Klaus Mattes

St. Bernhard kommt per Tante Hede heim zur Mama


 

Die Frau stammte noch aus dem Kaiserreich, war ihr ganzes Leben eigentlich nichts außer „höhere Tochter“. Im Ersten Weltkrieg hatte sie kurz mal als Krankenschwester gearbeitet.

Sie war die Tochter eines mährischen Schokolade-Fabrikanten, jüdische Familie. Später dann die Ehefrau eines wesentlich älteren und sehr vermögenden Arztes. Ihre Ehe blieb kinderlos. Bernhard hat sie im Alter von knapp zwanzig Jahren in der Lungenheilstätte im Pongau kennen gelernt und in Wien bis zu seinem Tod immer wieder besucht, zeitweise mehr bei ihr als in seinen drei Häusern in Oberösterreich gewohnt, obwohl er Wien so scheußlich fand.

Die „Hede“ hat ihn zu Empfängen und Preisverleihungen begleitet, tauchte aber, ganz im Gegensatz zu anderen Bekanntschaften, in seinen Büchern die längste Zeit nicht auf. Getarnt wohl erstmals im Schauspiel „Am Ziel“, 1981, und dann - als Begleiterin zu einer öffentlichen Ehrung - in der Erzählung „Wittgensteins Neffe“, 1982. Bald danach ist sie gestorben, mit über 90, 1984, Bernhard selbst mit 58, Anfang 1989.

Dass diese Hedwig Stavianicek ein lebenslanger Mutterersatz für ihn war, ein Großvaterersatz sogar, ist schwerlich zu übersehen.

Die Frage „Haben die beiden je miteinander geschlafen?“ verbietet sich von vornherein und wird folglich niemals laut gestellt. (Aber wenn er mit ihr nicht ein einziges Mal geschlafen hat, mit wem dann überhaupt?)

Er kam durch mit seiner bizarren Strategie, sie aus den Augen der Öffentlichkeit zu halten und zum Teil auch guten, oft besuchten Bekannten als „meine alte Tante“ vorzustellen. Verwandt waren sie aber keine Spur. Erst einmal war das ein Bekanntenkreis von gebildeten Städtern auf dem Land gewesen, im Winter, im Schnee. Man interessierte sich für ernste Musik. Da waren noch andere Leute dabei. Man findet sich und klüngelt sich zusammen. Angeblich war sie in die Kirche von Schwarzach gekommen, als Bernhard gerade seine klassische Sängerstimme, von der Lungenkrankheit geschwächt, vorführte, beziehungsweise die Orgel ausprobierte.

Nach den langen Krankenhausaufenthalten, zwischendurch waren sein Großvater, die grandiose Bezugsgestalt der Kindheit, aber auch die Mutter gestorben, schloss sich für Thomas, einem mageren, hoch aufgeschossenen Lulatsch mit dichtem Wuschelhaar und von jungenhafter Hübschheit, eine Zeit als Student der Musikakademie Mozarteum in Salzburg und als journalistischer Mitarbeiter der kleineren Salzburger Zeitung, welche den Sozialisten gehörte, an. Später sagte er gelegentlich, dort habe er sich früh im Makabren üben und dem einfachen Volk aufs Maul sehen können, weil er ständig für Gerichtsreportagen ausgeschickt wurde. Faktisch, wie später nachgeprüft worden ist, stimmt das nicht. Er hat hauptsächlich, aber durchaus fleißig, Feuilletons und Stimmungsszenen zu den Jahreszeiten und der Salzburger Lokalkultur abgeliefert. Durchaus konservatives, einigermaßen chauvinistisches Zeug, was sicher auch unter den Nazis kaum einmal Anstoß erregt hätte. Jedenfalls praktisch nie harter Fakten-Journalismus oder gar Sozialismus!

Frau Hedwig Stavianicek lud ihn wiederholt nach Wien ein, wo sie in der ruhigen und einigermaßen feinen Gegend Döbling nicht mal ihre eigene Villa hatte, sondern nur eine Eigentumswohnung, diese aber mit Personal. Anfangs wollte er Hedes Lockungen sogar noch entkommen, irgendwann stieg er dann doch darauf ein. Ist immer gut, wenn man einen Mäzen findet, wenn man Künstler zu werden beabsichtigt.

Am Ende hat er dort gewohnt und zwar mehrere Jahre am Stück. (Von denen er später behauptete, er hätte in England studiert, was nicht stimmt. Oder als Buchhändler gearbeitet. Oder Bierkutscher.) Sie gab ihm das Essen und kaufte standesgemäße Kleidung. Ihr Thomas war junger Lyriker und bewegte sich in den dazu passenden Kreisen. Sie war aber, mehr wohl noch als er, vom Geld besessen. Darum schrieb sie bis ins Kleinste auf, was er sie kostete und hielt ihm das immer wieder mal vor.

Man sagt, er musste einsehen, dass sie Recht hat. Mit über 30 sollte er sich schon auch selbst ernähren können und was schreiben, womit es geht, sprich: einen Roman. Auch wollte er raus aus diesem Tante-Hede-Käfig.

Aber in den Fünfzigern scheint diese Beziehung ein paar Jahre gar nicht so wichtig für Bernhard gewesen zu sein, wie sie in den Sechzigern erst noch wurde. Zuvor kam es, in den Fünfzigern noch, zur „Auersberger“-Episode, unter anderem in Maria Saal, bei Klagenfurt in Kärnten, die er, gegen Ende seines Lebens, im Roman „Holzfällen“ aufgekocht hat.

Als sie, Hedwig Stavianicek, tot ist, schreibt er das Buch „Alte Meister“, in dem der monologisierende Geistesmensch, eine typische Bernhard-Figur, sagt, unser Leben lang fliehen wir vor der Niedertracht der Menschen in die Kunst, doch wenn uns eines Tages der Lebensmensch gestorben ist, im Buch war das die Frau dieses Museumsbesuchers, erkennen wir, dass die alten Meister uns gar nichts mehr bedeuten, dass sie uns alleine lassen. Stavianicek kommt im Buch nicht vor, aber es war jetzt allgemein bekannt, dass die zwei Lebensmenschen von Thomas Bernhard sein Großvater Johannes Freumbichler, den er vor 20 verloren hatte, und Frau Stavianicek gewesen waren, die starb, als er Anfang fünfzig und sie neunzig war.

Überhaupt ließe sich vertreten, dass Bernhards Lebensdrama wie auch das eigentliche Movens seiner großen Schaffenskraft aus der Tatsache erwuchs, dass er erst einmal ein vaterloses Einzelkind, unehelich, gewesen war, dem seine Mutter ihren „Fehltritt“ nicht verzeihen konnte, sich dann am, als Künstler in der Provinz zwar respektierten, aber nie wirklich wichtigen Schriftsteller-Großvater ausrichtete, schließlich ein Außenseiter der zweiten, mit Stiefvater, dessen Bruder, zwei Stiefgeschwistern aufgebauten Familie geworden war. Ein Querschießer, der sich ewig für was Besseres hält. In seinen autobiografischen Büchern „Ein Kind“, „Der Keller“, „Die Kälte“, „Die Ursache“ stilisiert er sich als Produkt aus Tuberkulose-Erkrankung und Spießerhass.

Nach Bernhards Tod sind in den neunziger Jahren eine Reihe Bildbände in Österreich erschienen, die uns seine „Lebensmenschen“, seine Häuser, seine Ort- und Landschaften, die Schauplätze seiner Erzählungen in Fotos vorführen. Besonders das Ehepaar Wieland und Erika Schmied hat sich da hervorgetan, also die, wegen denen er überhaupt die Gmundener, oder eigentlich Laakirchener Ecke gewählt hatte, um sich dort ganz alleine in einem riesigen Haus einzurichten. (Mittlerweile zeigen auch noch andere im Internet ihre Privatalben aus jener Zeit.) Wenn man die Stavianicek sieht, die meistenteils bereits über siebzig war, so kommt sie einem auf Anhieb wie eine Hexe vor, auch gar nicht lieb oder sympathisch, sondern steinern und unerbittlich. Und genau als das, als „Hexe“ hat sie der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld nach dem ersten Treffen im Notizbuch bezeichnet, heute im Band mit dem Briefwechsel aufbewahrt. Später gewöhnt Unseld sich an sie und behandelt sie wesentlich freundlicher. Sie sieht nie nach großer Dame oder Millionenerbin aus, eher wie eine verknöcherte Neureiche.

Da ist ein herumkünstelnder junger Mann aus armen Verhältnissen, als fast noch Jugendlicher bei einer winterlichen Liegekur im Salzachtal lernt er eine jüdische Großbürger-Witwe aus Wien kennen, die ihrerseits ebenfalls zur Erholung angereist ist und gerne spazieren geht. Wir sind noch in der mageren Nachkriegszeit. Man hat schon Angst vor dem Kommunismus, aber das Wirtschaftswunder ist im Pongau nicht ganz angekommen. Es sind ja Mangelerkrankungen, unter denen sie leiden. Auf Grund ihrer familiären Abkunft hat die Dame nicht nur Geld, sondern auch eine gewisse Bildung und Umgangsformen, ist ansonsten aber doch „nichts“ oder „nichts mehr“ - und das schon seit Jahren. Kein Anhang, kein Beruf, keine Lebensaufgabe.

In Zukunft werden die beiden regelmäßig an die jugoslawische Adria fahren und „fürstlich“ zu Abend speisen, wo es, für ihre Verhältnisse, angenehm billig ist. Bei Thomas Bernhard ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht heraus, ob er ein Schauspieler, Sänger oder Musiker sein wird. Können kann er alles, glaubt er. Auch bei der Zeitung konnte er unleidlich werden, wenn die Profis ihm seine grammatischen Schlampereien vorhielten. Der Künstler und Geistesmensch kann alles und gibt sich in allem seine eigenen Gesetze. Er muss es nur noch dahin bringen, dass die Welt ihn in dieser Rolle auch annimmt.

Sie war etwa fünfzig, als sie sich trafen, er noch keine zwanzig und dann blieben sie für gut dreißig Jahre ein Gespann. Hedes Tod veranlasste ihn zum Schreiben eines Romans, „Alte Meister“, in dem er, kaum verhüllt, behauptet, ihr hätte er alles zu verdanken. Mit einem anderen Roman, „Holzfällen“, dieses, seines letzten Jahrzehnts, den achtziger Jahren, gibt er seinem Jungend-Kunst-Freund, Gerhard Lampersberg, noch mal eins aufs Haupt, der wäre derselbe Scharlatan und Ausgehaltene der Wiener Szene geblieben, der er immer gewesen sei. Ausgehalten und zwar von beiden, ein paar Jahre, war vor allem einer: unser Bernhard.

Er wartete seinen Geburtstag 1989 noch ab; dann starb er in Gmunden, bei seinem Halbbruder, liegt seither aber in Wien unter demselben Grabmal wie Hedwig Stavianicek und ihr Ehemann (den er natürlich nie treffen konnte). Ein Spruch steht nicht drauf.


 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Klaus Mattes).
Der Beitrag wurde von Klaus Mattes auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.02.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Klaus Mattes

  Klaus Mattes als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Moto - Feuer der Liebe von Elke Anita Dewitt



Dieser Liebesroman vermittelt Einblick in Brauchtum des kriegerischen Volksstammes der Massai ...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Raben-Mütterliches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Klaus Mattes

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

St. Bernhard gefällt Der Keller (Eine Entziehung) von Klaus Mattes (Lebensgeschichten & Schicksale)
Endgültig von Monika Klemmstein (Abschied)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen