Markus Mund

Schull'y'ung

Ich hatte heute meinen Driespaddeligen. Bin kurz vor Ladenschluss noch Flüssigbrot für den Feiertag einkaufen gefahren. Hab Leergut in den Rucksack gepackt, mich aufs Rad geschwungen und ab der Fisch. Bei Netto 'nen Wagen losgemacht und geschaut, ob ich noch irgendwas an Nahrungsmitteln brauch. Der Laden war ziemlich leer. Hinten rechts nahe dem Käse- und Wurstkühlregal ist mir eingefallen, dass ich vielleicht noch Obst oder Gemüse brauchen könnte. Was auch immer. Wagen stehen gelassen, nach vorne zur Obst - und Gemüsetheke gegangen und gedacht: Na ja, übermorgen ist schon wieder ein Werktag (sind Samstage ja auch). Ich werd schon nicht verhungern bis dahin.

Zurück zur Käse- und Wurstkühltregal hinten rechts.

Der Wagen war weg.

Ich in die beiden anderen Gänge geschaut - nichts zu sehen, was größere Warenmengen ohne Bruch zur Kasse bringen könnte. Das einzige Drahtgestell auf vier Rädern weit und breit wurde von einem älteren Herrn mit Milchprodukten beladen.

Und dann ging mir durch den Kopf: "Könnte meiner sein. Aber wenn der Mann das mit Absicht gemacht hat, wird er's wohl abstreiten".
Das nächste Bild, was ich vor meinem inneren Auge sah, war ein Artikel in der Samstagsausgabe der Bild:
"KLAUEN, WO ES NUR GEHT! ... Gestern starb ein armer herzkranker Arbeitssuchender an Herzinfarkt, nachdem ihm ein älterer Mann mit Migrationshintergrund einfach seinen Einkaufswagen entwendet hatte. Er hatte sich so auf das Eis gefreut, was er sich von diesem letzten Euro zu Ostern noch hätte leisten können ..."

WAS FÜR EINE TRAGÖDIE! ICH WERDE ES NICHT DAZU KOMMEN LASSEN!

Und so wurde der ältere Herr mit Migrationshintergrund beim Füllen des Einkaufswagens mit gekühlten Milchprodukten auf einmal von einer energischen Stimme hochgeschreckt: "ICH HABE DOCH GERADE EBEN HIER MEINEN WAGEN STEHEN LASSEN. DER KANN DOCH NICHT EINFACH WEG SEIN?!"

"Ach, das war Ihr Wagen?" hörte ich den älteren Mann mit einem Akzent sagen, der auf eine türkische oder arabische Herkunft schliessen liess.
"Gut möglich, dass das mein Wagen ist. Ich wüsste nicht, wo er sonst sein könnte."
"Das tut mir leid. Schull'y'ung. Schull'y'ung, das tut mir leid ..."

Der Mann nestelte ein rotes rundes flaches Stück Plastik aus einer Hosentaschen und bemühte sich, den Euro mit Hilfe dieses Euroimitats wieder aus der Pfandhaltevorrichtung des Wagens herausfrimmeln. Es mißlang.
"Hey, ist kein Ding ..."
"Schull'y'ung ...". Da die Tauschaktion nicht funktionierte, fuhr der Mann den Wagen schliesslich zur Kasse. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass jemand in etwa 90 Sekunden so häufig das Wort "Schull'y'ung" sagt.
Weil es so leer war, konnte er die Waren direkt aufs Band legen und gab mir dann den Wagen mit einigen weiteren "Schull'y'ung"s wieder zurück.
Ich lächelte ihn an. "Hey Mann, Sie sind richtig ehrlich. Find ich gut!"
Endlich verstand er und lächelte zurück. Sah mir dabei in die Augen. "Wünsche Ihnen frohe Osterfeiertage."
"Ja danke, ich Ihnen auch"

Nicht nur ich habe heute anscheinend meinen driespaddeligen gehabt. Und manchmal ist es dann richtig schön, geweckt zu werden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.09.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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