Müllers Hausmeistergeschichten
Müller hatte den Winter hinter sich gelassen und beim Zahnarzt war er auch gewesen. Das Letztere konnte er nicht mehr auf die lange Bank schieben, aber seine Zahnärztin arbeitete ja neuerdings mit Lachgas. So döste er bei einer harmlosen Zahnreinigung vor sich hin und dachte über Gott und die Welt nach.
Im Frühling hatte er die Beete, die rund ums Haus verliefen in Ordnung gebracht und ordentlich Restlaub geharkt, vom letzten Herbst. Als er alles erledigt hatte, stützte er sich auf die schon leicht ramponierte Harke und lächelte zufrieden. „So, nun kann der Sommer kommen.“
„Mensch Müller, du weißt ja gar nicht, ob wir einen anständigen Sommer bekommen!“, rief Ede Menke vom Balkon. „Verschrei es ja nicht!“
Müller schob seine Kappe nach hinten, die er sich letztes Jahr an der Nordsee gekauft hatte, und zeigte ihm einen Vogel. „Ich verschrei gar nichts!“, rief er Ede zu. „Dieses Jahr bekommen wir einen tollen Sommer, das habe ich im Urin!“
Doch nun war er da, der Sommer. Aber nicht so, wie Müller es sich erhofft hatte. Es war heiß, stickig und schwül. Seine Frau hatte fast täglich Kreislauf und auch Müller kämpfte mit den täglich ansteigenden Temperaturen. Aber draußen musste weiterhin für Ordnung gesorgt werden, denn Pflicht war Pflicht. Auch heute. Nur mit einem Unterhemd und einer Shorts bekleidet, machte er sich auf die Suche nach Müll. Im Baumarkt hatte er sich einen Greifer besorgt, so musste er sich nicht bücken, denn das fiel ihm bei den Temperaturen schwer.
Kaum war er aus der Haustür getreten, öffneten sich die Schweißporen auf seinem Kopf.
„Mein Gott, hoffentlich kippe ich nicht um“, stöhnte Müller und suchte erstmal links vom Haus alles ab, denn da war etwas Schatten. „Verdammte versoffene Brut!“, schimpfte er. „Wenn ich euch erwische, trete ich jedem Einzelnen ins Hemd. Wenn ihr schon so viel saufen müsst, dann räumt gefälligst auch eure Flaschen weg.“ Müller sammelte alle leeren Bierflaschen ein und fluchte weiter vor sich hin. Er fand nicht nur Bierflaschen. Nein, Eisbecher, Chipstüten und Coladosen ebenfalls. Es war jeden Tag das gleiche Theater. Spät abends schlugen die Übeltäter auf. Setzten sich auf die Steintreppe und schütteten, was das Zeug hielt.
Ida Menke schlenderte auf ihn zu. „Das ist eine Sauerei, Müller. Die Flaschen würde ich sammeln und mir das Pfand einstecken. Überleg doch mal. Jeden Tag liegen da sechs bis sieben Flaschen im Gebüsch. Mensch, da kannst du dir deinen Urlaub zusammensparen.“
Müller grinste. „Was meinst du, was ich mache?“ Letzte Woche war Schützenfest gewesen und da hatte er mit Ida Brüderschaft getrunken, und seitdem duzten sie sich. Müller war schon mit sechszehn Jahren dem Schützenverein beigetreten. Damals hatte es ihm die Knüppelmusik angetan und Müller wurde zum Paukenschläger. Heute marschierte er nur noch mit. Einmal hatte er gehört, wie eine braun gebrannte Granate zu ihrem Freund sagte, als der Zug an ihnen vorbei marschierte. „Oh Gott, jetzt kommt der Schrott. Die wackeln jedes Jahr hinterher.“
Eigentlich wollte er aufgrund dessen, austreten. Aber Inge, seine Frau, bekniete ihn es nicht zu tun. „Störe dich doch nicht an solchen Hühnern. Seit wann bist du eigentlich so eitel? Mensch Manfred, wenn du Austritts hast du gar nichts mehr. Ich meine, dann haben wir gar nichts mehr. Oder willst du mit mir zur Gymnastik gehen?“ Da Müller das nicht wollte und Inge recht hatte, blieb er der Bruderschaft treu ergeben.
Müller schlug sich auf die andere Seite der Wohnanlage und sammelte weiter den anfallenden Müll ein. „Jetzt muss die Inge auch ran“, nuschelte er. „Das Unkraut muss weg und der Rasen muss auch gemäht werden.“ Er griff nach dem Handy und rief seine bessere Hälfte an, die auf dem Balkon saß. Müller hörte es bimmeln und kam sich ziemlich blöd vor. Also legte er auf und rief: „Inge, schnapp dir mal den Unkrautschieber. Das sieht aus wie Kraut und Rüben. Ich werde den Rasen mähen.“
Inges hochroter Kopf schob sich über die Balkonbrüstung und schaute ihn entsetzet an. Aber sie sagte nichts wegen der Nachbarn, die schon gespannt ihre Hälse reckten. Doch Müller sah ihr an, dass sie ihm am liebsten an die Gurgel gegangen wäre.
Fünf Minuten später stampfte sie, bewaffnet mit einem Unkrautschieber auf ihn zu und knurrte: „Wir haben 36 Grad, du Idiot.“
Müller zuckte nur mit den Schultern. „Was muss, das muss. Bekommst heute Abend auch ein Würstchen mehr zu essen.“
„Du bist echt behindert im Schädel“, flüsterte Inge sauer und fing an Unkraut zu schieben.
„Schieb dir dein Würstchen sonst wohin.“
Während er den Rasenmäher holte, überlegte Müller, wo man sich ein Würstchen noch hinstecken konnte. Er wusste ja wo. In die Nase oder in die Ohren, aber wie sähe das aus? Vor seinen Augen tauchte ein Bild auf. Er sah sich auf dem Balkon stehend, in jedem Ohr ein Bratwürstchen. Fröhlich hob er das redlich verdiente Bierchen und prostete allen Nachbarn zu, die sich von ihren Stühlen erhoben und ihm Applaus zollten. „Hitzekoller“, gackerte er und lachte.
Als Müller mit dem Rasenmäher zurückkam, hatte Inge keine Frisur mehr. Das Wasser lief ihr aus den Haaren und verdampfte auf dem heißen Boden. Mit hochrotem Gesicht schleppte sie sich in den Schatten und krächzte nach Wasser. Müller eilte zu den Mülltonnen, auf denen er eine Wasserflasche abgestellt hatte, und brachte sie ihr.
„Kaltes Wasser“, keuchte seine bessere Hälfte und wischte sich mit dem Rand ihres T-Shirts den Schweiß aus dem Gesicht.
Die junge Nachbarin hatte das Schauspiel beobachtet, da sie genau gegenüber wohnte, und schickte ihren Sohn, der Inge eine kalte Flasche Wasser in die Hand drückte. Müller hätte auch gerne, aber Inge schaute ihn nur hämisch an. Sie trank gierig die halbe Flasche aus und schüttete sich den Rest über den Kopf. Dabei grinste sie und ließ ihn nicht aus den Augen.
„Das war’s Müller“, geiferte sie, „ich gehe hoch. Mähe mal schön deinen Rasen. Mäh … mäh … mäh. Wenn du morgens mit deinem Allerwertesten eher aus dem Bett klettern würdest, könnte das hier schon längst erledigt sein. Weißt du, dann ist es nämlich noch kühl. Aber nein, wir müssen ja bei fast 40 Grad alles erledigen. Pflicht ist Pflicht, sagst du? Dann acker schön. Aber pass gut auf, dass du nicht umkippst, denn ich bekomme nur sechzig Prozent deiner Rente.“
„Das ist auch nicht fair!“, rief Butzkes Frau wütend. „Wir haben die Kinder groß gezogen, den Haushalt erledigt und sind nebenbei noch putzen gegangen! Tzzz, und dann bekommen wir nur sechzig Prozent! Wir Frauen werden so in die Altersarmut getrieben!“
Inge war jetzt wieder voll dabei und stemmte eine Hand in die Hüfte. Mit der anderen fuchtelte sie in der Luft herum. „Das sage ich Ihnen. Wenn der mir jetzt ins Loch springt, muss ich die magere Rente, die ich von ihm bekomme, aufstocken lassen. Ich habe ja noch ein paar Jahre, bis ich meine eigene Rente auf dem Konto sehe.“
Jetzt mischte sich auch Ida Menke ein. „Von den Kindern kann man auch nichts erwarten. Die haben ihre eigenen Familien und kommen gerade so klar. Es ist nicht mehr wie zu unserer Zeit, als wir Mütter zuhause waren. Da stand das Essen auf dem Tisch und die Hausaufgaben wurden kontrolliert. Und wenn sie raus zum Spielen waren, wusste ich immer, wo sie waren. Heute haben die Kinder ihre eigenen Schlüssel und sind sich selbst überlassen. Aber wenn Ede mal auf dem Knochenacker wohnt, habe ich genug zum Leben.“ Ida lachte und nippte an ihrer Cola.
„Müller, Müller!“, rief Ede vom Balkon. „Wie kommen die da drauf, dass wir eher das Zeitliche segnen?“
„Weil die uns zu Lebzeiten bekloppt machen“, antwortete Müller und schmiss den Rasenmäher an. Er war sauer, dass Inge schon über sein Ableben und die damit verbundene magere Rente diskutierte. Aber sollte sie doch. Wenn er tot war, war er tot und wusste von nichts mehr. Unermüdlich schob er den Rasenmäher hoch und runter und dachte nach. Sein Unterhemd triefte und die Shorts klebte, aber er machte weiter. Was, wenn es stimmte, und es gab ein Leben nach dem Tod? Würde er dann ab und zu kontrollieren können, ob Inge ihrer Hausmeistertätigkeit auch nachging? Müller schnaufte wie ein wütender Stier, denn ihm kam der Gedanke, dass wohl schnell ein anderer seinen Hut bei Inge an den Nagel hängen würde. Inge könnte dann seine Rente mit dem Neuen verprassen und sich über den toten Gatten, an dem schon die Würmer nagten, amüsieren. Wahrscheinlich würde sie auch nicht um ihn trauern, sondern wütend und keifend hinter seinem Sarg herlaufen. Und weil ihre Rente dann so mager wäre, würde sie ihn nur halb einbuddeln lassen, damit er seine letze Ruhestätte gefälligst selber sauber hielt. Müller war jetzt so sauer, dass er den Rasenmäher ausstellte und rief: „Ich fege jetzt zusammen, dann können wir hochgehen.“
„Na endlich“, sagte Inge versöhnlich. „Komm, ich helfe dir.“
Gemeinsam harkten sie die Gras - und Unkrautabfälle zusammen und entsorgten diese in einer grünen Tonne.
„Liebst du mich eigentlich noch?“, fragte Müller kleinlaut, als Inge sich bückte und er in ihren Ausschnitt gucken konnte. „Ich meine, wenn du jetzt schon über meinen Tod nachdenkst.“
„Natürlich liebe ich dich. Und ich habe auch nicht über deinen Tod nachgedacht, sondern über die magere Rente, die ich dann bekomme. Mensch Müller, bist du empfindlich.“
Aber der Müller wäre nicht der Müller, wenn er dieses nicht getan hätte. Er schnappte sich Inge und drückte sie an sich. Ihre schweißnassen Leiber glitschten aneinander vorbei und landeten auf dem frisch gemähten Rasen.
„Jetzt können wir uns beide an den Geruch der Erde gewöhnen!“, rief Müller und lachte, bis ihm die Tränen kamen.
Der Müller war eben der Müller.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.04.2018.
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