Heinz-Walter Hoetter

Der Auftragskiller

Der Morgen begann mit einem heftigen Regenschauer. Mittlerweile war es Mitte Februar geworden, doch der Winter ließ sich einfach nicht blicken. Dagegen verdeckten graue Regenwolken die meiste Zeit den trüben Himmel über New York und die allgemeinen Temperaturen waren viel zu warm für diese Jahreszeit.

Die Menschen regten sich allerorten über das schlechte Wetter auf. Nichtsdestotrotz mussten sie es hinnehmen wie es war und sich damit zufrieden geben, was die Natur für sie an Klimakapriolen bereit hielt.

Wegen des miesen Morgenwetters hasteten die Stadtbewohner mit hochgezogenen Schultern und eng anliegenden Mantelkragen durch den stickigen Dschungel aus Straßen und Gebäuden. Niemand hatte auch nur einen Blick für den anderen. Deshalb bemerkte auch keiner die Gestalt, die aus einem altmodisch aussehenden Antigravitationsgleiter stieg und wie beiläufig in der regennassen Umgebung herumschaute.

Ein paar Sekunden später ging sie ans Ende des geparkten Gleiters, öffnete den Kofferraumdeckel des Rad losen Vehikels und holte eine länglich aussehende, schwarze Tasche heraus. Die ominöse Gestalt, ein etwa fünfunddreißig Jahre alter Mann, schulterte das Gepäckstück und steuerte schließlich direkt auf den Eingang eines ziemlich herunter gekommenen Hotels zu, das in einer dunklen, nur diffus beleuchteten Seitenstraße lag.

Vor dem überdachten Eingang des schäbigen Hotels stand ein fettleibiger Portier, der den heran nahenden Mann aus wässerigen Augen aufmerksam beobachtete. Kaum stand der Gast vor ihm sagte er zu ihm: "Hier wird im Voraus bezahlt! Eintragung in die Gästeliste nur auf Wunsch. Kostet allerdings etwas mehr. Ist das klar? Außerdem dulden wir keine Weiber auf dem Zimmer! Wenn Sie nicht damit einverstanden sind, dürfen Sie sich gleich wieder umdrehen und Leine ziehen, mein Herr!"

"Ich akzeptiere natürlich. Ich werde ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten."

"In Ordnung, dann gehen Sie bitte zur Kasse rüber! Die liegt genau in dieser Richtung, gleich gegenüber von unserem Standort. Ein Rezeptionsandroide wird Sie dort in Empfang nehmen", sagte der Portier und ließ den Mann mit der umgehängten Langtasche passieren.

Als der neue Gast vor dem sich reserviert benehmenden Empfangsandroiden stand, forderte der sofort mit plärrender Stimme die übliche Kreditkarte an. Der Mann griff in seine rechte Hosentasche, zog eine goldfarbene Bankkarte hervor und legte sie demonstrativ auf die Theke. Aufmerksam beobachtete er die Reaktion des elektronischen Dienstleisters.

Der Androide fingerte gierig nach der Geldkarte, steckte sie geübt in den Schlitz eines Computers und wartete ab was passieren würde. Einen Moment später weiteten sich seine künstlichen Augen und sein Verhalten wurde schlagartig freundlicher. Offenbar befand sich auf der Kreditkarte eine ziemlich hohe Summe an Guthaben. Dann sagte er: "Sir, wenn Sie es wünschen, gebe ich Ihnen unser bestes Zimmer oben im fünften Stockwerk. Von da aus haben Sie einen fantastischen Blick über die ganze Stadt, da unser Hotel zudem noch auf einer kleinen Anhöhe steht und somit alle anderen Gebäude weit überragt. Ein komfortables Zimmer wäre in der fünften Etage noch frei."

Der Gast nickte mit dem Kopf und nahm die Codekarte für das besagte Hotelzimmer wortlos entgegen. Der Androide zog den Rechnungsbetrag vom Guthaben ab und reichte die Geldkarte an seinen Besitzer zurück. Danach setzte sich dieser in Bewegung und steuerte direkt auf den Fahrstuhl zu. Im fünften Stock stieg er aus und schlenderte den langen Korridor entlang. Irgendwie roch es hier oben nach abgestandener Luft. Aber das störte ihn nicht weiter. Endlich erreichte er die Tür mit der Nummer 510, zog die Codekarte durch das elektronische Schloss und stand nur wenige Sekunden später im tadellos hergerichteten Zimmer.

Der Mann stellte seine Langtasche behutsam auf dem Boden ab und trat ans Fenster. Der Empfangsandroide hatte recht gehabt. Der Blick über die Stadt war perfekt. Fast jede Straße und jede Kreuzung konnte er ohne Schwierigkeiten einsehen. Zufrieden ließ er sich auf das weiche Bett fallen, das in der rechten Ecke gleich neben dem Fenster stand.

Nach einer Weile stand er wieder auf, öffnete die lange Tasche und breitete den Inhalt vor sich auf dem Bett aus. Dann begann er vorsichtig damit, die einzelnen Teile einer Waffe zusammenzubauen, die sich bald als ein hochmodernes Scharfschützengewehr entpuppte. Nachdem alles zusammengesetzt war, kontrollierte der Mann ein letztes Mal seine Spezialwaffe mit Schalldämpfer, steckte das geladene Magazin in den Magazinschacht und lud durch. Danach ging er zum Fenster, öffnete es behutsam und blickte angestrengt in die Tiefe.


In Gedanken ging er immer wieder den Plan durch, schätzte die ungefähre Entfernung zum Ziel ab und stellte sich den Fluchtweg vor, den er sich zurecht gelegt hatte, um unerkannt verschwinden zu können.

Plötzlich summte seine klobige Armbanduhr. Sekunden später baute sich ein weiß-blaues 3-D Bild auf. Das flackernde Gesicht einer jungen Frau erschien. Bald hatte es sich stabilisiert.

"Hier spricht Madame Butterfly. MX, hören Sie mich?"

"Ja, laut und deutlich. Das Bild ist erstklassig. Die Übertragung steht. Wie ist die Lage, Madame Butterfly?"

"Das Ziel fährt einen schwarzen Antigrav mit einer gläsernen Fahrerkuppel. Es nähert sich jetzt der Kreuzung direkt vor ihrem Hotel. Das Fahrzeug ist jetzt noch zwei Häuserblocks weit entfernt. Machen Sie sich bereit, MX!"

"Alles klar! Ich bin bereit, Madame Butterfly. Wo befinden Sie sich jetzt?"

Ich befinde mich direkt hinter dem Ziel in einem weißen AGG mit Düsenantrieb. Also passen Sie auf, wohin Sie schießen, MX. Der erste Schuss muss sitzen. Ich bin nur dazu da, um den Abschuss zu bestätigen, damit unser Kunde sicher sein kann, dass alles wunschgemäß abgelaufen ist. Nach erfolgreicher Arbeit wird das Geld sofort auf das von Ihnen angegebene Konto überwiesen. So, das war's dann, MX."

"Keine Angst, ich bin einer der besten Scharfschützen und habe bis jetzt noch kein Ziel verfehlt. Ich mache jetzt Schluss. Das Zielobjekt nähert sich der Kreuzung. Ich beende das Gespräch."

Der Mann stellte sich in aller Ruhe ans geöffnete Fenster, positionierte das Scharfschützengewehr am Holzrahmen und suchte durch das Zielfernrohr nach sein Opfer. Bald hatte er das bewusste Fahrzeug mit der gläsernen Fahrerkuppel gefunden und zoomte die ahnungslose Zielperson heran.

Die saß still und stumm hinter ihrem Steuerknüppel und konzentrierte sich auf den Verkehr, der allerdings noch zu diesem Zeitpunkt ziemlich überschaubar war.

Der heimliche Schütze drückte das Gewehr mit dem lange Zielfernrohr fester an die Schulter. Sein Zeigefinger krümmte sich langsam um den Abzug. Die Ampel an der Kreuzung sprang plötzlich auf Rot und die Zielperson brachte seinen AGG augenblicklich zum Stehen. In diesem Augenblick drückte der Mann am Fenster ab.


 

Lautlos verließ das Geschoss den schallgedämpften Lauf des Scharfschützengewehres, durchschlug die Glaskuppel des Antigravitationsgleiters und traf den Fahrer voll in den Kopf, der wie eine reife Melone zerplatzte. Gehirnmasse, Knochensplitter und ein riesiger Schwall Blut verteilte sich im Wageninnern. Im nächsten Moment fiel der Oberkörper des Opfers nach vorne auf den Steuerknüppel und setzte den AGG schlagartig in Bewegung. Das Vehikel raste mit hoher Geschwindigkeit über die belebte Kreuzung, durchbrach einen gegenüberliegenden Holzzaun und kam erst in einem kleinen Parksee wieder zum Stehen. Passanten stoben kreischend auseinander und brachten sich in Hauseingängen oder hinter abgestellten Fahrzeugen in Sicherheit.

Nach dem treffsicher abgegebenen Schuss zerlegt der Schütze sein Gewehr seelenruhig in seine Einzelteile, verstaute alles akkurat wieder in der schwarzen Langtasche, warf noch einmal einen prüfenden Blick aus dem Fenster, schloss es vorsichtig und verließ gut gelaunt das Hotelzimmer.

Am Ende des Korridors öffnete er leise und behutsam die Balkontür, stieg über die Feuerleiter runter in den Innenhof und verließ auf diese Weise den inneren Bereich des Hotels. Bald hatte er sein in der Nähe abgestelltes Fahrzeug erreicht, verstaute sein eingepacktes Scharfschützengewehr unter einer dicken Decke im Kofferraum und nahm wenige Augenblicke später hinter dem Steuerknüppel seines AGG's Platz. Er startete die Turbine und das Fahrzeug setzte sich mit anwachsender Geschwindigkeit in Bewegung.

Keine fünf Minuten später summte abermals seine klobige Armbanduhr. Ein Bild baute sich auf. Kurz danach krächzte eine automatisch generierte Stimme.

"MX! Sie haben Ihre Arbeit perfekt zu Ende gebracht. Unser Auftragsdienst hat das Finanzielle bereits veranlasst. Danke für die gute Zusammenarbeit! Wenn wir Sie wieder in Anspruch nehmen müssen, melden wir uns. Bis dahin wünschen wir Ihnen alles Gute!"

"Na klar. Solange die Kohle stimmt, übernehme ich jeden Auftrag. Davon lebe ich ja. Ich hoffe daher, dass wir schon bald wieder ins Geschäft kommen werden."

In diesem Moment wurde die Nachricht unterbrochen. Das 3-D Bild verschwand und der Mann konzentrierte sich jetzt auf das manuelle Einbiegen seines AGG's in die Fahrspur der Hochgeschwindigkeitsautobahn, die ihn weit ins üppig grüne Hinterland New Yorks des Jahre 2125 bringen würde.

Während der Fahrt dachte der Auftragskiller darüber nach, wie viel ihn der letzte Abschuss finanziell wohl eingebracht hatte. Das hing in der Regel vom Wert des Opfers ab, das zu beseitigen war, fiel ihm dazu ein und loggte sich mit einem ganz bestimmten Kennwort in sein Geheimkonto ein. Eine Summe von weit über 100.000 Dollar war erst vor wenigen Minuten eingegangen.


 

„Muss wohl ein hohes Tier gewesen sein, das ich da erledigt habe“, sagte er mit halblauter Stimme zu sich selbst, drückte kurz darauf den Steuerhebel ganz nach vorne und beschleunigte seinen Antigravitationsgleiter auf Höchstgeschwindigkeit.


 

ENDE


 

(c)Heinz-Walter Hoetter

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.12.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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