Hans Pürstner

Unser Obstgarten



Der große Obstgarten war unser Reich, hier sind wir aufgewachsen, erlebten spannende Abenteuer, die vier Jahreszeiten, das Leben und Sterben von Tieren und Insekten, solange wir nicht in der Schule waren oder abends ins Bett „mussten“.
Schon als ich noch ganz klein war und meine Mutter mich manchmal vermisste, brauchte sie nur zum Fenster hinaus schauen, meistens verriet ein leichtes Rascheln der Johannisbeerstauden wo ich war. Da stand ich stundenlang und aß „Ribisl“(für alle, die des Österreichischen nicht mächtig sind: Rote Johannisbeeren). Im Garten lernten wir die Natur kennen Schnecken, Würmer, Käfer, alles Lebewesen, die Stadtkinder heute meist nur noch aus dem Biologieunterricht oder aus dem Fernsehen kennen. Einmal fanden wir auf der Wiese eine tote Amsel. Wir inszenierten ein richtiges Begräbnis für sie mit einem Holzkreuz und einer, wohl eher kurzen, Andacht.
Im Jahr 1955 gab es eine große Kartoffelkäferplage im Land. Rundfunk und Presse forderten die Bevölkerung auf, die Tiere großflächig einzusammeln und an Sammelstellen abzuliefern.
Da wollten auch wir „Buam“ nicht zurückstehen. Eine leere Streichholzschachtel musste her, flugs war ein Käfer eingefangen und ab ging es zum Wachzimmer der Polizei.
Die Polizisten amüsierten sich königlich über solch brave Staatsbürger, und leise dämmerte es auch uns, dass ein Käfer wohl etwas wenig war. Da standen wir nun, blamiert bis auf die Knochen. Aber einer der Beamten nahm sich ein Herz, konfiszierte ganz offiziell den Kartoffelkäfer und klopfte uns wohlwollend auf die Schulter.
Die freie Natur war überhaupt besonders reizvoll für mich, auch in Ermangelung der heutigen Alternativen wie ein eigener Fernseher oder gar Videospiele etc.
Jeden Sonntag packte mich meine Mutter auf den Rücksitz ihres Fahrrads, später hatte ich dann ein eigenes und fuhr mit uns in den Wald.
Leider hielt sie nicht viel von Wegemarkierungen, meistens wußten wir nach einer Weile nicht mehr, wo wir waren.
„Macht nichts, Hansi, wir kommen schon irgendwie wieder nach Haus!“.
„Ja, aber wann?“, fragte ich ärgerlich und schimpfte was das Zeug hielt.
Aber wir kamen wirklich immer wieder nach Hause, da hatte sie recht gehabt, die Mutti.
Wenn wir im Wald waren, spielte ich am liebsten am Wasser. An jedem Bach baute ich sofort einen Damm um das Wasser aufzustauen.
Ich muß im früheren Leben ein Biber gewesen sein. So gerne baute ich Staudämme. Dummerweise fiel ich jedesmal hinein, ich weiß auch nicht warum. Wenn wir zurückkamen, wartete die Oma immer schon mit einem Handtuch und frischer Wäsche.

In meiner Kindheit waren die Leute auch noch sparsamer als heute. Ich meine jetzt nicht die heutige Form von „Geiz ist geil!“, alles haben, aber nichts bezahlen zu wollen. Nein, es gab Dinge, die waren zu teuer und deshalb konnte man sie sich eben nicht leisten. Oder zumindest nicht so oft. Kuchen in der Konditorei zu kaufen, war der absolute Luxus, das machte man höchstens, wenn die überkritische Resi-Tante zu Besuch kam. Aber ansonsten hat meine Mutter immer selbst gebacken, obwohl sie wegen ihrer Berufstätigkeit eigentlich kaum Zeit dafür gehabt hätte. Am besten schmeckte mir der Ribiselkuchen. Eine dünne Schicht Mürbeteig, dick bestrichen mit steif geschlagenem und gezuckertem Eischnee und mit frischen roten Johannisbeeren belegt und gebacken.
Obwohl er nicht mein Lieblingskuchen war. Das mag sich unlogisch anhören, aber es war tatsächlich so.
Zum Rezept gehörte nämlich „1 Deziliter“ (0,1 l) Weißwein.
Wie schon gesagt, meine Mutter war sehr sparsam. Wein mochte sie keinen trinken, also woher nehmen?
„Geh Hansi, lauf mal zum Wirt und hol mir einen Deziliter Weißwein!“ rief sie mir zu und so rannte ich denn los.
In der verräucherten Kneipe brüteten einige Gäste über ihrem wer weiß wievielten Glas Wein, da kam nun einer daher und verlangte einen Deziliter. Alle schüttelten fassungslos den Kopf, einige lachten und ich schämte mich furchtbar. Immer wieder bettelte ich
„Geh Mutti, kann ich nicht wenigstens ein viertel Liter kaufen, das ist doch total peinlich!“
Aber es half alles Flehen nichts. Ein Deziliter musste es sein. Was für eine Schande. Aber sobald ich das erste Stück Ribiselkuchen verzehrt hatte, war alle Schmach vergessen.
So gut hat er geschmeckt!
Im Garten gab es aber auch noch andere Früchte, zum Beispiel Äpfel.
Das erinnert mich an eine weitere Episode in meiner Kindheit. Wie gesagt, Sparsamkeit war angesagt zur damaligen Zeit.
Wenn man heute so sieht, wie die Kinder ganz verrückt nach Markennamen sind, muß ich mich oft wundern. Bei uns hätte man damals gar kein Geld gehabt für Nike Jeans und Fila Shirts oder ähnliches. Aber an einen ganz bestimmten Markennamen kann ich doch immer noch gut erinnern. Das waren die Stollwerck. Heute sagt man Karamelbonbons oder Durchbeisser dazu. Aber wir nannten sie einfach Stollwerck. Das war viel einfacher für uns. Die Stollwerck bildeten unsere Ersatzwährung.
Mit Schillingen kannten wir uns noch nicht so gut aus als kleine Buben, mehr als dreißig Groschen hatten wir eh noch nie in der Hand gehabt, da war es doch viel einfacher für die Nachbarin zu sagen:
Geh Hansi, lauf zum Kaufmann und hol mir ein Kilo Mehl, kriegst auch zwei Stollwerck dafür!
Und schon rannte ich los zum Mitteregger, das war unser Kaufmann, heute würde man sagen, ein Tante Emma Laden. Der bediente jeden freundlich, ob groß ob klein. “Na Hansi“, fragte er freundlich “wieviele Stollwerck willst du denn haben?“
Und dann zählte ich meine Groschen ab und gab stolz meine Bestellung auf.
Kaufmann zu sein, das hatte schon was für uns. Alles was das Herz begehrt in Reichweite. Ein Paradies auf Erden.
Im Herbst haben wir manchmal selbst Kaufmann gespielt.
Auf der großen Wiese suchten wir das Fallobst zusammen, stellten vor dem Haus einen Tisch auf. Darauf die Waage von meiner Mutter, eine Kiste Äpfel und schon konnte es losgehen mit dem Verkaufen. Na ja, ab und zu erbarmte sich tatsächlich einer der Vorrübergehenden und kaufte einen Kilo Äpfel. Dann wogen wir sie sorgfältig ab, ganz genau, ja kein Gramm zuviel und kassierten das Geld.
Lange blieb es aber selten in unserer Hosentasche. Denn bald rannten wir damit wieder zum Mitteregger und riefen:
Drei Stollwerck bitte!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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