Olaf Lüken

Dubiose Ratespiele

Von einer Familienfeier kehre ich abends spät zurück. Ich sitze auf dem Sofa und döse vor mich hin. Draußen ist alles dunkel. Nur die Mattscheibe strahlt. Ruckartig werde ich wach und schaue auf den Fernseher. Der Bildschirm zeigt mir ein hellbraunes, smörrebrödähnliches Rechteck, einem Zwieback nicht unähnlich. Aus dem Bildhintergrund ertönt eine männliche Stimme, die mich laut und  eindringlich mahnen will: "Das kann doch nicht wahr sein! Es muss doch jemand wach sein, da draußen !". Doch, ich. Aber während ich: "Ja, ich bin wach," denke, höre ich wieder die Aufforderung "Nehmen Sie die Knete mit." Dann fordert mich dieselbe Stimme auf: "Berühren Sie mit der Nasenspitze Ihren Bildschirm! Gehen Sie mit Ihrem Kopf dreißig Zentimeter nach hinten, und schielen Sie  dabei nach rechts!"

 

Immer wieder diese etwas penetrant und vulgär klingende Anmachsprache des Ansagers: Nehmen Sie endlich das Geld mit !" 6.000 Euro warten auf Ihren Anruf!" 53 Leute in unserem Team wollen, dass Sie es heute mal so richtig krachen lassen." Ich setze mich vor das Gerät, berühre mit der Nasenspitze den Fernsehschirm, gehe mit dem Kopf zirka 30 Zentimeter zurück und blicke dabei etwas schielend nach rechts. Tatsächlich. Ich kann deutlich ein großes Passagierschiff ausmachen.

 

Ich überlege: Selbst wenn alle Hochbegabten im Bett liegen sollten, kann jeder andere Zuschauer auf die Lösung kommen. Mein Problem: Draußen herrscht eine tiefe Nacht. Inzwischen wird es auch in  mir dunkler und dunkler, aber ich kann noch nicht Schlafengehen, bevor das ganze törichte Schauspiel ein Ende gefunden hat. Ich kann einfach nicht, ich will auch nicht! Ich brauche den erlösenden Anruf und die richtige Lösung, dann hat auch das penetrante und nervtötende Geschrei des unheimlich Unsichtbaren sein Ende gefunden. Außerdem: Würde ich dieFlimmerkiste ausschalten, wären die vergangenen Stunden die reinste Zeitverschwendung gewesen.

Der Kerl im Hintergrund schreit wieder und wieder: "Nehmen Sie das Geld. Steuerfrei! Wählen Sie jetzt..., und geben Sie endlich Vollgas ! Zwanzig Leitungen sind jetzt frei. Und keiner ruft an. Mein Gott,  so schwer ist das doch nicht ! Denken Sie doch mal nach ! Es geht um schnell verdiente 6.000 Euro." Ich weiß bis heute nicht, warum. Etwas in meinem Kopf macht KLICK. Es reicht. Ich muss die ganze Sache beschleunigen. Ich greife zum Hörer."Ein großes Passagierschiff" will ich sagen. Darauf bin ich vorbereitet. Doch es gibt niemanden, der mich nach der Lösung fragt. Jemand - es klingt wie ein Band - sagt etwas wie: "Leider hat es dieses Mal nicht geklappt. Danke für Ihren Anruf." Dann macht es tüttüttüt. Im Fernseher wiederholt sich die Aufforderung: " Bald ist die Sendung zu Ende ! Rufen Sie jetzt an ! Ist denn niemand da ?" Ich höre durch das Tuten den unsichtbaren Sprecher, und ich überlege lange, ob ich weinen, lachen oder eine Flasche Bier in Richtung Glotze werfen soll. Ich fühle mich nicht nur abgezockt, ich bin gerade abgezockt worden. So, wie viele andere Idioten während der letzten drei Stunden. Inzwischen erhöht sich der Quizpreis auf stolze 7.500 Euro. Ich habe allen Grund mich zu schämen. Denn ich habe angerufen. Der Moderator hat mich mürbe gequatscht. Ich war zu schwach, sie wollten meine 50 Cent, und sie haben das Geld auch bekommen. Ich wollte eigentlich ins Bett, und dass alles Geschrei aufhört. Aber der unsichtbare Mann im Hintergrund ist immer noch da und schreit in den unsichtbaren Äther.

 

Kurz nach dem Anruf bin ich in dieser schmachvollen Nacht schnell ins Bett geschlichen. Schlafen konnte ich nicht. Ich war wütend auf mich und wütend auf den Sender, der mit solch dubiosen Ratespielen Millionen Euro verdient. Mit Trotteln wie mir. Aber immerhin: Jetzt bin ich kuriert. Ich werde nie wieder anrufen  Und diese Erkenntnis hat ja auch etwas für sich. Sie ist mehr wert als die ausgegebenen 50 Cent.


(c) Olaf Lüken (2008)
Erschien im Kölner Stadt-Anzeiger unter "Die Versuchung" v. 18./19.10.2008
Erschien im Online-Magazin "Lebensart" unter Olaf's Welt v. 18.12.2009

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