößten Streifen ihres Oberschenkels – über den Leib des Tausendfüßlers. Leila legte den Kopf in den Nacken und stöhnte leise auf.

Lieber Gott, das halte ich doch niemals die ganze Nacht durch. Wir hatten beide gewusst, worauf unsere Begegnung hinauslaufen würde, aber die Geradlinigkeit, mit der wir uns aneinander verloren, überforderte und überwältigte mich gleichermaßen. Dann wiederum sollte es mich vielleicht nicht überraschen, denn schließlich hatten wir die Schwelle, uns noch etwas vorzumachen – voreinander unsere Masken zu tragen – längst überschritten.

Mit einer Direktheit, die ich mir bis hierhin selbst nicht ganz zugetraut hatte, schob ich Leilas Kleid noch ein Stück höher und spreizte meine Finger besitzergreifender um ihren Schenkel.

Die Bierdose an meinen Lippen verrutschte. Leila keuchte, sie drückte ihr Becken so fest gegen meine Erektion, dass ich ein lauteres Aufstöhnen unterdrücken musste. Statt die Dose komplett fortzunehmen und auf dem Tisch abzustellen, kippte Leila sie an meinem Kinn in Schräglage. Kaltes, klebriges Bier floss an meinem Hals hinab, tröpfelte auf mein schwarzes Hemd. Ich schnappte nur kurz nach Luft, denn im nächsten Moment war die Dose fort und Leilas Lippen lagen an meinem Hals. Sie leckte das Bier auf. Ich schloss die Augen, beförderte meine Arme um ihren Leib und konzentrierte mich nur darauf, wie sie mich liebkoste. Ihre Zungenspitze erkundete meine Halsbeuge und meinen Adamsapfel, ihr warmer Speichel vermischte sich mit der klebrigen Flüssigkeit des Biers. Meine Lippen streiften ihr Haar. Mit den Händen strich sie an meinen Körperseiten entlang, beförderte ihre Finger an den Saum meines Hemdes.

»Geht es dir zu schnell?« Sie klang etwas verunsichert.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Ich will dich, Steven.«

»Ja.«

»Ich will dich ausziehen.«

»Ja.«

Ich wusste nicht einmal, warum ich das sagte. Die Gedanken in meinem Hirn wurden mehr und mehr zu Brei, verschwammen zu einer haltlosen Masse, die von immer höheren Wellen der Erregung durchgeschüttelt wurde. Leilas Hände wanderten über mein Hemd, erkundeten meinen Bauch und meine Brust. Als sich ihre Finger um die verbliebenen Knöpfe schlossen, presste sie ihre Lippen so fest an meine, dass mein Hinterkopf in die Lehne gedrückt wurde. Ihre Zunge drang in meinen Mundraum vor, rang um die Dominanz und verteilte den Geschmack von Bier, während sich ihre Atmung beschleunigte und sich ein Hemdknopf nach dem anderen aus seinem Loch löste.

Ich wusste kaum, wohin. Ich krallte meine Finger fester um ihre Oberschenkel, erfühlte ausgiebig ihre warme, glatte Haut, beförderte meine Fingerspitzen auf die Innenseiten. Ich spürte, dass ein leichtes Schaudern durch ihren Körper fuhr und sich ihre Beinmuskeln verspannten. Ihre Reaktion auf meine Berührungen trieb mich nur noch mehr an.

Als mein Hemd offen war, strich Leila mit gespreizter Hand von meiner nackten Brust abwärts, über meinen Bauch und bis an meinen Schritt. Ich sog scharf Luft ein. Ihr Mund, so spürte ich, verzog sich zu einem Schmunzeln, und in dem Moment, in dem sie mit ihrer Hand über meine Erektion rieb, biss sie mir sanft in die Unterlippe und zog daran. Stechende Hitze durchsandte mich an zwei Stellen meines Körpers gleichzeitig, und ich bewegte mich unruhig und stöhnte auf.

»Aufs Bett.« Sie schob eine Hand hinter meinen Rücken, drückte meinen Oberleib in eine aufrechte Position und strich mir dabei das geöffnete Hemd von den Schultern. Es war ein fremdes, berauschendes Gefühl, plötzlich oberkörperfrei vor ihr zu sitzen, doch ließ sie mir kaum Gelegenheit, es überhaupt zu registrieren. Schon im nächsten Augenblick beförderte sie ihre Lippen an meine Brust, liebkoste meine Nippel und strich mit ihren Fingernägeln an meinen Oberarmen entlang, immer wieder hoch und runter. Es bereitete mir eine Gänsehaut, ich grub meine Hände in ihr Haar, zerrte ihr Gesicht empor. Unsere Lippen fanden sich erneut. Ich hatte mich noch nie so begehrt, so umgarnt und losgelöst gefühlt.

»Du bist wunderschön, Leila.« Ich sagte es, ohne, dass es mir unangenehm war. Normalerweise dachte ich in solchen Momenten zu sehr über mein eigenes Verhalten nach, betrachtete es wie ein Außenstehender. Diesmal nicht. Diesmal ließ ich mich fallen, diesmal ergab ich mich ganz den Instinkten, über die Leila und ich wochenlang nur geredet und geschrieben hatten, diesmal ergab ich mich ganz meinem Verlangen, das sie in mir hervorlockte.

Sie küsste mich noch einmal, dann rutschte sie von meinem Schoß und zog mich sanft auf die Beine. »Komm.« Meine Knie wackelten leicht, doch sie dirigierte mich an den Glastisch vorbei, manövrierte mich herum und nahm dabei eine meiner Hände, legte sie sich auf die rechte Brust. Ich schluckte ein weiteres Mal, erfühlte das warme, straffe Fleisch sowie ihren aufgerichteten Nippel durch den Stoff ihres Kleides. Sie stöhnte und drängte sich mir noch enger entgegen, rieb mit ihrem Oberschenkel an meinem Schritt entlang. Ich keuchte angestrengt, ließ die andere Hand an ihrer Hüfte hinabwandern und schloss sie um ihre Pobacke.

Dann waren ihre Lippen an meinem Ohr. »Rrrr«, machte sie erneut.

Ich musste lachen. Sie kicherte ebenso, dann packte sie meine Handgelenke und schwenkte unsere Arme einen Moment einfach nur durch die Luft. Es war fast, als wolle sie sich vergewissern, dass ich tatsächlich hier war, hier in ihrem Zimmer stand, und das alles, was wir seit eben getan hatten, wirklich geschehen war. Es war eine süße, kindliche und zugleich irgendwie traurige Geste.

»Ich bin glücklich, dass du hier bist, Steven«, sagte sie.

Ich schob meine Arme unter ihre hindurch und schmiegte mich eng an sie. Mit einer Hand strich ich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte sie an. »Und ich bin glücklich, dich kennengelernt zu haben, Leila.«

Etwas ungeheuer Gebrochenes trat in ihren Blick. Eine hitzige, panische Sekunde lang dachte ich, einen Fehler gemacht zu haben, doch sofort wurde mir klar, dass es daran nicht lag. Da war etwas Anderes. Überwältigung, Verunsicherung, Schmerz, das Gefühl, dass es nicht in Ordnung war – plötzlich schwappte alles davon durch ihren Blick und brachte ihre Augenränder zum Glänzen. So sehr ich mich meiner Selbstreflektion verweigert hatte, so sehr traf es jetzt sie.

»Komm her.« Ich schloss sie in die Arme.

Sie krallte sich an mir fest. »Ich habe nicht erwartet, dass du so gut zu mir bist.« Sie unterdrückte das Zittern in ihrer Stimme, aber ich hörte es trotzdem ganz leicht heraus. »Ich habe nicht erwartet, dass es so weit kommt.«

»Ist schon okay, Leila.«

»Ich habe nicht erwartet, dass es so weit kommt.«

Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn, streichelte ihr über den Rücken. Sie schmiegte sich so fest an mich, dass mein Brustkorb förmlich zusammengedrückt wurde, doch ich nahm es hin, nahm es in Kauf. Wir schwiegen, und ich strich ihr weiter durchs Haar.

»Ich habe nicht erwartet, dass es so weit kommt.«

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.12.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Tantenfieber von Volker König



Walter Semmler ist extrem kurzsichtig, ein lausiger Bankangestellter, über vierzig, Mutters Söhnchen und Jungfrau.

Als sich die geheimnisvoll attraktive und junge Tante Goutiette bei ihm einnistet und so sein streng geordnetes Leben bedroht, steht für Semmler fest: Er muss sie loswerden!

Bei dem Versuch stößt der verpeilte Eigenbrötler schnell an seine Grenzen. Kann ihm die nette Frau aus der Bibliothek helfen? Was haben die freundliche Nachbarin oder gar seine Mutter vor? Stimmt mit ihm selbst etwas nicht? Oder steckt hinter all der plötzlichen Unordnung in seinem Leben am Ende doch etwas ganz anderes?

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