Estartu

Die Verwechslung

Vorwort
Hallo liebe Leserinnen und Leser, viel Spaß mit der nachfolgenden Geschichte, es handelt sich hier um mein Erstlingswerk, ich bin gespannt auf Eure Kommentare und Kritiken. Die Geschichte ist selbstverständlich reine Fantasie und frei erfunden. Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle an eine gute Freundin, die mit Fleiß und Wissen maßgeblich dazu beigetragen hat, die schlimmsten Rechtschreib- und Grammatikfehler zu beheben.


Kurt war ein ziemlich unscheinbarer Typ, Mitte 40, so um die 1 Meter 75 groß und mit seinen 90 Kilos etwas untersetzt gebaut. Seine Haare, die bereits anfingen leicht grau zu werden, waren meist ziemlich kurzgeschnitten, seine Klamotten stammten fast alle aus günstigen Onlineversandhäusern. Er wohnte zur Miete in einem kleinen Ort und besaß ein kleines und bereits etwas älteres Auto. Alles in allem kein Typ, nach dem sich die Frauen auf der Straße umdrehen würden. Sein Leben verlief recht eintönig, er arbeitete tagsüber in einem Callcenter als Kundenberater, ein stressiger und zudem schlecht bezahlter Job, den er nur ertrug, weil er Probleme mit Veränderungen hatte (er war ein ‚Gewohnheitstier‘) und das Gehalt immer pünktlich kam. Kurt hatte nur wenige, dafür aber gute Freunde, sie trafen sich regelmäßig zum Filmabend oder im Sommer auch zum Grillen. Er hatte allerdings noch nie eine Beziehung zu einer Frau, er war zwar ein paar mal verliebt, aber das war stets einseitig von ihm ausgegangen und deswegen ein eher trauriges Kapitel. Die Einsamkeit machte Kurt zunehmend zu schaffen, zumal seine Freunde fast alle glücklich verheiratet waren. Er fing an sich mehr und mehr in sich selbst zurückzuziehen, was die Sache natürlich nicht besser machte, sondern im Gegenteil noch verschlimmerte. Um sich wenigstens etwas abzulenken, fing er an intensiv, ja sogar schon fast exzessiv Sport zu treiben und einige Kurse in Selbstverteidigungstechniken zu belegen. Er ahnte nicht, dass der Zeitpunkt nicht fern war, an dem er einmal dankbar dafür sein würde. Irgendwann war aber, trotz aller Bemühungen, der Punkt erreicht an dem Kurt einfach nicht mehr so weiter machen konnte und er wegen eines Nervenzusammenbruchs und Schlafproblemen einen Arzt aufsuchen musste und dieser bei ihm eine mittelschwere Depression diagnostizierte. Das war die Situation bevor das Schicksal zuschlug und Kurts Leben in eine völlig andere Richtung drängte.

Besagtes Schicksal nahm seinen Lauf in Form von Kurts neuen Nachbarn, die im Haus gegenüber einzogen. Es war wieder einer dieser für Kurt furchtbar langweiligen Samstage. Als er gerade vom Einkaufen zurückkam, bemerkte er einen kleinen LKW vor dem Haus gegenüber, und einige Leute die sich mit Möbeln abmühten. Da Kurt, trotz seiner depressiven Phasen, immer noch ein hilfsbereiter Mensch war, ging er kurzentschlossen hinüber, um seine Hilfe anzubieten. Er ging also hin und sagte „Einen recht schönen guten Tag, ich bin Ihr neuer Nachbar und wollte fragen, ob ich Ihnen behilflich sein kann?“ Der ältere, aber nichtsdestotrotz noch sehr rüstig wirkende Herr, stutzte kurz und entgegnete dann „Das ist sehr nett von Ihnen, ich hatte gedacht, dass wir es allein schaffen, aber zumindest die Waschmaschine ist für meine Frau und meine Tochter dann doch zu schwer. Wenn Sie da kurz mit anfassen könnten …“, Kurt entgegnete „Na klar doch, gerne, ich bin übrigens Kurt.“ Der alte Herr gab ihm die Hand, er hatte einen kräftigen Händedruck, und erwiderte „Vielen Dank, ich bin Uwe, falls Du nichts dagegen hast, schlage ich vor, dass wir von jetzt an ‚Du‘ sagen, wie es unter zukünftigen guten Nachbarn üblich ist.“ Kurt war sofort einverstanden, die offene herzliche Art des Mannes gefiel ihm. Lachend fuhr Uwe fort „Die Alte hinter Dir ist übrigens meine Frau.“ Kurt hatte nicht mitbekommen, dass jemand hinter ihm stand. Und als er sich umdrehte, stand er einer stattlichen Frau Mitte 60 gegenüber. „Hallo und danke dass Du uns helfen willst, ich bin Roswitha, kannst aber einfach Rosi zu mir sagen.“, begrüßte sie ihn. Und zu ihrem Mann, mit scherzhaft erhobenem Zeigefinger „Über die Alte reden wir noch Freundchen.“ Dass sie ihn wie selbstverständlich sofort duzte, bemerkte Kurt gar nicht richtig, so sehr erinnerten ihn die beiden an seine eigene Familie und er musste kurz schlucken, da die Erinnerungen an seine Eltern plötzlich wieder da waren. Die Stimme von Rosi riss ihn aus seinen schmerzenden Gedanken, sie rief mit respektabler Lautstärke „Doro, komm bitte mal kurz und sag Hallo zu unserem neuen Nachbarn und Helfer.“ Eine Stimme, die Kurt als sehr angenehm empfand, antwortete aus dem Hausflur „Ja Mama, bin gleich da!“ Rosi bemerkte Kurts fragenden Blick und erklärte augenzwinkernd „Unsere Tochter, sie heißt eigentlich Dorotha aber Doro ist kürzer. Na ja, Du wirst sie ja gleich kennenlernen.“ Bei Dorotha musste Kurt sich ein Grinsen verkneifen, da ein Model aus einem Erotikmagazin, welches er mal gelesen hatte, zufällig ebenso hieß.

Inzwischen war die Gerufene angekommen, lächelte ihm zu, „Hallo, wie ich sehe, hat meine Mama Dir schon meinen Spitznamen verraten, Du bist unser neuer Nachbar, stimmt‘s? Ich habe Dich vorhin gesehen als Du vom Einkaufen kamst, sehr nett von Dir, dass Du uns helfen willst. Verrätst Du mir jetzt auch Deinen Namen?“ sprudelte sie hervor. Kurt war einen Moment völlig baff, das hatte er nicht erwartet, vor ihm stand eine Frau Anfang der Vierzig mit schulterlangen, rotbraunen Locken. Sie war kleiner als Kurt, er schätzte sie auf 1 Meter 60, hatte bestimmt keine ‚Modelmaße‘, aber trotzdem eine gute Figur. Sie trug einfache Jeans und ein dunkles Sweatshirt. Beides stand ihr, so fand Kurt zumindest, sehr gut. Dazu passten auch ihr offenes und freundliches Lächeln sowie ihre unbekümmerte Art. Kurt war sofort fasziniert, ihm wurde sogar etwas flau im Magen. Er konnte es noch nicht zuordnen, aber Amors Pfeil hatte ihn voll getroffen. Kurt hatte sich in diesem Moment sozusagen auf den ersten Blick in Dorotha verliebt. Er erwiderte ihr Lächeln und sagte, leicht errötend, „Nett ist mein zweiter Vorname, ansonsten bin ich einfach nur Kurt.“ Er wollte gerade noch etwas sagen, da meldete sich Doros Vater mit einem scherzhaften „Heh Ihr zwei, nicht rumstehen und turteln – anpacken!“ Worauf Doro „Ja Papi“ entgegnete und beide herzhaft lachten, dann gingen sie gemeinsam an die Arbeit.

Zusammen war der Einzug schnell erledigt und gleichzeitig erfuhr Kurt einiges über seine neuen Nachbarn. Sie hatten sich die Wohnung in der Stadt nach der letzten Mieterhöhung nicht mehr leisten können und waren froh, diese Wohnung hier gefunden zu haben. Beide waren bereits Rentner und ihre Tochter sollte erst mal mit in die drei Zimmer einziehen, bis sie was Eigenes gefunden hatte. Doro absolvierte zurzeit eine Weiterbildung im pädagogischen Bereich, ihr Traum war es schon immer, Lehrerin zu werden. Im Gegenzug erfuhren Kurts neue Nachbarn auch einiges über ihn, wo er arbeitete, dass er ein Haustier, einen grau-weiß getigerten Kater namens Mikesch hatte und dergleichen Kleinigkeiten mehr. Sie unterhielten sich so gut, als hätten sie sich schon Jahre lang gekannt. Nur wenn Doro ihn ansprach, wurde er sofort unsicher und musste oft nach den richtigen Worten suchen. Das passierte ihm doch sonst nicht so schnell, dass er ständig Angst hatte, was Falsches zu sagen? Dass eine Frau ihn derart verunsichern könnte, hätte er eigentlich nicht für möglich gehalten.

In den folgenden Tagen war Kurt ziemlich oft bei seinen neuen Nachbarn, um diesen behilflich zu sein, hauptsächlich aber, obwohl er sich das nicht eingestehen wollte, um Doro zu sehen. Ihre Eltern hatten ihn von Anfang an ins Herz geschlossen. Und als sie erfuhren, dass Kurt seine Eltern bereits verloren hatte, wurden sie so zu sagen zu seinen ‚Ersatzeltern‘. Allerdings bemerkten sie manchmal eine Traurigkeit bei Kurt, die gar nicht so recht zu ihm zu passen schien. Sie wollten aber auch nicht so genau nachfragen, da sie instinktiv ahnten, dass das ein ganz wunder Punkt in seinem Leben war. Kurt selbst war hin- und hergerissen, auf der einen Seite wollte er so viel Zeit wie möglich mit Doro verbringen, andererseits fürchtete er sich auch vor der Begegnung mit ihr. So vergingen einige Wochen, in denen Kurt und Doros Eltern zu guten Freunden wurden. Kurt half ihnen, so gut er konnte und auch sie waren stets für ihn da. Nur bei Doro selbst kam Kurt kein Stück voran, was vor allem daran lag, dass er sehr wenig Erfahrung in Liebesdingen hatte und er sich ständig Gedanken darüber machte, was alles schiefgehen könnte. So traute er sich einfach nicht, ihr seine Liebe zu gestehen. Deshalb bemerkte er auch nicht, dass sie ihn längst durchschaut und auch einiges für ihn übrig hatte.

Doro sagte dann auch eines Abends zu ihrer Mutter „Mama, ich mach mir Sorgen wegen Kurt, irgendwas stimmt da nicht“, „Was meinst Du denn damit?“, fragte ihre Mutter darauf hin, „Na ja, wie soll ich sagen, er kommt mir eben manchmal ein bisschen traurig vor, er hört auch immer so traurige Musik und manchmal, wenn er von der Arbeit kommt, sieht er so müde und erschöpft aus“, antwortete Doro. Ihre Mutter stutzte kurz und dachte dann bei sich „Aha, sie hat es also auch bemerkt“, laut sagte sie „Ja da ist was dran, ich hab‘ mich auch schon gefragt, was da los ist, vor allem wenn er manchmal spät Abends noch spazieren geht.“ Doro meinte dann „Vielleicht können wir ihm ja irgendwie helfen, ich mag es gar nicht, wenn er so traurig ist, er hat schon so viel für uns getan und noch nie irgendwas für seine Hilfe verlangt, ich hab‘ mich manchmal schon gefragt, warum er das alles überhaupt macht.“ In diesem Moment begann ihre Mutter zu ahnen, was wirklich mit Kurt los war und sie sagte „Pass auf, ich habe eine Idee, wir laden Kurt einfach mal zum Abendessen ein, und fragen ihn bei einer Flasche Wein, was ihn bedrückt, denn ich glaube nicht, dass er von sich aus was sagen wird.“ Doro stimmte sofort zu und übernahm es auch persönlich, die Einladung zu überbringen. Kurt freute sich sehr, als sie ihn besuchen kam, er zeigte ihr seine Wohnung und sie unterhielten sich noch eine ganze Weile über belanglose Dinge. Doro lernte bei dieser Gelegenheit auch Mikesch, den Kater von Kurt kennen. Sie schloss den kleinen Kerl gleich in ihr Herz und knuddelte ihn ausgiebig, nebenbei staunte sie nicht schlecht, wie ordentlich und aufgeräumt seine Wohnung war. Als sie sich von ihm verabschiedete, sagte sie noch, „Also nicht vergessen, nächsten Samstag halb sieben bei uns zum Abendessen“, worauf Kurt erwiderte „Keine Sorge, wie könnte ich das vergessen, eine so nette Einladung und noch dazu von einer schönen Frau?“. Doro drehte sich schnell um, damit er nicht sah, dass sie rot wurde, und sagte „Okay bis Samstag dann.“

Am vereinbarten Samstag war Kurt wie immer früh auf den Beinen, erledigte seine Einkäufe und brachte seine Bude auf Vordermann. Gegen Abend dann sein ‚Samstag abendliches Ritual‘, Duschen und Rasieren, nur diesmal noch ein wenig gründlicher als sonst. Auch seine Klamotten suchte er sehr sorgfältig aus, er entschied sich dafür, heute mal ein Hemd zu tragen, obwohl er sonst eigentlich selten Hemden trug, er hasste nämlich das Bügeln derselben. Für die Damen hatte er jeweils einen Blumenstrauß und für Uwe einen Elfer Kasten Bier von dessen Lieblingsmarke besorgt. So ausgestattet, klingelte er 10 Minuten vor der vereinbarten Zeit, und wurde von Rosi mit den Worten „Hallo Kurt, schön, dass Du da bist!“ begrüßt, er überreichte ihr die Blumen, worauf Rosi ihn ganz fest in die Arme nahm und ihn herzlich drückte. Anschließend überreichte er auch Doro ihren Strauß, worauf sie etwas verlegen meinte „Vielen Dank für die schönen Blumen, aber das wäre doch nicht nötig gewesen.“ „Für mich schon“, antwortete Kurt, „ich hoffe, sie gefallen Dir?“. „Das sind sogar meine Lieblingsblumen, woher wusstest Du …?“, fragte Doro. Rosi zwinkerte ihm verschwörerisch zu und legte sich so, dass Doro es nicht sehen konnte, den Zeigefinger auf die Lippen, er verstand sofort was sie meinte und antwortete augenzwinkernd „Mein kleines Geheimnis.“ Uwe begrüßte ihn nun ebenfalls, wie gewohnt mit einem kräftigem Händedruck und bedankte sich für die Bierkiste, nicht ohne Kurt scherzhaft anzudrohen, dass sie die demnächst zusammen leeren würden.

Nach dem Abendessen und einigen Gläsern Wein war es dann so weit, Uwe, der von den beiden Damen inzwischen informiert war, um was es ging, stupste seine Frau kurz an und flüsterte ihr zu „Ich denke, wenn überhaupt, dann sollten wir ihn jetzt fragen.“ Rosi nickte und wandte sich an Kurt „Sag mal Kurt, wir kennen uns jetzt schon eine ganze Weile und so langsam solltest Du doch auch wissen, dass Du uns vertrauen kannst, oder?“. Er erschrak und überlegte fieberhaft, was gemeint sein könnte, ihm fiel aber absolut nichts ein, also erwiderter er etwas unsicher „Ja, ich glaube, nein ich weiß, dass ich Euch vertrauen kann, aber warum fragst Du mich das jetzt?“. Rosi fuhr fort „Na ja, uns ist aufgefallen, dass Du manchmal so traurig wirkst, als würde Dich irgendwas bedrücken und haben uns Sorgen gemacht. Willst Du uns nicht endlich sagen, was los ist?“. Kurt wusste zunächst gar nicht, was er sagen sollte, dass sich jemand Sorgen um ihn machte, hatte ihm seit dem Tod seiner Mutter niemand mehr gesagt. Er brauchte einige Augenblicke, um sich zu sammeln, dann fing er an zu sprechen. Sie erfuhren, dass er eigentlich immer stark hatte sein müssen und nie gelernt hatte, Gefühle zuzulassen, dass er Schwierigkeiten hatte, seine Gefühle auszudrücken. Er berichtete weiter, dass er sich schon lange einsam fühlte und aktuell wegen Depressionen in Behandlung war. Ein weiteres großes Problem war, dass er niemanden hatte, mit dem er reden konnte, niemanden, dem er sein Herz ausschütten konnte. Sie unterbrachen ihn kein einziges Mal, irgendwie fühlten sie, dass er jetzt alles rauslassen musste. Bis jetzt hatte Kurt alles relativ sachlich schildern können, aber als er dann auf den Tod seiner Eltern, vor allem den seiner Mutter, zu sprechen kam, war es mit seiner Beherrschung vorbei. Er kämpfte mit den Tränen, bis seine aufgestauten und jahrelang unterdrückten Gefühle sich schließlich Bahn brachen. Mit Tränen erstickter Stimme sprach er schließlich weiter, bis Doro, die direkt neben ihm auf der Couch saß, ihn einfach ganz fest in den Arm nahm, sie hatte instinktiv gespürt, was er jetzt brauchte. Es dauerte mehrere Minuten, bis Kurt sich wieder einigermaßen gefangen hatte und seine Erzählung beenden konnte. Er sah Doro in die Augen und flüsterte einfach nur „Danke“. Sie nickte kurz als Zeichen, dass sie verstand. Danach war es einige Zeit still im Zimmer. Rosi war, da sie so etwas Ähnliches schon geahnt hatte, die erste, die etwas sagte „Menschenskind, Kurt, das tut mir alles so leid, warum hast Du nicht schon früher was gesagt? Du hättest doch jeder Zeit zu uns kommen können.“ Zu Kurts Erstaunen meldete sich Doro und antwortete „Mama, ich glaube, es ist gar nicht so einfach, um Hilfe zu bitten, vor allem wenn man es gewohnt ist, allein zu sein und außerdem kann ich mir denken, dass Kurt Angst hatte, uns mit seinen Problemen zur Last zu fallen.“ Kurt wusste nicht recht, was er sagen sollte, mit so viel Verständnis hatte er nicht gerechnet, „Doro hat vollkommen recht, ich wollte Euch wirklich nicht mit meinen Problemen belasten, Ihr habt ja selbst genug um die Ohren und dann ist da auch noch mein verdammter Stolz“, brachte er schließlich hervor. Jetzt meldete sich auch Uwe, der bis jetzt geschwiegen hatte, zu Wort „Hör mal Kurt, ich versteh‘ Dich ja zumindest teilweise, aber Dir muss doch auch klar sein, dass man nicht alles alleine lösen kann, ich hoffe, Du weißt ab jetzt, wo Du uns findest, wenn Du Hilfe brauchst?“ Kurt bekam darauf nur ein kurzes „Ja und Danke!“ heraus. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile, Kurt fühlte sich jetzt irgendwie erleichtert, dann wurde es Zeit, sich zu verabschieden und Uwe begleitete Kurt noch bis nach Hause.

Kurt schlief die folgende Nacht sehr schlecht, ständig kreisten seine Gedanken, er machte sich Vorwürfe, dass er zu viel von sich preisgegeben hatte, und was sie und vor allem Doro jetzt von ihm dachten, ob sie ihn jetzt für einen Schwächling hielten, weil er geweint hatte? In dieser Nacht wurde ihm auch mit beinahe schmerzhafter Klarheit bewusst, dass er Doro liebte. Er erinnerte sich an das schöne Gefühl ihrer Umarmung, dann schlief er endlich ein.

Am nächsten Morgen, als Doro bereits aus dem Haus war, unterhielten sich Rosi und Uwe über den voran gegangenen Abend. Rosi fiel sofort auf, dass Uwe etwas auf der Seele brannte, immerhin kannte sie ihren Mann ja lange genug. „Was ist los, Du hast doch was?“, fragte sie, er antwortete „Ach ich weiß nicht, die Sache mit Kurt macht mir zu schaffen, er mag ja ein prima Kerl sein, aber wenn er wirklich depressiv ist … Ich hab einfach Angst, dass er Doro runterzieht.“ „Ach Quatsch“, entgegnete Rosi, „Kurt ist ganz sicher nicht depressiv, zumindest nicht so, wie Du Dir das vorstellst.“ „Ach nee, was ist er denn, Deiner Meinung nach?“, unterbrach sie Uwe, „Also“ kam die Antwort von Rosi „Kurt ist einfach nur sehr einsam und grübelt viel zu viel, er hat viel zu lange alles in sich reingefressen, ein Wunder, dass er das überhaupt so lange ausgehalten hat. Und dann ist da noch etwas, er ist bis über beide Ohren in unsere Tochter verknallt, ist Dir gestern nicht aufgefallen, wie er sie angesehen hat, sein Blick allein sagte alles? Ich bin sogar fast sicher, dass unser Töchterchen auch eine ganze Menge für ihn empfindet, so wie sie ihn gestern in den Arm genommen hat … Ich denke, die beiden würden sich sozusagen gegenseitig Halt geben, wenn …“, sie brachte den letzten Satz nicht zu Ende, „Na ja“ brummte Uwe „Du könntest recht haben, so wie meist bei solchen Sachen, aber die Frage bleibt, was machen wir denn nun?“ „Wir können da gar nichts machen, obwohl ein klein wenig nach helfen könnten wir vielleicht schon, aber ansonsten müssen die Beiden das allein mit sich ausmachen, alt genug sind sie ja“, beantwortete Rosi seine Frage, „Lassen wir dem Schicksal seinen Lauf“, fügte sie abschließend noch hinzu.

Das Schicksal ließ sich dann auch nicht lange bitten und holte zum nächsten Schlag aus, dabei fing alles ganz harmlos an … Kurt war, wie schon so oft, bei seinen ‚Ersatzeltern‘ zum Kaffee eingeladen. Anschließend kümmerte er sich noch um ein PC Problem von Uwe, als auch Doro gerade von einer ihrer Vorlesungen nach Hause kam. Sie war sichtlich geschafft, umso mehr freute sie sich über die von Kurt mitgebrachte CD mit ihrer Lieblingsmusik. „Das war doch nicht nötig“, meinte sie, nachdem sie sich mit einem Lächeln bei ihm bedankt hatte. Schon bei ihrem Lächeln wurde ihm wieder ganz warm ums Herz und er erwiderte „Ist doch nur eine kleine Aufmerksamkeit, hab‘ ich doch gerne für Dich gemacht.“ Doro sah ihn mit einem Blick an, den er nicht richtig deuten konnte und fragte ihn dann „Sag mal Kurt, weißt Du nicht zufällig, wo ich mir eventuell eine Kleinigkeit dazu verdienen kann, möchte meinen Eltern nicht dauernd auf der Tasche liegen?“ Kurt dachte kurz nach, irgendwo hatte er vor kurzem einen Aushang oder eine Anzeige gesehen, wo jemand gesucht wurde, der Nachhilfe geben kann. Dann fiel es ihm wieder ein, eine Familie Weiß suchte Nachhilfe für ihre Tochter. Er kannte die Familie sogar ein bisschen, da er manchmal dort gewesen war, um deren PCs wieder zum Laufen zu bringen. Soweit er sich erinnerte, waren die Weiß‘ zwar wohlhabend aber nicht arrogant oder überheblich, sondern ganz nette Leute. Und außerdem wohnten sie auch nicht allzu weit weg, was für Doro ja auch wichtig war, da sie im Moment kein Auto besaß. Also sagte er Doro, dass sie dort mal nach fragen könne, sie war gleich begeistert und bat ihn, ihr die Adressen und die Telefonnummer per WattsApp zu schicken, was er ihr natürlich auch versprach. Er ahnte nicht, dass er sich noch schwere Vorwürfe für diesen Tipp machen sollte.

Wieder verging einige Zeit, ohne dass etwas Schwerwiegendes passierte. Doro hatte angefangen, bei Familie Weiß Nachhilfe zu geben und es schien ihr auch Spaß zu machen. Sie verstand auf sich Anhieb gut mit der Familie und dank ihr, machte deren Tochter schon die ersten Fortschritte in der Schule. Kurt war, wie er dachte, heimlich in Doro verliebt und begann sich jetzt ernstlich Sorgen zu machen, dass sie jemand anders kennenlernen könnte. Der Gedanke daran verschaffte ihm einige schlaflose Nächte, aber nach wie vor traute er sich nicht Doro reinen Wein einzuschenken. Ganz untätig blieb er aber nicht, er horchte vorsichtig ihre Eltern aus, warum Doro keinen Mann oder wenigstens einen Freund hatte. Was er erfuhr, erschütterte ihn doch ziemlich, sie hatte lange Zeit mit einem Typen zusammengelebt, der sie nach Strich und Faden ausgenutzt, betrogen und belogen hatte, bis sie endlich den Mut und die Kraft fand, die Beziehung zu beenden. Doros Eltern hatten natürlich mitbekommen, was Kurt im Schilde führte, als er sie unauffällig ausfragte. Sie hatten sozusagen den Braten gerochen, sich aber trotzdem entschlossen, das Spiel mitzumachen, allerdings nicht ohne Kurt darauf aufmerksam zu machen, dass er durchschaut war. Denn am Ende des Gesprächs sagte Uwe in ziemlich ernstem Ton „Unsere Tochter hat lange gebraucht, um sich zu erholen und wieder fast die alte zu werden. Anscheinend hat sie eine Menge für Dich übrig, aber ich warne Dich, wenn Du ihr das Herz brichst, breche ich Dir was anderes. Wir lieben sie über alles und werden auf keinen Fall untätig zusehen, wenn sie nochmal von wem auch immer, so verletzt werden sollte. Diesen Fehler haben wir einmal gemacht, ein zweites Mal passiert uns das nicht, darauf kannst Du Gift nehmen. Ich hoffe, Du hast mich verstanden.“ Bei seinen letzten Worten kämpfte Uwe sichtbar mit den Tränen. Kurt wurde prompt knallrot und erwiderte dann mit leiser, aber fester Stimme. „Keine Angst das wird nicht passieren, ich war mir eine Zeit lang unsicher, aber jetzt weiß ich es genau – ich habe noch nie eine Frau so sehr geliebt wie Doro und ich würde ihr niemals weh tun.“ Daraufhin meldete sich Rosi mit den Worten „Ich habe eigentlich auch keine andere Antwort von Dir erwartet, außerdem wusste ich schon, als wir uns das erste Mal begegneten und erst recht nach unserem Gespräch vor einigen Tagen, dass Du kein schlechter Kerl bist, sonst hätte ich auch gar nicht zugelassen, dass Du Doro so nahe kommst.“ Nach diesen Worten kämpfte nun auch Kurt mit den Tränen und zu dritt nahmen sie sich in die Arme. „Eine Sache wäre da noch,“ meldete sich Uwe noch einmal zu Wort, „wann willst Du es ihr sagen?“ Kurt antwortete „Am besten gleich morgen Abend, ich hab‘ ja das Wochenende frei, wenn sie mit Ihrer Nachhilfe fertig ist, hole ich sie ab und erkläre ihr anschließend alles.“ Uwe und Rosi sahen sich kurz an und nickten ihm dann zu. Rosi meinte anerkennend „Wow, das nenn‘ ich schnell entschlossen.“ „Na ja so schnell war‘s nu auch wieder nicht, immerhin schiebe ich das schon etliche Wochen vor mir her und um ehrlich zu sein, ich habe sogar ein bisschen Angst vor morgen“, entgegnete Kurt. „Tja, da musst Du nun wohl durch, aber Kopf hoch, sie wird Dich schon nicht gleich auffressen“, spottete Uwe, um ihn ein wenig aufzuziehen. Kurt grinste etwas schief, verabschiedete sich und ging nach Hause.

Zu Hause angekommen, versorgte er erst seinen Kater und machte sich dann selbst eine Kleinigkeit zu essen. Im Fernsehen lief mal wieder der letzte Müll und so beschloss er, zeitig ins Bett zu gehen, allerdings konnte er die ganze Nacht kaum schlafen, so viele Gedankten kreisten wieder mal in seinem Kopf. Vor allem hatte er Angst davor, was Doro sagen würde, oder ob sie ihn vielleicht am Ende sogar auslacht? Wobei er sich, zumindest im letzten Punkt, sicher war, dass das wohl eher unwahrscheinlich war. Doro würde ihn mit Sicherheit nicht auslachen, so weit glaubte er sie inzwischen zu kennen. Die ganze Sache abzubrechen, war auch keine Option für ihn, denn erstens konnte er dann Doros Eltern nicht mehr unter die Augen kommen und zweitens war er, trotz seiner Fehler und Schwächen, ein Mann, auf dessen Wort man sich verlassen konnte. Seine Unsicherheit aber blieb, bis er dann irgendwann endlich doch einschlief. Am nächsten Morgen wachte er sogar schon vor seinem Wecker auf, was sonst ziemlich selten geschah, allerdings fühlte er sich noch müde und unausgeschlafen. Der Tag verlief ziemlich ereignislos, bis auf die Tatsache, dass Kurt sich auf Arbeit kaum konzentrieren konnte und mit seinen Gedanken ständig ganz woanders war. Er war froh, als er endlich Feierabend machen konnte, damit rückte aber auch die Stunde der Entscheidung immer näher. Als es schließlich so weit war, bereitete er sich, gewissenhaft wie er nun einmal war, auf das Treffen mit Doro vor. Er duschte und rasierte sich gründlich, zog seine beste Jeans und seinen schönsten Pullover an, von dem er insgeheim wusste, das sie ihn mochte. Dann machte er sich auf den Weg. Unterwegs besorgte er noch einen kleinen Strauß ihrer Lieblingsblumen.

Es wurde schon leicht dunkel und er war wie immer viel zu früh, auch das war eine etwas schräge Angewohnheit von ihm. Er parkte etwas weiter weg in einer Seitenstraße, damit Doro nicht gleich mitbekam, dass er da war. Er zündete sich eine Zigarette an, hauptsächlich um seine Nervosität etwas zu beruhigen, und schlenderte langsam in Richtung des Hauses. Direkt vor dem Haus der Familie Weiß fiel ihm ein weißer Lieferwagen auf, der anscheinend einer Klempnerfirma gehörte. Er wunderte sich noch kurz darüber, dass der Fahrer am Steuer saß, dachte sich aber weiter nichts dabei. Da er noch etwas Zeit hatte und nicht vor der Tür rumstehen wollte, ging er noch ein Stück weiter die Straße entlang. Er hatte sich erst ein kurzes Stück entfernt, als er hörte, wie die Tür des Hauses geöffnet wurde, sein Herz begann schneller zu schlagen, es war so weit, Doro kam. Bevor er richtig begriff, was los war, geschahen mehrere Dinge fast gleichzeitig. Der Motor des Lieferwagens wurde gestartet, dann hörte er Doros kurzen Schrei und der Lieferwagen raste davon. Kurt dachte einen kurzen Moment „Ich bin im falschen Film, das kann unmöglich wirklich passiert sein.“ Dann aber handelte er, ohne weiter nachzudenken, er rannte zu seinem Auto und nahm die Verfolgung auf. Kurt hatte gesehen, wo der Lieferwagen abgebogen war und hatte tatsächlich Glück, in einiger Entfernung sah er ihn tatsächlich wieder. Er ließ so viel Abstand wie möglich, um die potentiellen Entführer nicht misstrauisch zu machen, noch glaubte er allerdings eher an einen üblen Scherz als an eine richtige Entführung, Doros Schrei war ihm jedoch ziemlich echt vorgekommen. Er dachte fieberhaft nach, was er tun konnte? Sollte er die Polizei rufen, aber was, wenn die ihm nicht glaubten? Außerdem, wenn er jetzt telefonierte, lief er Gefahr, den Lieferwagen aus den Augen zu verlieren und wie sollte er dann herausfinden, wohin sie gebracht wurde? Inzwischen näherte sich der Lieferwagen immer weiter dem Ortsausgang in Richtung Industriegebiet und bog schließlich in eine kleine, völlig heruntergekommene Seitenstraße ein. Zum Glück kannte Kurt sich in dieser Gegend sehr gut aus, so wusste er, dass das eine Sackgasse war, die zu einer alten, schon lange stillgelegten Fabrik führte. Er wusste, dass es einen kleinen Schleichweg gab, der bis fast an die Fabrik heranführte, also fuhr er weiter bis zur nächsten Abzweigung und bog dann in den kleinen Weg ein. Hier ließ er sein Auto stehen und dachte als Erstes daran, sein Handy auf lautlos zu stellen, damit es nicht im unpassende Moment klingeln und ihn damit verraten konnte, dann machte er sich zu Fuß auf den Weg zur Fabrik. Inzwischen war es ganz dunkel geworden und Kurt hatte ein wenig Mühe, den Weg zu finden, nur gut, dass er hier schon als Kind gespielt hatte und sich daher bestens auskannte. Als er die Fabrik, die eigentlich nur aus zwei Gebäuden bestand, nämlich der eigentlichen Fabrikhalle und einem kleineren Verwaltungsbau, erreichte, sah er den Lieferwagen vor dem kleineren Gebäude stehen. Vorsichtig, darauf bedacht kein unnötiges Geräusch zu machen, schlich er sich näher. Zunächst unschlüssig, ob er jetzt nicht doch besser die Polizei rufen sollte, entschied er sich doch dagegen, erst wollte er wissen, was hier gespielt wurde. Bei dem Gedanken, dass Doro irgendwas passieren könnte, schnürte ihm die Angst die Kehle zu, er zwang sich zur Ruhe „Reiß Dich gefälligst zusammen“, sagte er sich, „sonst bist Du ihr keine Hilfe.“

Die Gangster, denn inzwischen war Kurt überzeugt, dass es sich um solche handelte, schienen sich völlig sicher zu fühlen, denn es gab keine Wachen. Hier verirrte sich im Normalfall ja auch niemand hin, ganz abgesehen davon, dass ein sich näherndes Fahrzeug schon von weitem zu sehen und durch die schlechte Straße auch zu hören gewesen wäre, von dem Schleichweg wussten die Gangster vermutlich nichts. Er überlegte gerade, wie er am besten in das Gebäude kam, ohne Lärm zu machen, da fiel ihm ein, dass das Gebäude einen Hintereingang hatte. Seine Erleichterung war groß, als er feststellte, dass die Tür offen stand, das Problem hatte er gelöst, jetzt musste er nur noch Doro finden. Im Gebäude war es nicht vollständig dunkel, da die Gangster ein paar batteriebetriebene Nachtlichter verteilt hatten, die zu ihrer Orientierung dienten und den weiteren Vorteil hatten, dass sie nicht andauernd auf Taschenlampen angewiesen waren. Von außen war der schwache Schein nicht zu sehen, bei Taschenlampen dagegen bestand schon eher die Gefahr der Entdeckung. Natürlich erleichterte dieser Umstand Kurts Vorhaben erheblich, mit ungebetenen Gästen, wie ihm, rechneten die Gangster offenbar nicht. Kurt wusste, dass es im Inneren mehrere Räume, wahrscheinlich ehemalige Büros, gab. Er überlegte gerade, in welchem davon sich die Entführer und Doro aufhielten, da hörte er Doros Stimme „Was wollen Sie von mir, bitte lassen Sie mich gehen.“, die Antwort darauf erfolgte prompt, „Schnauze Du Schlampe, Du redest nur, wenn Du gefragt wirst, kapiert?“ sagte eine männliche Stimme, dann hörte Kurt ein klatschendes Geräusch und Doros Weinen, der Gangster hatte seinen Worten eine Ohrfeige folgen lassen. Kurt ballte wütend die Fäuste und dachte „Diese Schweine, diese elenden Feiglinge, eine wehrlose Frau zu schlagen, die sind echt das Letzte.“ Er hörte noch, wie einer der Gangster, anscheinend mit seinem Handy, ein Foto machte, dann hatte er genug gehört und beschloss nun endlich die Polizei zu rufen. Kurt wollte sich gerade auf den Rückweg machen, da klingelte ein Handy, einer der Gangster ging ran und stellte, damit sein Kumpan mithören konnte, auf Lautsprecher. Eine befehlsgewohnte weibliche Stimme sagte „Ihr Vollidioten, Ihr habt die Falsche erwischt, das ist nicht die Weiß, weiß der Geier, wer das ist, für die kriegen wir jedenfalls keinen roten Heller.“, „Aber die kam doch aus dem Haus verdammt, was machen wir denn nun?“ fragte einer der Gangster, nach kurzer Pause kam die Antwort, völlig eiskalt und mitleidlos, „Ihr werdet die Schlampe irgendwo entsorgen, Ihr wisst schon, kleine Überdosis von unserer Spezialmischung, ich treffe Euch dann in zwei Stunden, bis dahin wird sie ja schon kalt sein, hinterm Hauptbahnhof, dann sehen wir weiter.“ Die beiden Gangster sahen sich kurz an und einer fragte „Müssen wir sie wirklich umbringen, können wir sie nicht einfach laufen lassen, sie hat doch unsere Gesichter nicht gesehen?“, „Kommt nicht infrage, das Risiko ist viel zu groß, außerdem können wir den Plan, die Weiß zu entführen dann endgültig vergessen, Ihr macht, was ich gesagt habe und verbockt es nicht wieder“, gab die Frau schneidend zurück und wiederholte damit das Todesurteil für Doro, dann unterbrach sie die Verbindung. Doro die das Gespräch natürlich mitgehört hatte, flehte die Gangster an „Bitte lasst mich gehen, ich werde auch nichts sagen, ich mache alles, was Ihr wollt, aber bitte lasst mich am Leben.“ Die Gangster machten sich nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten, stattdessen sagte einer zu seinem Kumpan „Also Du knebelst die Schlampe, damit ich mir das Gejammer nicht länger anhören muss, und ich gehe zum Auto und hole die Spritze.“ In Kurt, der das alles mit angehört hatte, ging in diesem Augenblick eine Veränderung vor, die ihn erschreckt hätte, könnte er sich jetzt selbst sehen, er wurde eiskalt, sein Gesicht wurde hart und entschlossen und in seine Augen trat ein gefährliches Funkeln. Kurt war ein sensibler Mensch, der Gewalt abgrundtief hasste, aber hier ging es um das Leben seiner Geliebten, er musste handeln und zu außergewöhnlichen Mitteln greifen. Er würde auf jeden Fall versuchen, Doro zu retten und wenn er selbst dabei drauf ginge, an die Polizei dachte er nicht einmal mehr, die würden ohnehin zu spät kommen. Bis die hier waren, war Doro mit Sicherheit längst tot.

Er schlich aus dem Gebäude und wartete auf seine Chance, der Gangster ging direkt an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken, öffnete die Schiebetür des Lieferwagens und suchte einige Dinge zusammen, als Kurt plötzlich hinter ihm stand. Der Gangster wollte sich gerade umdrehen, möglicherweise hatte er etwas gehört, oder sein Instinkt hatte ihn gewarnt, aber es war bereits zu spät, Kurt schlug eiskalt zu. Aus seinen Selbstverteidigungskursen wusste er zudem genau, wo er treffen musste, um einen Gegner außer Gefecht zu setzen. Ohne einen Laut ging der Mann zu Boden. Kurt sah in den Lieferwagen und fand, was er suchte, Kabelbinder und Klebeband, er fesselte den Gangster mit mehreren Kabelbindern und knebelte ihn mit dem Klebeband, dann verfrachtete er ihn beinahe lautlos in den Lieferwagen, jetzt hatte er nur noch einen Gegner. Dieser hatte Doro inzwischen geknebelt, wozu er einfach ihr Tuch, welches sie um den Hals trug, nutzte. Zynisch sagte er zu ihr „Nimms nicht persönlich, Schätzchen, ist eigentlich fast schade um Dich, brauchst aber keine Angst haben, es geht ganz schnell und tut auch nicht weh.“, sein widerliches Grinsen konnte sie durch die Augenbinde glücklicherweise nicht sehen. Er selbst dachte bei sich „Verdammt, wo bleibt der Kerl, der ist doch echt zu blöd, ich schätze, der verläuft sich auch inner Telefonzelle.“ und er beschloss, selbst nachzusehen. Zu Doro gewandt, sagte er fies „Nicht weglaufen meine Süße, bin gleich wieder da.“, als ob sie an Händen und Füssen mit Kabelbindern gefesselt, mit verbundenen Augen und geknebelt, fliehen könnte und verließ den Raum. Kurt hatte schon auf ihn gewartet, er hatte ein Stück Kantholz gefunden und schlug den Gangster damit erbarmungslos nieder und bevor er wieder zu sich kam, war er bereits gut verschnürt und geknebelt bei seinem Kumpan im Lieferwagen.

Die ganze Aktion hatte vielleicht ein paar Minuten gedauert, Kurt war es vorgekommen wie Stunden und er realisierte jetzt langsam, was er getan hatte. Jetzt wo die Anspannung wich, machten sich bei ihm die Nerven bemerkbar, er zitterte unkontrolliert und konnte sich kaum auf den Beinen halten, da jagte ein einzelner Gedanke durch seinen Kopf – Doro, hoffentlich war sie okay, er wollte gerade losrennen, um sie zu befreien, da fiel ihm ein, er musste ja auch noch die Polizei und einen Krankenwagen rufen und zwang sich zur Ruhe. Kurt nahm also sein Handy und wählte den Notruf, eine freundliche Dame nahm seinen Anruf in der Notrufzentrale entgegen, sie konnte zunächst gar nicht glauben, was Kurt ihr berichtete. Aber schließlich glaubte sie ihm, dass er kein Spinner war und veranlasste alles notwendige. Er sagte ihr noch, dass sie auch einen Krankenwagen schicken sollte, was sie aber bereits veranlasst hatte, dann beendete er das Gespräch und rannte, so schnell er konnte, ins Gebäude.

Doro, die in der Ecke des kleinen Raumes auf einer alten Matratze lag, hörte wie die Tür des Lieferwagens geschlossen wurde, sie bekam panische Angst vor dem kommenden, sie dachte an ihre Eltern und auch an Kurt und dass sie beide wohl nie wiedersehen würde und begann hemmungslos zu weinen. Da hörte sie plötzlich Kurts Stimme „Doro, bist Du okay?“, sie glaubte zu träumen, vielleicht spielten ihr die überreizten Nerven nur einen Streich? Aber die Stimme blieb „Es ist vorbei, niemand wird Dir was tun, warte, ich mach Dich los.“, dann nahm er ihr als Erstes die Augenbinde und den Knebel ab. Sie starrte ihn an wie einen Geist, „Kurt … Du …? Wie kommst Du …?“ stammelte sie. „Später liebes, später“, antwortete er und durchtrennte die Kabelbinder an ihren Hand- und Fußgelenken mit dem, aus dem Transporter mitgebrachten, Seitenschneider. Dann half er ihr hoch und nahm sie in die Arme, sie schlang die Arme ganz fest um ihn, so als fürchtete sie, er könne sich plötzlich in Luft auflösen. „Kurt, ich bin so froh, Dich zu sehen, ich hab‘ so furchtbare Angst gehabt“, schluchzte sie und Kurt konnte spüren, wie sie zitterte, „ich dachte, sie würden mich ….“, ein erneuter Weinkrampf schüttelte sie. Kurt hielt sie einfach nur in seinen Armen und streichelte sanft ihren Rücken „Es ist alles gut, ich bin ja bei Dir“, versuchte er sie zu beruhigen, nach einer Weile hatte sie sich etwas gefangen und fragte ihn „Aber was ist mit den Kerlen passiert, was hast Du mit denen gemacht?“, „Das erkläre ich Dir später, jetzt ist erst mal nur wichtig, dass es Du okay bist“, antwortete er. Doro sah ihn an und sagte „Kurt, bitte, können wir nach draußen gehen, ich muss hier raus.“, er nickte, es war ja auch nicht schwer zu verstehen, dass sie diesen, für sie so furchtbaren, Ort verlassen wollte und sagte „Ich denke auch, es ist besser, wir warten draußen, die Polizei wird auch gleich hier sein, hoffe ich.“, dann fragte er sie besorgt „Bist Du so weit okay, dass Du laufen kannst, was machen Deine Beine - Schmerzen?“, sie antwortete „Nein, keine Schmerzen, nur noch ziemlich wackelig, aber wenn Du mir hilfst, wird es gehen.“ „Gut, dann lass uns gehen“, sagte er erleichtert, hakte sie unter und dann verließen sie das Gebäude.

Endlich trafen auch die Polizei und der Krankenwagen ein, Kurt staunte nicht schlecht, mit so viel Aufwand hatte er nicht gerechnet, neben zwei Rettungswagen und zwei Streifenwagen, war auch ein Zivilfahrzeug der Kripo erschienen. Die Dame von der Notrufzentrale hatte, nachdem sie begriffen hatte, dass es sich nicht um einen Spinner handelte, ganze Arbeit geleistet, so dass die Beamten schon im Bilde waren, als sie ankamen. Doro, die einen leichten Schock hatte, wurde von einer netten Notärztin versorgt, welche auch anordnete, dass Doro zur Beobachtung mit ins Krankenhaus sollte. Als sie Kurts fragenden Blick bemerkte, sagte die Ärztin leise zu ihm „Keine Sorge, das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, Sie können Ihre Freundin morgen besuchen, ich habe ihr ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben, sie braucht jetzt erst mal Ruhe.“ und lauter zu den wartenden Kripobeamten „Sie müssen sich bis morgen gedulden, meine Damen und Herren, die Patientin steht unter Schock und ist nicht vernehmungsfähig.“, wobei sie Kurt noch einmal beruhigend zuzwinkerte. Sie versuchte noch, auch Kurt zu überzeugen, ebenfalls zur Beobachtung ins Krankenhaus zu gehen, aber er weigerte sich und behauptete, es ginge ihm gut. Er verabschiedete sich von Doro, in dem er ihre Hand nahm und leicht drückte, dabei versprach er ihr noch, sie morgen zu besuchen und ihre Eltern zu benachrichtigen, dann fuhr der Rettungswagen los.

Die beiden Kripobeamten, die sich als Kriminalhauptkommissar Heinz Flaring und Kriminalkommissarin Helga Schumann vorgestellt hatten, staunten nicht schlecht, als sie die Gangster verschnürt im Lieferwagen fanden, einer der Beiden war sogar ‚ein alter Bekannter‘, die Männer wurden von den Kabelbindern und dem Klebeband befreit. Eine kurze ärztliche Untersuchung ergab, dass die Männer vernehmungsfähig waren, sie verweigerten jedoch erwartungsgemäß die Aussage. Sie wurden jetzt offiziell wegen des Verdacht der Entführung verhaftet, dabei achteten die Beamten darauf, dass die Gangster Kurt nicht zu Gesicht bekamen. Eine anschließende gründliche Durchsuchung des Lieferwagens ergab neben Drogen auch ein umfangreiches Waffenarsenal, es wurden aber auch Doros Handy und Handtasche gefunden. Nachdem die Gangster abtransportiert worden waren, wurde nun Kurt intensiv befragt, er erzählte den Beamten den Hergang so ausführlich wie möglich und zeigte ihnen auch den Raum, in dem Doro festgehalten worden war. Inzwischen waren auch einige Beamte der Spurensicherung eingetroffen, sie untersuchten den Tatort und fanden dabei Doros Tuch, das als Knebel gedient hatte, sowie die von Kurt durchgeschnittenen Kabelbinder. Hauptkommissar Flaring wandte sich an Kurt und sagte „Sie haben unverschämtes Glück gehabt, das hätte auch gewaltig ins Auge gehen können, dann wären Sie jetzt wahrscheinlich beide tot.“, „Ich weiß“, antwortete Kurt, „aber was sollte ich tun, ich hatte keine Wahl, hätte ich Sie früher gerufen, wäre Doro jetzt wahrscheinlich …“, er brach ab, Flaring erwiderte nur „Es ist ja noch mal alles gut gegangen, wegen der Gangster machen Sie sich mal keine Sorgen, ich glaube nicht, dass Sie von denen noch was zu befürchten haben. Es war auf jeden Fall Notwehr.“ Kurt sah den Beamten erleichtert an, denn über die Konsequenzen seines Handelns hatte er bisher noch gar nicht nachgedacht, Flaring sagte noch „Sie können jetzt gehen, Sie müssen aber morgen auf jeden Fall ins Präsidium kommen, um Ihre Aussage zu unterschreiben.“, Kurt nickte nur und Flaring fragte ihn „Sollen wir sie nach Hause fahren?“, „Nicht nötig,“ antwortete er „mein Auto steht hier gleich um die Ecke, ich denke, ich schaff das schon,“, „Na gut, wie Sie wollen, aber denken Sie dran, morgen zu unterschreiben.“, erinnerte ihn Flaring noch einmal. „Ich werde da sein“, antwortete Kurt und verabschiedete sich.

Den Weg zurück zu seinem Auto lief Kurt wie in Trance, von seiner Umgebung bekam er absolut nichts mit, seine Gedanken waren ganz woanders, nämlich bei Doro. Bei seinem Auto angekommen, zündete er sich erst mal eine Zigarette an und rauchte in hastigen, tiefen Zügen, dann fuhr er los, zurück nach Hause. Unterwegs war er total unkonzentriert, er hatte Glück, dass um diese Zeit so wenig Verkehr war, sonst hätte er vielleicht noch einen Unfall gebaut. Er überlegte die ganze Zeit, wie er ihren Eltern diese Geschichte beibringen sollte, würden sie ihm Vorwürfe machen oder am Ende gar, nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen? Und was war mit Doro, wie würde sie die Sache verkraften, würde sie ihn überhaupt noch sehen wollen nach dieser Sache? So kam er schließlich zu Hause an, stellte sein Auto ab, stieg aus und erstarrte, vor ihm standen Rosi und Uwe, er hatte sie vorher gar nicht bemerkt, so sehr war er mit seinen Gedanken beschäftigt. Beide sahen ihn mit ernsten Gesichtern an und Kurts schlimmste Befürchtungen schienen sich zu bestätigen, er war so erschrocken, dass er kein Wort herausbrachte. Rosi unterbrach dann die Stille mit den Worten „Die Polizei hat angerufen, irgendwas von Entführung unserer Tochter und Krankenhaus gesagt und dass unser Nachbar, also wohl Du, was damit zu tun hat, verdammt noch mal Kurt was ist passiert, was hast Du mit unserer Tochter gemacht?“. „Ich, ich … bitte …“ stammelte Kurt, da mischte Uwe sich ein „Los komm erst mal mit zu uns, Du siehst ja aus wie ein Gespenst.“, Kurt konnte nur zustimmend nicken, er bekam kaum mit, wie sie in der Wohnung ankamen. Hier stellte Uwe ihm erst mal einen kräftigen Schnaps hin, „Hier trink erst mal zur Beruhigung und dann sag uns was wirklich los war.“ Kurt leerte das Glas und erzählte ihnen dann die ganze Geschichte, er wurde kein einziges Mal unterbrochen, gebannt verfolgten Rosi und Uwe seinen Bericht. Als er ihn beendet hatte, war es eine zeitlang ganz still im Raum, dieses Mal war es Uwe, der sich zuerst meldete „Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll, ich hatte nach dem Anruf ja einiges erwartet, aber nicht das. Eins kann ich Dir aber sagen – Danke, dass Du das für unsere Tochter getan hast.“ Kurt war perplex, er hatte mit Vorwürfen, eventuell sogar einem Rauswurf gerechnet, aber nicht hiermit, er antwortete „Es tut mir mit so leid, hätte ich ihr doch nie den Tipp mit der Stelle gegeben, dann wäre das alles nie passiert, bitte verzeiht mir.“, jetzt war es Rosi, inzwischen hatte sie ihre Fassung wiedergewonnen, die antwortete „Hör auf zu spinnen, das ist ganz gewiss nicht Deine Schuld“, und zur Bekräftigung ihrer Worte nahm sie Kurt ganz fest in den Arm und drückte ihn. „Du blöder Kerl, hast unsere Tochter gerettet und bittest uns um Verzeihung? Ganz rund scheinst Du manchmal nicht zu laufen, ich bin Dir so unendlich dankbar für das, was Du getan hast, ohne Dich hätten wir unsere Tochter verloren.“, bei den letzten Worten konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Kurt war nicht in der Lage, überhaupt irgendwas zu sagen, er war restlos fertig. Rosi bemerkte, wie es um ihn stand und setze ihn auf die Couch, als er sich wieder etwas gefasst hatte, fragte Uwe ihn noch „Eins möchte ich aber noch von Dir wissen, warum hast Du das überhaupt getan, liebst Du unsere Tochter wirklich so sehr?“, „Ja“ antwortete Kurt mit erstaunlich fester Stimme „ich liebe sie sogar mehr als mein Leben.“ Rosi und Uwe sahen sich nur an, sie verstanden sich in diesem Augenblick auch ohne Worte. Kurt wollte sich jetzt verabschieden und nach Hause gehen, da sagte Rosi resolut „Du bleibst heute Nacht bei uns, Du schläfst hier auf der Couch, keine Widerrede, um Deinen Kater kümmert sich Uwe nachher noch, das kommt gar nicht in die Tüte, dass Du heute alleine zu Hause sitzt.“ Kurt sah sie an und sagte dann nur leise „Danke.“ Uwe schenkte ihm noch einen Schnaps ein mit den Worten „Hier, nimm noch einen, damit Du besser schlafen kannst.“, Kurt kippte das Glas in einem Zug runter, dann wurde die Couch fertig gemacht, und sie gingen schlafen, Kurt konnte, obwohl er völlig erledigt war, lange Zeit nicht einschlafen, seine Gedanken waren wieder bei Doro.

Am nächsten Morgen wurde Kurt vom Duft nach frischem Kaffee und gebratenem Speck geweckt. Rosi bereitete gerade das Frühstück zu, es gab Rührei mit Speck und frische Brötchen, sie wusste genau, dass er Rührei sehr gerne mochte. Kurts Magen meldete sich jetzt auch vernehmlich, schließlich hatte er seit gestern Mittag nichts mehr gegessen und er freute sich auf das gemeinsame Frühstück. Hierbei erzählten Rosi und Uwe ihm, dass sie gestern Abend, gleich nach dem Anruf der Polizei, im Krankenhaus angerufen hatten, dort hatte man ihnen gesagt, dass Doro bereits schlief und für den nächsten Morgen noch einige Untersuchungen geplant waren, so dass sie sich bis heute Nachmittag gedulden mussten, um sie zu besuchen. Der Arzt meinte aber auch, dass alles in Ordnung wäre und Doro eventuell auch gleich nach Hause könne. Kurt war verständlicherweise sehr erleichtert, als er diese Neuigkeiten vernahm und verabschiedete sich von Rosi und Uwe, er musste ja noch ins Polizeipräsidium, seine Aussage unterschreiben. Bevor er ging, ermahnten ihn die Beiden noch, ja pünktlich zu sein, um zusammen ins Krankenhaus zu fahren, mit etwas zwiespältigem Gefühl stimmte Kurt schließlich zu und ging.

Doro hatte im Krankenhaus ein Einzelzimmer bekommen und entgegen Kurts Befürchtungen, die Aufregung doch ziemlich gut überstanden. Sie hatte, mithilfe des Beruhigungsmittels, auch erstaunlich gut und ohne Alpträume geschlafen. Die behandelnde Ärztin sagte ihr nach der Visite, dass ihre Eltern bereits informiert worden waren und ihre Entlassung aus dem Krankenhaus für den Nachmittag geplant sei. Doro konnte es kaum erwarten, endlich nach Hause zu kommen, da ihre Eltern sich bestimmt schon große Sorgen machten. Da klopfte es an der Tür und sie rief freundlich „Herein“, es war die Kriminalkommissarin Helga Schuman, die sich zuerst nach ihrem Befinden erkundigte und sie dann fragte, ob sie in der Lage sei, eine Aussage zu machen. Doro stimmte zu und die Kommissarin begann sie, ganz behutsam und einfühlsam, über den gestrigen Abend zu befragen. Doro berichtete, wie sie aus dem Haus der Weiß‘ gekommen war und dann von einem Maskierten in den Transporter gezerrt worden war. Der Maskierte hatte sie mit einem Messer bedroht, dann mit Kabelbindern gefesselt, anschließend waren ihr die Augen verbunden worden. Auch die Gespräche beziehungsweise Telefonate der Gangster konnte sie der Kommissarin ziemlich genau schildern, wobei ihre Stimme einige Male versagte und sie sich erst wieder sammeln musste, bevor sie weitersprechen konnte. Wie genau Kurt sie letztlich befreit hatte, wusste sie allerdings nicht. Die Kommissarin hörte ihr aufmerksam zu und unterbrach sie nur selten mit einigen Zwischenfragen, von ihr erfuhr Doro auch, dass Kurt die beiden Gangster überwältigt hatte. Ihr war eigentlich schon vorher vollkommen klar, dass sie ihm ihr Leben verdankte, aber nun hatte es die Kommissarin auch noch einmal bestätigt. Zum Abschluss bedankte sie sich bei Doro mit den Worten „Ich danke Ihnen, dass Sie sich trotz allem, was Sie durchgemacht haben, Zeit für mich genommen haben, das hilft uns auf jeden Fall ein gutes Stück weiter.“ und als sie Doros fragenden Blick bemerkte, fügte sie noch hinzu „Eigentlich darf ich Ihnen ja nichts zum Stand der Ermittlungen sagen, nur so viel, Ihre Aussagen decken sich fast hundertprozentig mit denen von Ihrem Freund, Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.“ Bei dem Wort ‚Freund‘ wurde Doro ganz warm ums Herz und ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, sie fühlte in diesem Moment ganz deutlich, dass sie Kurt nicht nur einfach mochte, sondern liebte. Diese Liebe hatte auch nichts mit dem gestrigen Abend zu tun, Kurt war ihr von Anfang an sympathisch gewesen, seine ehrliche Art und seine linkischen, aber aufrichtigen Bemühungen um sie, die zudem völlig frei von Forderungen waren, hatten ihr gebrochenes Herz sanft geheilt und letztlich auch erobert. Die Kommissarin verabschiedete sich, nachdem sie Doros Handtasche und Handy zurückgegeben hatte, die inzwischen von der Spurensicherung freigegeben worden waren. Dann war sie mit ihren Gedanken wieder allein, sie hatte keine Ahnung, wie sie sich Kurt gegenüber verhalten oder ihm danken sollte. Sie ahnte ja nicht, dass Kurt ganz ähnliche Gedanken hatte, auch er wusste nicht, wie er ihr gegenüber treten sollte. Beide warteten, unruhig und gespannt auf den Nachmittag.

Kurt war inzwischen auf dem Polizeipräsidium, um seine Aussage zu unterschreiben, von Flaring erfuhr er, dass durch seinen Hinweis auch die mutmaßliche Chefin der beiden Gangster am Bahnhof verhaftet werden konnte. Er las sich seine Aussage noch einmal genau durch und unterschrieb schließlich, dann fuhr er nach Hause. Dort angekommen, lief er, wie ein gefangenes Tier im Käfig, in seiner Wohnung herum. Er konnte einfach keine Ruhe finden, zu sehr beschäftigte ihn das Vorgefallene, am meisten aber fürchtete er sich vor dem Wiedersehen mit Doro. Das Mittagessen ließ er ausfallen, er hatte eh keinen Hunger, erstens wegen des guten Frühstücks und zweitens wegen des Riesenkloßes in seinem Magen. Immer noch sehr nervös, aber trotzdem pünktlich, war er bei Doros Eltern und sie fuhren gemeinsam ins Krankenhaus.

Dort angekommen, gingen sie zu Doros Zimmer und Uwe klopfte an die Tür, „Ja bitte“ rief es von drinnen und sie traten ein. Doro saß bereits fertig angezogen auf dem Bett, beim Anblick ihrer Eltern sprang sie auf und fiel erst Rosi und dann Uwe um den Hals, alle drei konnten ihre Tränen nicht zurückhalten. Kurt stand derweil ein wenig abseits und fühlte sich völlig fehl am Platze, am liebsten hätte er sich jetzt in ein Mauseloch verkrochen. Dann aber geschah etwas, womit er überhaupt nicht gerechnet hatte, Doro ging auf ihn zu und sagte „Hallo Kurt, schön Dich zu sehen, ich weiß gar nicht wie ich Dir danken soll für das, was Du für mich getan hast.“, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, umarmte sie Kurt und küsste ihn, er war so verblüfft, dass er überhaupt nicht reagieren konnte und sich ganz ihrer Umarmung überließ. Rosi und Uwe sahen sich vielsagend an und Rosi sagte schmunzelnd zu Uwe, „Komm Alter, ich glaube wir stören hier.“ zu Kurt und Doro gewandt fügte sie noch hinzu „Wir warten in der Cafeteria, bis später Ihr zwei.“ und verschwand, bevor überhaupt irgendwer was sagen konnte, mit Uwe aus dem Zimmer. Doro und Kurt standen sich nun allein gegenüber und beide warteten, dass der jeweils andere den Anfang machte. Schließlich raffte Kurt all seinen Mut zusammen, holte tief Luft und sagte „Bitte lach mich jetzt nicht aus, aber ich muss Dir das jetzt einfach sagen – Ich liebe Dich.“, sie sah ihn einfach nur an, sagte aber zunächst nichts, dann nahm sie ihn in die Arme und flüsterte, „Ach Kurt, das weiß ich doch, ich habe schon lange darauf gewartet, dass Du es mir endlich sagst, ich liebe Dich doch auch, hast Du das denn gar nicht gemerkt?“. Kurt konnte sein Glück kaum fassen, das hatte noch nie eine Frau zu ihm gesagt, er stammelte „Nein … ich … aber könntest Du das bitte noch mal sagen?“. Doro sah ihn lächelnd an und wiederholte dann, ohne zu zögern, „Ich liebe Dich.“ Kurt strahlte plötzlich vor Glück und sagte impulsiv „Du bist die wunderbarste Frau der Welt.“, „Na, na übertreib nicht,“, antwortete sie etwas verlegen, „ich werd sonst noch rot.“, Kurt antwortete „Doch ernsthaft und was das rot werden betrifft …“, weiter kam er nicht, denn Doro verschloss seinen Mund mit einem weiteren Kuss. Sie merkte allerdings sofort, dass Kurt keine Ahnung vom Küssen hatte und sprach ihn scherzhaft darauf an „Also das Küssen müssen wir aber noch üben.“, Kurt erschrak und überlegte fieberhaft, was sollte er ihr darauf antworten? Sollte er ihr einfach die Wahrheit sagen? Er entschied sich schließlich für Letzteres, er wollte und konnte sie nicht belügen. Doro hatte seinen kurzen inneren Kampf mitbekommen und fragte ihn „Was ist denn plötzlich los mit Dir? So schlimm ist das doch nicht und außerdem bin ich sicher, dass wir das zusammen hinkriegen.“ Er sah ihr direkt in die Augen, entdeckte aber keine Spur von Spott, sondern nur ehrliches Interesse, also sagte er „Ja da gibt es noch eine Sache, die ich Dir sagen muss.“, er schluckte noch einmal, denn die Angelegenheit war ihm mehr als peinlich, dann fuhr er fort „Also, ich weiß nicht, wie ich es Dir sagen soll, aber ich … ich hatte noch nie eine Beziehung … ich habe noch nie mit einer Frau …“, sie begriff sofort, was er meinte und wie schwer es für ihn war, darüber zu reden, deshalb unterbrach sie ihn und sagte „Ich kann mir denken, was Du meinst und finde das überhaupt nicht schlimm.“, „Wirklich?“, fragte er noch leicht zweifelnd, „Ja wirklich“, antwortete sie, „Ich bin aber froh, dass Du den Mut hattest, es mir zu sagen“, „Na ja“, sagte er erleichtert, „erstens würde ich Dich niemals anlügen und zweitens wärst Du eh dahinter gekommen und das wäre dann ein toller ‚Vertrauensbeweis‘ von mir gewesen.“ Sie sagte dazu mit einem bezauberndem Lächeln „Also ich denke, wir fangen gleich mit dem Küssen üben an.“ und setzte ihr Vorhaben auch gleich in die Tat um. Diesmal ging es schon viel besser, sie hatte eben einen gelehrigen Schüler gefunden.

Epilog
Kurt und Dorotha wurden in den folgenden Wochen ein Paar, die Aussage von Dorothas Mutter bestätigte sich, die beiden gaben sich gegenseitig den Halt, den sie brauchten. Kurt selbst war wie ausgewechselt, keine Spur mehr von Depressionen oder Einsamkeitsgefühlen, er sprühte wieder vor Lebensfreude. Dorotha erwies sich als starke Frau und kam mithilfe ihrer Eltern und vor allem Kurts bedingungsloser Liebe erstaunlich schnell über den Alptraum hinweg. Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass Liebe, gegenseitige Achtung und Vertrauen eine gute Medizin sind. Die Verbrecher wurden angeklagt und zu sehr langen Haftstrafen verurteilt, sie hatten ein dermaßen großes Vorstrafenregister und außerdem noch weitere Straftaten auf dem Kerbholz, dass Kurt und Dorotha nicht einmal persönlich vor Gericht erscheinen mussten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.02.2020. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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