Lazar Laskaris

Winternachtsalptraum

Ich gehe mitten in der Nacht einen Feldweg entlang, es ist stockdunkel, ich weiß nicht genau wo ich herkomme; das Einzige, was ich weiß ist, dass ich eben eine Vorlesung hatte:
Aber worüber? Warum mitten in der Nacht? Ich bin doch in meiner kleinen Heimatstadt, hier gibt es doch gar keine Uni!
Ich habe eine warme Jacke an, denn es liegt eine dicke Schneedecke, außerdem fängt es gerade wieder leicht an zu schneien, ich sehe neben mir ein Strandgelände, aber zwischen dem See, der komplett zugefroren ist und den Volleyballfeldern und dem Zeltpatz befindet sich komischerweise der Weg, auf dem ich gerade gehe.
Was mich auch wunderst ist, dass das gesamte Gelände mit einem Drahtzaun eingegrenzt ist; aus Neugier trete ich näher an den Zaun und sehe mir das Gelände genauer an...
Ich entdecke alte Baracken, sie sehen aus wie ein riesiger Schullandheimkomplex aus den 70er Jahren oder noch ältere Soldatenunterkünfte der Sowjets.
Vor den Gebäuden entdecke ich mehrere Ski-Pisten, spärlich beleuchtet, die von zwei bis drei dort angestellten Kräften an den Startpunkten vom dicken Schnee befreit werden. Eigentlich eine sinnlose Arbeit, es schneit immer stärker. Ich traue mich nicht einfach einzubrechen und über das Gelände zu laufen, obwohl genau auf der anderen Seite der Weg verläuft, zu dem ich instinktiv hinlaufen will, weil ich weiß, dort geht es nach Hause. Trotz mulmigen Gefühls gehe ich allein weiter und bin nach langer Wanderschaft endlich um dieses ganze Gebiet herumgelaufen und kann nun den Weg, der schon deutlich größer und freundlicher aussieht und mit wenigstens ein paar Straßenlaternen gesäumt ist, in Angriff nehmen. Ich blicke noch einmal auf das Gelände und sehe zu meiner Verwunderung, dass drei norwegische Busse voller Sportler ankommen, die sich sofort in die Baracken begeben. Ach deswegen haben die die Pisten präpariert, da findet morgen sicher ein Wettkampf statt.

Ich gehe weiter und treffe an einer Gabelung auf andere Studenten, die in kleineren Grüppchen ebenfalls Stadt einwärts laufen, ohne mit einem von ihnen  zu reden folge ich der Meute zufrieden.

Währenddessen auf dem Gelände:
Flutlicht geht an, Sportler aus allerlei Nationen starten nach einander den Parkour, ein Kommentator begleitet das Geschehen wortreich und voller sportlichem Enthusiasmus.
Ich sehe ein Fernsehbild, offenbar bin ich zu Hause. Wieso findet der Wettkampf mitten in der Nacht statt? Es hat zwar aufgehört stark zu schneien, aber selbst ich sehe, dass die Bedingungen nicht ideal sind, die Sicht ist mäßig und die Schneedecke noch zu dick und uneingefahren.
Plötzlich zoomt die Kamera auf einen Sportler, der langsam auf die Piste läuft, er bemerkt nicht, dass ein weiterer Fahrer in vollem Tempo auf ihn zu rast, der Kommentator ist offenbar ebenso besorgt wie ich und verleiht den Befürchtungen aller jetzt Zusehenden druch seine Worte Gehör.
Das unvermeidliche passiert und die anwesenden Zuschauer schreien auf, ein brutaler Zusammenstoß ist zu sehen, beide liegen halb besinnungslos auf dem Boden im Schnee; die Notärzte sind offenbar  weit weg und brauchen noch eine ganze Weile. Die Kamera hat nur noch dieses Bild. Beide sind offenbar noch ansprechbar und zuerst sieht man den Sportler der auf der Piste stand, sein Arm ist gebrochen und baumelt an seinem Körper, ein schrecklicher Anblick und das Publikum leidet mit, man erfährt vom geschockten Kommentator, dass das ein Schweizer ist, der offenbar aufgrund der schlechten Witterung orientierungslos geworden war und sich deswegen auf der Piste befand.
Der andere Sportler, ein Österreicher, bewegt sich rollend auf dem Boden hin und her, erst jetzt sieht man wie schlimm es ihn getroffen hat, er schreit vor Schmerz, denn sein gesamter Unterkörper ist komisch verdreht, Zuschauer weinen. Er hat sich die Hüfte verdreht oder ausgekugelt. Geht das überhaupt? Vielleicht ist auch sein Becken gebrochen, der Kommentor schreit ins Mirko, dass unbedingt ganz schnell ein Arzt zu ihm muss. Die Schmerzen dieses Mannes müssen unerträglich sein. Ich kann nicht glauben, was ich sehe, ich weine.
Er windet sich wie ein Fisch an der Angel, dabei schleudert er Hüfte mit samt den Beinen hin und her, als würden sie nicht zu seinem restlichen Körper gehören, der Anblick ist widerwärtig.
Helft ihm doch. Schreie ich hysterisch, obwohl man mich vor dem Fernseher natürlich nicht hört. Das Schreien und Weinen der Zuschauer nimmt immer mehr zu und das sichtbare Leid dieses Mannes wird unaushaltbar.
Kurzzeitig habe ich das Gefühl in dem Mann zu stecken, seine Gedanken lesen zu können, er schwört sich nie wieder diesen Sport auszuüben, ist sich sicher an seinen Verletzungen zu sterben und seine Familie nie wieder in die Arme schliessen zu können.
Wieder vor dem Fernsehr schreie ich ... Ich halte das nicht mehr aus...
Die psychische Anspannung ist nicht mehr tragbar, ich bin völlig aufgelöst und stehe unter Schock, mein Mitleid für den Mann ist grenzenlos. Zusammenbruch.

Ich wache auf...

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.07.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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