Felix M. Hummel

3. Galgenstrickkapitel: Hinter dicken Mauern

„-Genf. Bei einem Bombenanschlag auf das Hauptsitz der World Health Organisation, WHO; vor etwa zwei Stunden, wurden zwölf Menschen getötet. Weitere sechzig wurden zum Teil schwer verletzt. Näheres dazu von unserem Korrespondenten Rainer Slzekij vor Ort.“

Hinter der Nachrichtensprecherin erschien auf einer Videoeinblendung ein schwarzhaariger Mann Ende dreißig, der, verzweifelt sein Mikrofon schützend, im Regen stand. Polizeiwägen waren um ihn herum geparkt, Passanten und schaulustige drängten sich vorbei, einige Polizisten und Feuerwehrmänner gingen beinahe in der Menge unter.

„Guten Abend, Herr Slzekij.“, grüßte die Sprecherin in die Kamera.

„Guten Abend.“

„Herr Slzekij,“, fuhr die Frau fort. „Was genau ist denn geschehen?“

„Augenzeugen zu Folge warf ein Füßgänger etwas, was wir bereits als eine alte russische Handgranate, noch aus Sowjetzeiten, identifizieren konnten, gegen die Tür des Gebäudes, kurz darauf gab es eine Explosion.“, erleuterte der Reporter „Es handelte sich um eine Splittergranate, wie man sie gegen Infanterie verwendete, weshalb die Zahl der Personen, die durch die Splitter verletzt oder getötet würden, auch so groß ist. Außerdem hat man hier nie einen Anschlag vermutet, die Sicherheitsvorkehrungen sind deshalb nur sehr dürftig.“

„Weiß man denn schon etwas über die Hintergründe des Attentats?“

„Ja. Vor etwa zwanzig Minuten wurde ein Bekennerbrief vor einem hiesigen Polizeipräsidium gefunden, in welchem sich die, bisher unbekannte, Organisation ‚Kinder der Hyäne‘ für den Anschlag verantwortlich macht. Es werden darin keinerlei Gründe oder Forderungen genannt. Man ist skeptisch ob diese Nachricht echt ist, doch befindet sie sich im Augenblick im Polizeilabor. Man sucht dort nach Fingerabdrücken oder DNS-Spuren, die eventuell zu einem Täter führen könnten.“ Der Mann wischte sich das vom Straßenstaub dreckige Regenwasser aus den Augen.

Die Nachrichtensprecherin hackte ein weiteres mal nach: „Hat die Polizei schon irgendwelche Vermutungen darüber geäußert, wem der Anschlag gegolten haben könnte?“

„Nein.“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Man kann sagen, dass die Polizei hier vor einem Rätsel steht. Wie gesagt, kann sich niemand vorstellen warum eine solche, doch recht gemeinnützige Einrichtung Ziel eines Terroraktes geworden ist.“

„Danke. Das war Rainer Slzekij in Genf.“, schloss sie. „Wie werden in einer Sondersendung um 22 Uhr 15 über eventuelle Fortschritte bei den Recherchen berichten. Zum Sport...“

Ich beugte mich vor, stellte den Fernseher ab und ließ mir zurück auf meinen Stuhl fallen.

Hyäne...

WHO.

Nun, es war wohl nicht mehr Schwierig hier ein wenig zu kombinieren. Hyäne war das erste Schimpfwort, welches man für die Menschen die von SCPM gezeichnet waren entwickelt hatte. Vermutlich stammte es aus den USA, wo schon Monate vor anderen Ländern die ersten Infektionen aufgetaucht waren. Diejenigen der Erkrankten, die man für zurechnungsfähig hielt, wurden bald wieder in die ‚Gesellschaft eingegliedert‘. Mit mäßigem Erfolg, sie wurden in Schulen, Büros, Fabriken, kurz im ganzen täglichen Leben nicht akzeptiert und wollten auch gar nicht akzeptiert werden. Man starrte sie unwillkürlich an und war, verständlicherweise, kaum in der Lage mit ihnen ein normales Gespräch zu führen. Sie hingegen schienen , selbst für ihre engsten Angehörigen, immer ein wenig wesensverändert. Sie verhielten sich abweisend, oft barsch oder sogar brutal, waren aber andererseits schnell eingeschüchtert, wenn nicht gar feige. Dies und das lange buschige Fell mit dem schnauzenartigen Gesicht, den spitzen Ohren und den Klauen, die die meisten in dieser Form hatten, hatten wohl schließlich zu dieser, nicht gerade angenehmen, Assoziation geführt.

Der zweite Punkt war, dass die WHO strikte Regelungen im Bezug auf die Kranken aufgestellt hatte. Man hatte bei den ersten Fällen der Seuche festgestellt, dass die geistigen Veränderungen, ebenso wie die Mutationen, von Person von Person -manche glaubten eher, dass es an mutierten Vierenformen lag- verschieden sein konnten. Einige der Unglücklichen, wurden derart nervös, paranoid und gewalttätig, dass man sie für rasende Tiere halten hätte können. Nach ein oder zwei sehr schweren Vorfällen hatte man dann beschlossen, dass sie nur noch mit einer Aufsichtsperson, die entweder ein Verwandter oder ein Sozialarbeiter war, in die Öffentlichkeit gehen durften. Vor Kurzem hatten sich trotz dieser Maßnahme die ‚Unfälle‘ weiter gehäuft, hier in Deutschland gab es sogar einige Todesfälle. So kam es dazu, dass nun alle Infizierten strengere Sicherheitsauflagen über sich ergehen lassen musste. Eine geschlossene psychatrische Anstalt, die sich in der Nähe meiner Stadt befand wurde ausgewählt, die Insassen umgesidelt und schließlich alle gemeldeten, an SCPM erkrankten, Personen dort hin gebracht. Die neu errichtete Anstalt Bitterwasser hatte Platz für etwa sechshundert Patienten und war so mit der Menge der SCPM-Opfer nicht annähernd ausgelastet, was einer der Gründe, weshalb man diesen Komplex ausgewählt hatte war. Ich wusste nicht, wie die Kranken dort behandelt wurden, glaubte aber den Fernsehberichten nur wenig.

Ich hatte seit dieser Deportation nichts mehr von Anna oder Berg gehört. Eigentlich hatte ich erwartet wenigstens von ihr angerufen zu werden, doch ich konnte verstehen, dass sie in ihrer jetzigen Situation kaum möglich war ein solch brisantes Gespräch zu führen. Aber auch ihr Vater, oder eine andere Person aus der Bewegung, hatte sich nicht gemeldet.

Ich konnte nicht ausschließen, dass sich die Sache totgelaufen hatte oder dass ich schlicht und einfach nicht mehr benötigt wurde, doch ich glaubte nicht wirklich daran.

Doch was war dann Geschehen?

Gab es wirklich eine geistige Demenz, die mit SCPM einher ging und alle ihre Opfer früher oder später in blutrünstige Tiere verwandelte? Hatte man dies nicht als Vorwand verwendet um auch die noch vernünftig wirkenden Kranken unter Beobachtung zu stellen?

Ich musste etwas tun, nachsehen was geschehen war, mit jemandem sprechen.

Mit einen zähen Gähnen erhob ich mich und begab mich ins Badezimmer.

Seit die ganze Sache begonnen hatte, war ich einfach nicht mehr der selbe. Ich brachte keinen Artikel zu Papier, der nicht in irgendeiner Form mit Russells Geniestreich zu tun hatte, vernachlässigte meine Verwaltungspflichten und auch in meiner Wohnung sah es sehr traurig aus. Das Waschbecken hatte eine dicke, weiße Patina aus Zahnpasta und Speichel bekommen, währen der Schimmel gemütlich über die Wände kroch.

Ich schüttelte mich angewidert und zog mich um. In der Absicht das Chaos der übrigen Zimmer nicht ansehen zu müssen, schlenderte ich aus der Tür, hinunter auf die Straße.

Einige Minuten stand ich, mich unschlüssig umsehend, auf dem Bürgersteig, bis mein Blick auf meinen Wagen fiel.

Es war ein blauer Golf, der bereits gebraucht gekauft, von außen aus nicht viel mehr als, Beulen, Dellen und Kratzern bestand. Ich mochte diesen Wagen in seinen Zustand, denn nie musste ich fluchen wenn ich irgendwo entlangstriff oder aneckte. Nein, ich konnte mit diesem Auto in jedes osteuropäische Land fahren, es überall abstellen, ohne mir große Sorgen machen zu müssen, dass es geklaut werden könne.

Ich sperrte die Tür auf und stieg ein.

Das Anlassen nahm einige Zeit in Anspruch, während welcher ich über mein Ziel nachdachte.

Bitterwasser.

Sicher, sicher war es möglich dort hinein zu gelangen. Schließlich war ich Journalist.

Natürlich!

Mit einer plötzlichen Idee fuhr ich knallend gegen den Randstein, schaltete dem Motor ab und zog mein Mobiltelefon aus dem eingedrückten Handschuhfach.

Ein kurzes Telefonat mit der Auskunft verriet mir die Nummer des Sekretariates der Anstalt.

Es war ein langer Kampf, doch indem ich hartnäckig auf das öffentliche Interesse pochte und von ‚bösen Gerüchten‘ die man sich über die Anstalt erzählte, sprach, räumte man mir schließlich einen Termin in dem zuvor so vollen Terminkalender des Leitenden Beobachters ein. Was ein Leitender Beobachter war, und welchen Rang er wircklich hatte konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

So stieg ich wieder aus dem VW um ein zweites Frühstück einzunehmen und auf den Nachmittag zu warten.


Drei Stunden später stand ich vor der Anstalt, die nicht den Eindruck erweckte, als hätte sich jemals ein Mensch in ihr wohlgefühlt. Festung Bitterwasser... Ich konnte mir gut vorstellen diesen Ausdruck schon ein mal gehört zu haben, doch klang er vieleicht auch nur so passend, wenn man das düstere Gemäuer dazu vor Augen hatte. Tatsächlich wirkte es wie einer der Monumentalbauten, die im dritten Reich geplant worden waren. Ein mit Natodraht versehener Maschendrahtzaun umschloss schräg aufragende, trutzige Mauern aus schwarzen Granit, die nur von wenigen, schartenartigen Fenstern unterbrochen wurden weitläufig. Der quadratische Bau maß an der Front etwa einhundert Meter und erreichte an seinem, von angedeuteten Zinnen umgebenen, Dach eine Höhe von sicher Dreißig. Die Anstaltsgärten hingegen, mochten wohl einmal sehr sorgsam angelegt worden sein, jedoch waren sie von einer Vielzahl an Reifen zu einem hässlichen, matschigen Acker zerfetzt worden.

Niemand hätte wohl bei diesem Anblick geglaubt, dass dieses Sanatorium erst seit einigen Jahren stand und auch der Zweck wäre falsch gedeutet worden. Es war eine Festung, dazu geschaffen, niemanden hinein, und noch viel mehr hinaus, zu lassen. Die süß duftende Luft, die der letzte Regenguss zurückgelassen hatte, tat sich schwer daran die düstere Ausstrahlung, welche den Ort umgab, zu zerstreuen.

Als ich mich vom Parkplatz aus zu dem, ebenfalls aus Granit erbauten, Pfrörtnerhäuschen begab, war mein journalistischer Übermut, der ach so wichtige Schuss Siegessicherheit und Selbstüberschätzung , schon fast zu weit abgekühlt.

„Was wollen sie denn hier?“ schmetterte mir ein feister Pförtner mit einer schwarzen Uniform entgegen. Seine überdimensionalen Hängebacken und sein grober Ton wiesen ihn gut als das menschliche Äquivalent einer wütenden Bulldogge aus. Nur etwas stärkerer Haarwuchs und er wäre sicher auf der anderen Seite der Mauern gewesen.

„Ihnen auch einen schönen Tag.“, meinte ich. „Ich habe einen Termin bei... bei... Ihrem Leitenden Beobachter. Entschuldigung, aber ich habe seinen Namen wohl vergessen.“

Der Wachmann brach, nachdem er mich einige Sekunden ungläubig angeschaut hatte, in ein schalldendes Gelächter aus.

„Na, da könnte ja jeder kommen.“, gluckste er. „Oh ja. Einfach schnell den dummen Security Service austricksen und einen Blick auf die Freaks in den Zellen werfen. Ja ja!“ Seine Stimme schlug nahtlos von Höhn zu Wut um. „Machen sie bloß dass sie wegkommen, sie verdammtes Arschloch.“

Daran dachte ich gar nicht, denn ich war mir ziemlich sicher, dass der Pförtner von meinem Besuch wusste und seine Reaktion keineswegs zufällig war. Deshalb, beschloss ich, sonst nicht der Typ für einen Streit, ebenfalls in die Offensive zu gehen.

„Sehen sie nach! Da vor ihrer ausgesprochen platten Nase steht doch ihr Terminal. Oder das Telefon. Da rufen sie jetzt schön den Beobachter an und informieren sich!“

Er verengte seine Augen unter Speckfalten zu schmalen Schlitzen und grinste mich an.

„Und wen ich das nicht tue?“

„Dann werde ich eben selbst anrufen.“, seufzte ich gespielt und holte mein Telefon hervor. „Ist ja nicht meine Sache, wie sie hier ihren Job machen wollen. Und auch nicht, ob sie ihn lange behalten wollen.“

Dies musste sitzen, denn auch wenn man ihn angestiftet hatte, mich abzuwimmeln, dann konnte er seine Masche nicht mehr weiter führen, ohne aufzufliegen.

„Schon gut, schon gut. Ich werde mal anrufen. Aber wehe sie haben versucht mich zu verarschen, dann mach ich sie kalt.“

Ich konnte mir ein Grinsen kaum verkneifen.

Nachdem mich der Wachmann am endlich als eingeladener Besucher verifiziert hatte ging ich schnell unter dem nun hochgezogenen Fallbaum hindurch und auf das schwere Tor aus glattem Stahl am Ende des schlammigen Weges zu. Das Fehlen einer Klingel erstaunte mich etwas, denn mein Klopfen schien nicht durch das dicke Portal zu dringen. Mangels einer Alternative beschloss ich einzutreten. Die gut geölten Angeln gaben leicht nach außen nach und boten mir einen Blick auf den dahinter liegende Wand eines Ganges vor welcher ein provisorischer Schreibtisch, komplett mit mürrisch drein blickender Sekretärin und Computer aufgestellt worden war.

Dies war also die nächste Hürde, die es zu nehmen galt, sozusagen, ein Drache als Wächter des inneren Heiligtumes. Ich war mir sicher, dass sie auch, rein zufällig natürlich, nichts von meinem Termin wusste, obwohl es sein konnte, dass ich ihn mit ihr arrangiert hatte.

Als ich an den Tisch heran trat, konnte ich auf der mit Plastikfolie laminierten Identifikationskarte, die sie an ihrer grauen Bluse trug, ein kleines Firmenlogo erkennen. Es hätte zwar das Symbol dieses Krankenhauses sein können, doch es kam mir auf eine Art und Weise bekannt vor.

Ich löste mich erst einmal von diesem Gedanken, um nicht zu vergessen, weswegen ich hergekommen war.

„Entschuldigung?“, machte ich vorsichtig auf mich aufmerksam. „Mein Name ist Schleifer, vom Regionalen Boten. Ich habe einen Termin beim Leitenden Beobachter.“

Sie schreckte, wie aus einer Trance gerissen, von dem Bildschirm auf den sie gestarrt hatte, hoch. Als sie mich sah, verhärteten sich ihre Züge sichtbar.

„Den Gang hinunter, an der Ecke ist ein Treppenhaus. Zimmer 456.“, meinte sie harsch und widmete sich wieder dem Monitor.

Ihr verhalten erstaunte mich nicht mehr., so machte ich im ohne eine weitere Bemerkung auf den Weg durch den, in, wohl nur für Geisteskranke beruhigenden, Anstaltsgrün gestrichenen, Korridor. Das enge Treppenhaus schraubte sich, da es wohl direkt an der Außenmauer lag, schräg nach oben und machte mich schwindelig. Das ganze Gebäude schien bisher alles andere als heilsam für den Geist zu sein.

An der mir beschriebenen Tür musste ich erst einmal einige Sekunden verschnaufen. Dies kam weniger von der Anstrengung, als von der drückenden Atmosphäre, deren feuchtheiße Finger in dieser Etage überall schwärzliche Schimmelringe an die Wände gemalt hatten.

Im Erdgeschoß hatte man davon nichts bemerkt, doch hier, hier war die von außen so massive Festung mürbe geworden. Ich kam nicht umhin mich zu fragen, wie man noch vor so wenigen Jahren eine derartige Fehlkonstruktion errichten hatte können. Sicher, Fehler gab es immer wieder, doch nicht in diesem gewaltigen Stil. Jedenfalls hätte man in diesem Fall wenigstens einen Versuch den Schaden zu begrenzen gemacht. Hier war jedoch nichts geschehen: Putz löste sich, Wasser sammelte sich an der Decke und unter dem Linolbelag des Fußbodens, warf ihn da und dort auf, bildete Blasen. Die Tür, die hoffentlich zum richtigen Büro führen sollte, hatte sich verzogen, an den Rändern verfärbt und leicht aufgebläht.

Man konnte nur bezweifeln, dass diese Nervenheilanstalt jemals benutzt und nicht sofort nach dem Bau zum Abriss freigegeben worden war.

Vorsichtig, als fürchtete ich das morsche Holz könne bersten, schlug ich den Knöchel meines Zeigefingers gegen die Tür.

„Herein!“, klang es dumpf von drinnen.

Erstaunlich geräuschlos, und ohne den Türrahmen aus der Wand zu reißen trat ich ein und das Klima wechselte.

In diesem kargen Raum war es kalt und die Luft war – eigenartig? Sie war so trocken, dass meine Nase schon beim ersten Atemzug begann sich mit Sekret zu verschließen. Andererseits stank sie nicht etwa, nein, es war viel mehr die völlige Abwesenheit von jedwedem identifizierbaren Geruch, die gleichzeitig Abstoßend und Belebend, wie Ammoniak, wirkte.

An der schmalen Flanke des fensterlosen Zimmers stand ein einfacher Schreibtisch, der bis auf einen Laptop und ein geschmackvolles Schreibset, leer war. Hinter diesem saß der Leitende Beobachter.

„Guten Tag, Herr Schleifer.“, sagte er, ohne mich anzusehen. „Ich würde ihnen anbieten sich zu setzten, wie sie sehen gibt es hier keinen weiteren Stuhl.“

Verunsichert von der Situation im Allgemeinen, besonders jedoch von dem kalten, fast hämischen Unterton, der in seiner eigentlich recht freundlichen Stimme mitschwang, trat ich vor seinen den Arbeitsplatz.

„Ist schon in Ordnung. Ich kann ganz gut stehen. Ich muss mich noch einmal bei ihnen bedanken, dass sie mir ihre kostbare Zeit...“

„Ach was! Die Presse muss doch erfahren was hier passiert.“ Er grinste mich freundlich an, senkte dann aber seine Stimme, als er fort fuhr. „Sie wissen ja wie das ist: Gerüchte kommen auf, falsche Informationen werden verbreitet, Angst wird geschaffen... Und Hysterie ist wohl das letzte, was wir in diesen Zeiten brauchen können.

„Genau meine Rede.“, antwortete ich. Wäre dies nicht das Argument gewesen, mit welchem ich überhaupt erst hier her gekommen war, dann hätte mich seine Offenheit wohl sehr verblüfft.

„Und was genau ist es nun, was ‚hier passiert‘?“, wollte ich wissen und holte Notizbuch und Füller hervor.

„Natürlich kümmern wir uns um die Kranken, wie in jedem anderen Krankenhaus auch, das ist hier schließlich auch nichts völlig anderes. Nur, darf man nie vergessen,“ Der Leitende Beobachter stand auf und Stütze ich mit beiden Fäusten auf den Schreibtisch. „Dass wir uns hier auch in einer Quarantänestation befinden. Zwar ist die Sicherheitsstufe recht niedrig, doch besteht eine nicht zu vernachlässigende Gefahr.“

„Moment, Moment, es hieß doch damals, als die ersten Fälle untersucht wurden, dass nur ein ausgesprochen seltener genitscher Defekt eine Erkrankung ermöglicht.“

Er schüttelte traurig den Kopf. „Ein folgenschwerer Irrtum. Das Virus selbst kann diesen Defekt in die Zellen einschleusen. Wir haben kaum Anhaltspunkte um ein Infektionsmuster zu erkennen, doch wir arbeiten daran. Zum Beispiel konnten wir im Tierversuch feststellen, dass es bei direktem Blutkontakt sehr wahrscheinlich zu einer Ansteckung kommt...“

„Entschuldigung,“, unterbrach ich meinen Gegenüber abermals. „Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das... Ich meine ein Tierversuch?“

„Ich verstehe natürlich ihre Verwunderung. Nein, das Virus ist, wie wir festgestellt haben für Ratten absolut tödlich. Die Wirkungsweise ist im Grunde die selbe wie beim Menschen, doch die vom Virus eingeschleusten DNS-Sequenzen können von der Ratte nicht verarbeitet werden. Sie bekommt Krebs. Im selben Tempo wie die physischen Veränderungen bei Menschen auftreten.“

„Grauenhaft.“ In meinem Geist formte sich das Bild eines verendenden Nagers, aufgedunsen und von Tumoren übersät.

„Hmm“, brummte der Beobachter abwesend. „Ich wüsste wirklich zu gerne wer für diese Seuche verantwortlich ist. Da hat man wirklich ganze Arbeit geleistet.“

„Sie haben eine Vermutung?“ , rief ich hoffnungsvoll.

Er winkte ab und richtete sich auf.

„Ja. Jeder hat seine Vermutungen, doch das ist jetzt wohl kaum das Thema, schließlich nehme ich an, dass sie eine... anständige Zeitung herausgeben, nicht?“, meinte er scharf.

„Natürlich, natürlich!“, versicherte ich. „In ihrem Fall hätte man es als die Meinung eines Experte bringen können, aber sie haben recht, lassen sie uns nicht vom Wichtigen abkommen. Was haben sie noch herausgefunden?“

Er strich sich durch die kurzen schwarzen Haare.

„Ich bin leider nicht befugt ihnen mehr über die Forschung sagen, da müssen sie sich an höhere Instanzen wenden.“

„An wen? Die WHO?“

„Nein. Die WHO hat bei der ganzen Sache wenig zu sagen. Wenn sie wirklich etwas in Erfahrung bringen wollten dann sollten sie sich vielleicht an die Presseabteilung unserer Firma wenden. Schließlich haben wir das Patent.“

Ich blickten ihn groß an.

„Bitte was? Ihre Firma? Auf was haben sie das Patent?“

„Auf die genetische Struktur des Virus. Es sichert uns außerdem das Vorrecht sämtliche Untersuchungen an den Opfern selbst durchzuführen. Die WHO und die Regierung hat vollstes Vertrauen in uns. Immerhin unterhalten wir hier und fast überall auf der Welt angesehene Privatkliniken. Dieses... Ja? Was gibt es?“

Ich wedelte mit den Händen um ihn zum schweigen zu bringen. Eine solche Menge an unverblümten Anmaßungen musste ich erst einmal verarbeiten. Nicht nur, dass eine Firma die Rechte über eine Krankheit besaß, sondern dass diese Firma auch noch einer der größten und finanzkräftigsten Konzerne der freien Welt war, gab mir zu denken. Schon lange hatten viele in diesem Konzern eine Bedrohung gesehen. -Oder eine einzigartige Chance.

„Warten sie mal, bitte“, stammelte ich. „Ich komme da nicht mehr ganz richtig mit. Wie haben sie bitte ein Patent auf eine Krankheit, noch dazu auf die Russell-Pest, bekommen. So etwas ist doch ehrlich nicht möglich. Sollte es zumindest sein.“

„Tja.“, seufzte der Leitende Beobachter. Er verschränkter die Arme und ging zur Kante seines Schreibtisches. „Ich möchte mit ihnen hier keine ethische Diskussion über Recht und Unrecht mit ihnen beginnen, aber ich kann ihnen versichern, dass alles völlig legal von statten gegangen ist. Wir haben die DNS des Virus entschlüsselt und dann, wie es auch bei den Genen des Mensche üblich ist, ein Patent beantragt.“

Ich wischte mir, weniger wegen des Schweißes als der Nervosität, über die Stirn und verzog das Gesicht.

„Das klingt so... Ich weiß nicht...“

„Jetzt überlegen sie doch mal!“, rief er. „Dieses Patent steht uns nicht nur zu, es ist auch für alle Beteiligten das Beste, dass wir es halten. Denken sie daran: Wir haben eine fast unbegrenzte Mittel! Welche Untersuchungsmethode, welches Labormaterial oder neue Technik auch immer Entwickelt wird, sie steht uns so gut wie sofort zur Verfügung. Wir haben die besten Ärzte und Wissenschaftler unter Vertrag und besitzen die teuersten und modernsten Forschungseinrichtungen. Wenn jemand eine wirksame Behandlung findet, dann ist es Benarex oder eine Tochterfirma und niemand anderes!“ Seine Augen leuchteten, als seine Stimme verklang. Er hatte mit schier fanatischem Enthusiasmus gesprochen und schien jedes einzelne seiner Worte zu glauben. Sein felsenfestes Vertrauen ließ mich nicht unbeeindruckt.

„Sie haben vielleicht recht.“, gab ich zu. „Wenn es jedoch in meinen Artikel schreibe muss ich aufpassen wie ich es formuliere. Ich meine, man könnte da auf Gedanken kommen.“

„Ja und das wollen wir ja wohl ich.“, sagte er ernst

„Nein.“

„Wollen sie sonst noch etwas wissen?“

Ich versuchte mich wieder zu fassen.

„Hm, ich denke schon. Wie steht es hier mit Besuchen.“

„Von Kranken? Nein, bedaure, aber das können wir wegen der Ansteckung nicht zulassen. Wir mussten schon das gesamte Personal hier auswechseln. Hier arbeiten nur Leute, die bereits mit dem Virus in Kontakt gekommen und so entweder immun oder infiziert sind. Jedoch steht allen Patienten ein Telefon zur Verfügung. Allerdings muss ich sagen, dass die meisten gar nicht in der geistigen Verfassung sind um ein Telefon zu bedienen.“

Das hatte ich erwartet, mir kam eine Idee.

„Nun, ich bin bereits mit dem Virus in Kontakt gekommen. Könnte ich mir nicht einmal die Quartiere ansehen.“

Der Beobachter runzelte die Stirn. „Nein. Unsere Firmenpolitik lässt das nicht zu. Ich würde nur Ärger bekommen.“

„Schade.“

„Vielleicht möchten sie den Hof oder den Aufenthaltsraum sehen?“

„Nein, nein, danke. Ich fürchte ich habe schon viel zu viel von ihrer Zeit in Anspruch genommen. Danke für das Gespräch.“

„Keine Ursache.“

„Auf Wiedersehen.“

„Ja“, sagte er, als ich die Tür hinter mir schloss.

Auf dem Weg zurück zu meinem Wagen fiel mir auf, dass ich noch immer nicht wusste, wie der Leitende Beobachter hieß, geschweige denn, welche Funktion die Position „Leitender Beobachter“ überhaupt hatte. Gut, letzteres sollte sich herausfinden lassen. Wie auch immer, es war ein interessantes Gespräch gewesen und ich hatte in den fünfzehn Minuten mehr über die Seuche herausgefunden als in Monaten von Recherchen. Warum war all dies nur noch nicht in den Medien?

Ich musste einmal versuchen mit Theodor Kontakt aufzunehmen, denn er hatte eventuell schon etwas von seiner Tochter gehört. Wenn, dann war ich die ganzen Wochen wohl zu paranoid gewesen und wenn nicht... Nun wenn nicht, dann musste das auch noch nichts heißen. Sie war vielleicht genauso verrückt geworden wie damals die Erste. Vielleicht. Vielleicht nicht.

Doch erst einmal musste ich mich an diesen Artikel setzen, der „Regionale Bote“ verkaufte sich sowieso schon so gut wie nicht mehr. Viele Sponsoren hatten bereits vor einiger Zeit gekündigt. Eine Geschichte wie diese war geradezu perfekt um wieder ins Geschäft zu kommen.

Muss noch verbessert werden, da es sich um eine Betaversion, wie den ganzen Galgenstrick, handelt.Felix M. Hummel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.01.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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