Gerhardine Wilhelmine Josefine ist tot. Die bekannteste Mann-Frau ist
gestern verstorben. Wenn er öffentlich oder privat auftrat, war oft ein
Skandal nicht weit. Mann oder Frau? Wußte man bei ihm nie so genau.
Ich
soll jetzt einen Nachruf auf unsere gute Wilhelmine schreiben. Doch was
sagt man über eine Person, von der nie man nie so genau weiß, wer er /
sie gerade ist?
Vielleicht sollte ich ja ganz von vorne
beginnen. Name: Gerhard Wilhelm Josef Meier-Müller-Mayer. „Gerhardine
Wilhelmine Josefine“ war nur sein Künstlername, wenn er als Frau
zurechtgemacht auftrat. Wobei das Wort „zurechtgemacht“ sein Aussehen
nur unzureichend beschreibt. Er trug Damen-Fummel. Er war immer glatt
rasiert, nutzte Lippenstift, Rouge und Nagellack, die langen Wimpern
nicht zu vergessen. Ein Schminkset war immer in seiner Handtasche. Die
Beine waren rasiert, die Haut dort zart wie ein Kinderpopo. Perücke
trug er selten. Meist ging er vor einem Auftritt noch schnell zum
Friseur und ließ seine Haare richten. Hochhackige Schuhe trug er nie;
„ich bin nicht schwindelfrei“ meinte Gerhardine nur.
Wieso er
als Dame auftrete, habe ich ihn mal gefragt. „Es macht mir Spaß. Ich
kann es besonders gut,“ antwortete er mir spontan. In jungen Jahren
habe er in einem Schülertheater gespielt und sich nach dem
Schulabschluß für eine Schauspielausbildung entschieden. „Mir lagen
Frauenrollen besonders gut. Da habe ich mich eben darauf
spezialisiert,“ erinnert sich Gerhard. Mehr verrät Gerhard über sein
Leben nicht. Gelegentlich wird kolportiert, Gerhard sei transsexuell.
Es wohne also eine Frauenseele in seinem männlichen Astralkörper.
Gerhard äußerte sich nie zu diesen Vermutungen. Wir dürfen also
rätseln, was stimmt und was nicht.
Ich habe mal im Internet nachgeschlagen, was man eigentlich unter einer Transe versteht.
„Transe
ist die Kurzform des bekannten deutschen Worts Transsexueller. Es
unterscheidet sich allerdings in der Bedeutung. Die Definition einer
Transe hat Generationen von politisch korrekten Wissenschaftlern vor
Probleme gestellt. Aber der berühmte alpenländische Barde Florian
Silbereisen stellte 2007 in seiner Autobiographie `Mein Doppelleben´
einen allgemein gültigen Definitionsversuch“ auf: „Oa Transsexuella
steckts im foaschen Körpa, oa Transe steckts in den foaschen Dirndln.“
Bei
der Wahl der Kleidung entscheidet man sich zuallererst für eine
Grundfarbe. Dabei ist die Wahl der Farbe reine Geschmackssache. Je
geschmackloser desto besser. Pink, mintgrün oder quietschgelb erfreuen
sich stets großer Beliebtheit, aber auch die durch Queen Mum bekannt
gewordenen Farben mauve, malve und flieder werden als stilsicher
empfunden. Von der Grundfarbe ausgehend, werden dann farbliche
Kontraste gesetzt – Gürtelschnalle, Handschuhe, Nagellack.
Komplimentäre Farbkontraste kommen dabei ebenso in Frage wie auch
andere Alarmfarben und der spielerische Einsatz von goldenen, silbernen
und messingfarbenen Glitzereien.
Das wichtigste am Kleid ist,
daß es nicht hundertprozentig paßt. Sonst könnte man glatt noch für
eine Frau gehalten werden! Ein Fauxpas, der nicht passieren darf. Am
besten wählt man ein Kleid, das einem 94%ig bis maximal 97%ig paßt. Es
darf keinesfalls so eng anliegen, daß die Nähte bei eventuellen
Tanzeinlagen aufplatzen. Auch will man keinesfalls durch einen zu engen
Schnitt so aussehen wie eine Danziger Preßwurst.
Sehr hübsch
sind Abendkleider Pariser Edeldesigner, mit denen man selbst bei einer
Abendgesellschaft der Queen overdressed wäre. Lagerfeld, Dior, Chanel.
Strahlende Pailletten und eingearbeitete Perlen geben das notwendige
Maß an Nobelesse und Eleganz.
Die Schuhe sind neben dem Kleid
das wichtigste Kleidungsstück. Verwendet werden ausschließlich
hochhackige Frauenschuhe, genannt `Stöckel´. Je höher desto stylischer.
Die Farbe der Schuhe sollte genauestens mit der gewählten Grundfarbe
abgestimmt sein. Einfarbige Schuhe, frisch gewienert in strahlendem
Lack. Oder alternativ auch gern Schuhe mit Tierfellmuster.
Grundsätzlich
gehört auch eine Handtasche zur Pflichtausstattung einer modebewußten
Transe. Auch wenn erfreulicherweise weder Damenbinden noch Tampons
transportiert werden müssen, müssen ja schließlich die Utensilien zum
Nachpudern und Nachschminken untergebracht werden. Die Tasche darf
weder zu klein sein (dann sieht sie keiner!) und schon gar nicht zu
groß (sonst versperrt sie die Sicht auf den Rest der Transe!).
Einfarbige Lacktaschen oder paillettenbesetzte Schwenkköfferchen sind
für den Betrachter stets eine Augenweide – und das Puderdöschen bleibt
stets griffbereit in Reichweite.
Große, auffällige und edle
Broschen, wertvolle, diamantenbesetzte Diademe, goldene, rubinbesetzte
kleine Krönchen, Zigarettenhalter für die noblen Fingerübungen und
Ringe mit dekorativen großen Halbedelsteinen an mindestens sieben
Finger gehören als Accessoires dazu. Colliers lenken von der fehlenden
Oberweite ab. Paillettengürtel lenken von der fehlenden Wespentaille ab.
Auch
die Sprache muß stark modifiziert werden, wann Mann als Transe was
hermachen will. Zuerst wechselt man die Oktave, wobei mindestens eine
Steigerung um eine vollständige Oktave erreicht werden muß. Zwei oder
gar drei Oktaven untermauern den Gesamteindruck zusätzlich. Als
nächstes legt man einen dezenten französischen Akzent zu. Zum besseren
Verständnis einfach ein paar Interviews mit Mirelle Matthieu
anschauen,“ berichtet das Portal Stupidedia.
„Gerhard war der
größte Schauspieler unserer Stadt,“ urteilt Maximilian Suppelmann,
Vorsitzender der örtlichen Schauspieler – Gewerkschaft. „Er war so
genial, daß selbst ich nie wußte, wann er Gerhard und wann er
Gerhardine war.“
„Ich habe unangenehme Erinnerungen an ihn,“
berichtet dagegen Sebastian Gyxz, oberster Bürger unserer Stadt. „Als
ich erfahren habe, daß ich zum Oberbürgermeister gewählt worden war,
wollte ich meiner Frau einen spontanen Freudenkuß geben. Leider hatte
ich da schon ein paar Bier zu viel intus und sah alles doppelt. Ich
griff daneben, entwischte Gerhardine und drückte ihr einen Kuß auf den
Mund. Als ich merkte, was sich da an der falschen Stelle regte, war es
zu spät und mir peinlich. Auch den rechten Schwinger meiner Frau werde
ich nicht vergessen.“
„Mein bester Kunde ist auf den Friedhof
umgezogen,“ klagt Laura. Sie ist Kosmetikerin und kümmerte sich immer
um Gerhard. „Der Spruch `Transen werden nicht älter, nur gehässigerŽ
stimmte bei ihm ganz und gar nicht. Gerhard ist sehr pfleglich mit sich
umgegangen, keine Exzesse, keine Frauen (dafür hatte er ja sich) und so
etwas. Er muß jeden Morgen stundenlang vor dem Spiegel gestanden haben
– wie eine richtige Frau. Da er nicht kochte, hatte er auch keine
Spülhände. Ich habe selten einen so gepflegten Mann gesehen.“
„Ich
bin verärgert. Gerhardine ist viel zu früh von uns gegangen. Um wen
soll ich mich jetzt kümmern,“ fragt Xaver – Yolanderius. Sein Kommentar
ist kurz und knapp. Schließlich ist er als Gerhardines Redenschreiber
jetzt arbeitslos.
Gerhardine wurde 49 Jahre alt. Wir werden ihn vermissen.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Andreas Rüdig).
Der Beitrag wurde von Andreas Rüdig auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.11.2008.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Andreas Rüdig als Lieblingsautor markieren
Farbtupfen für die Seele
von Hans-Jürgen Hendricks
Kurzgedichte und Aphorismen zu den verschiedensten Themen.
Ein Cocktail aus Gefühlen und Gedanken.Allen gemeinsam ist ein Mix von
Ernsthaftigkeit, Humor und verhaltener Ironie. Eine Fundgrube von Sprüchen,
passend zu vielen lebensnahen Situationen.
Alle Texte sind "SMS-tauglich" (max. 160 Zeichen).
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: