Andreas Rüdig

Mannfrau

Gerhardine Wilhelmine Josefine ist tot. Die bekannteste Mann-Frau ist gestern verstorben. Wenn er öffentlich oder privat auftrat, war oft ein Skandal nicht weit. Mann oder Frau? Wußte man bei ihm nie so genau.

Ich soll jetzt einen Nachruf auf unsere gute Wilhelmine schreiben. Doch was sagt man über eine Person, von der nie man nie so genau weiß, wer er / sie gerade ist?

Vielleicht sollte ich ja ganz von vorne beginnen. Name: Gerhard Wilhelm Josef Meier-Müller-Mayer. „Gerhardine Wilhelmine Josefine“ war nur sein Künstlername, wenn er als Frau zurechtgemacht auftrat. Wobei das Wort „zurechtgemacht“ sein Aussehen nur unzureichend beschreibt. Er trug Damen-Fummel. Er war immer glatt rasiert, nutzte Lippenstift, Rouge und Nagellack, die langen Wimpern nicht zu vergessen. Ein Schminkset war immer in seiner Handtasche. Die Beine waren rasiert, die Haut dort zart wie ein Kinderpopo. Perücke trug er selten. Meist ging er vor einem Auftritt noch schnell zum Friseur und ließ seine Haare richten. Hochhackige Schuhe trug er nie; „ich bin nicht schwindelfrei“ meinte Gerhardine nur.

Wieso er als Dame auftrete, habe ich ihn mal gefragt. „Es macht mir Spaß. Ich kann es besonders gut,“ antwortete er mir spontan. In jungen Jahren habe er in einem Schülertheater gespielt und sich nach dem Schulabschluß für eine Schauspielausbildung entschieden. „Mir lagen Frauenrollen besonders gut. Da habe ich mich eben darauf spezialisiert,“ erinnert sich Gerhard. Mehr verrät Gerhard über sein Leben nicht. Gelegentlich wird kolportiert, Gerhard sei transsexuell. Es wohne also eine Frauenseele in seinem männlichen Astralkörper. Gerhard äußerte sich nie zu diesen Vermutungen. Wir dürfen also rätseln, was stimmt und was nicht.

Ich habe mal im Internet nachgeschlagen, was man eigentlich unter einer Transe versteht.

„Transe ist die Kurzform des bekannten deutschen Worts Transsexueller. Es unterscheidet sich allerdings in der Bedeutung. Die Definition einer Transe hat Generationen von politisch korrekten Wissenschaftlern vor Probleme gestellt. Aber der berühmte alpenländische Barde Florian Silbereisen stellte 2007 in seiner Autobiographie `Mein Doppelleben´ einen allgemein gültigen Definitionsversuch“ auf: „Oa Transsexuella steckts im foaschen Körpa, oa Transe steckts in den foaschen Dirndln.“

Bei der Wahl der Kleidung entscheidet man sich zuallererst für eine Grundfarbe. Dabei ist die Wahl der Farbe reine Geschmackssache. Je geschmackloser desto besser. Pink, mintgrün oder quietschgelb erfreuen sich stets großer Beliebtheit, aber auch die durch Queen Mum bekannt gewordenen Farben mauve, malve und flieder werden als stilsicher empfunden. Von der Grundfarbe ausgehend, werden dann farbliche Kontraste gesetzt – Gürtelschnalle, Handschuhe, Nagellack. Komplimentäre Farbkontraste kommen dabei ebenso in Frage wie auch andere Alarmfarben und der spielerische Einsatz von goldenen, silbernen und messingfarbenen Glitzereien.

Das wichtigste am Kleid ist, daß es nicht hundertprozentig paßt. Sonst könnte man glatt noch für eine Frau gehalten werden! Ein Fauxpas, der nicht passieren darf. Am besten wählt man ein Kleid, das einem 94%ig bis maximal 97%ig paßt. Es darf keinesfalls so eng anliegen, daß die Nähte bei eventuellen Tanzeinlagen aufplatzen. Auch will man keinesfalls durch einen zu engen Schnitt so aussehen wie eine Danziger Preßwurst.

Sehr hübsch sind Abendkleider Pariser Edeldesigner, mit denen man selbst bei einer Abendgesellschaft der Queen overdressed wäre. Lagerfeld, Dior, Chanel. Strahlende Pailletten und eingearbeitete Perlen geben das notwendige Maß an Nobelesse und Eleganz.

Die Schuhe sind neben dem Kleid das wichtigste Kleidungsstück. Verwendet werden ausschließlich hochhackige Frauenschuhe, genannt `Stöckel´. Je höher desto stylischer. Die Farbe der Schuhe sollte genauestens mit der gewählten Grundfarbe abgestimmt sein. Einfarbige Schuhe, frisch gewienert in strahlendem Lack. Oder alternativ auch gern Schuhe mit Tierfellmuster.

Grundsätzlich gehört auch eine Handtasche zur Pflichtausstattung einer modebewußten Transe. Auch wenn erfreulicherweise weder Damenbinden noch Tampons transportiert werden müssen, müssen ja schließlich die Utensilien zum Nachpudern und Nachschminken untergebracht werden. Die Tasche darf weder zu klein sein (dann sieht sie keiner!) und schon gar nicht zu groß (sonst versperrt sie die Sicht auf den Rest der Transe!). Einfarbige Lacktaschen oder paillettenbesetzte Schwenkköfferchen sind für den Betrachter stets eine Augenweide – und das Puderdöschen bleibt stets griffbereit in Reichweite.

Große, auffällige und edle Broschen, wertvolle, diamantenbesetzte Diademe, goldene, rubinbesetzte kleine Krönchen, Zigarettenhalter für die noblen Fingerübungen und Ringe mit dekorativen großen Halbedelsteinen an mindestens sieben Finger gehören als Accessoires dazu. Colliers lenken von der fehlenden Oberweite ab. Paillettengürtel lenken von der fehlenden Wespentaille ab.

Auch die Sprache muß stark modifiziert werden, wann Mann als Transe was hermachen will. Zuerst wechselt man die Oktave, wobei mindestens eine Steigerung um eine vollständige Oktave erreicht werden muß. Zwei oder gar drei Oktaven untermauern den Gesamteindruck zusätzlich. Als nächstes legt man einen dezenten französischen Akzent zu. Zum besseren Verständnis einfach ein paar Interviews mit Mirelle Matthieu anschauen,“ berichtet das Portal Stupidedia.

„Gerhard war der größte Schauspieler unserer Stadt,“ urteilt Maximilian Suppelmann, Vorsitzender der örtlichen Schauspieler – Gewerkschaft. „Er war so genial, daß selbst ich nie wußte, wann er Gerhard und wann er Gerhardine war.“

„Ich habe unangenehme Erinnerungen an ihn,“ berichtet dagegen Sebastian Gyxz, oberster Bürger unserer Stadt. „Als ich erfahren habe, daß ich zum Oberbürgermeister gewählt worden war, wollte ich meiner Frau einen spontanen Freudenkuß geben. Leider hatte ich da schon ein paar Bier zu viel intus und sah alles doppelt. Ich griff daneben, entwischte Gerhardine und drückte ihr einen Kuß auf den Mund. Als ich merkte, was sich da an der falschen Stelle regte, war es zu spät und mir peinlich. Auch den rechten Schwinger meiner Frau werde ich nicht vergessen.“

„Mein bester Kunde ist auf den Friedhof umgezogen,“ klagt Laura. Sie ist Kosmetikerin und kümmerte sich immer um Gerhard. „Der Spruch `Transen werden nicht älter, nur gehässigerŽ stimmte bei ihm ganz und gar nicht. Gerhard ist sehr pfleglich mit sich umgegangen, keine Exzesse, keine Frauen (dafür hatte er ja sich) und so etwas. Er muß jeden Morgen stundenlang vor dem Spiegel gestanden haben – wie eine richtige Frau. Da er nicht kochte, hatte er auch keine Spülhände. Ich habe selten einen so gepflegten Mann gesehen.“

„Ich bin verärgert. Gerhardine ist viel zu früh von uns gegangen. Um wen soll ich mich jetzt kümmern,“ fragt Xaver – Yolanderius. Sein Kommentar ist kurz und knapp. Schließlich ist er als Gerhardines Redenschreiber jetzt arbeitslos.

Gerhardine wurde 49 Jahre alt. Wir werden ihn vermissen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.11.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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