Christiane Böhm

Ochrasy


Ich war aufgebrochen. Alleine. Der Wunsch in den Süden zu fahren war so plötzlich verflogen, wie alle anderen Träume. Zerplatzt, wie eine Seifenblase.
Niemanden sehen. Niemanden hören.
Tagelang war ich unterwegs gewesen. Verschlossen, unentschlossen, fahrig. Die Landschaft; ich nahm sie nicht wahr. Wenn ich zum Weiterfahren zu müde war, rollte ich mich auf dem Rücksitz zusammen und sah aus dem Fenster: Die Sterne. Sie waren meine ständigen Begleiter, aber auch nicht mehr.
Endlich war ich frei. Endlich hatte ich die Gelegenheit das in meinem Leben zu tun, was ich immer tun wollte. Und dann wurde mir bewusst, dass ich nicht wusste, was ich wollte. Was ich eigentlich wollte.

 
Ich sah auf. Kroch aus meinen Gedanken hervor. War immer noch in diesem Café. Da reichte er mir einen Coffe-to-go-Becher. Ich musterte ihn und er sagte etwas zu mir, das ich nicht verstand.
„Sorry, but I’m not from here. “
 
Er lächelte mich an und hielt mir den Becher noch immer entgegen.
„I want to give you this coffee. You seem to be tired.”
 
“I am tired…”
Vorsichtig nahm ich ihm das Getränk aus der Hand. Bereits nach dem ersten Schluck fühlte ich mich besser; kam langsam wieder zu mir. Als ich wieder aufsah, saß er mir gegenüber.
„Where are you from?“
„From Germany.“
„And what are you doing here? “
 
“I travel all over

Sweden.”
 
“Alone?!”
“Yes.”
“Why?”
Ich lächelte still vor mich hin. Ja, was tat ich hier eigentlich? Und warum? Was erhoffte ich mir? Eine Antwort? Eine Antwort auf alle Fragen? Auf die Frage?
Ich sah ihn an; richtig an. Zum ersten Mal nahm ich ihn wirklich war. Seine Nase, den Mund.. die Augen.
„I don’t know. Maybe… I’m looking for myself. “
 
Er nickte. Dann sah er aus dem Fenster, auf seine Hände; er schein zu überlegen. Als er wieder sprach klang er entschlossen: „I’ve a little flat. It’s untidy, chaotic and in the loudest street here, but I’ve a sofa.  If you want, you can sleep there.
 

 
Ich wurde zurück an die Oberfläche gestoßen. Und wusste nicht wo ich war. Es war dunkel. In regelmäßigen Abständen hörte ich Autos vorbeifahren, deren Lichtkegel auf der Tapete tanzten.
„I’ve to go.“, hatte er gesagt, nachdem er das Sofa ausgezogen und mir Decke und Kissen gegeben hatte. Jetzt spürte ich seinen Körper neben mir.
Ich hörte seinem ruhigen und gleichmäßigen Atem. Wovon er wohl träumte?
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich wach war und so neben ihm lag. Er hatte sich umgedreht und unbewusst eine Hand auf meinen Arm gelegt. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut, nahm die Konturen seines Körpers wahr und- irgendetwas füllte sich in mir, verdrängte die Lehre und stieg schließlich bis zum Zerspringen an: Ich fühlte mich nicht mehr alleine.

 
Als es zu dämmern begann, hatte ich einen Entschluss gefasst. Vorsichtig stand ich auf. Er drehte den Kopf zu mir und für einen Moment fürchtete ich, er sei erwacht. Doch er schlief. Wie er so da lag: schutzlos in seinen Träumen verfangen; ich hätte ihn gerne berührt, ihm übers Haar gestrichen und ihm gesagt, dass ich nun eine Antwort hätte. Vielleicht nicht auf alles, aber immerhin… Doch ich zog mich nur an und verließ die Wohnung – und ihn.
Die Tür fiel mit einem leisen klicken ins Schloss. Ohne, dass er meinen Namen kannte, dass er mich kannte. Wenn er aufwachte, würde ich nicht mehr da sein. Aber dort, wo ich in der Nacht gelegen hatte, würde nun ein Zettel liegen mit den Worten: Thank you!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.06.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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