Heinz-Walter Hoetter

Der alte Penner

 

 

 

An einem schönen Sommertag ruhte ich mich auf meiner von Blumen umsäumten Veranda aus. Ich saß in einem Stuhl mit einer weichen Rückenlehne, die Beine weit von mir gestreckt und beobachtete die Kinder beim Spielen, die einen Ball hin und her warfen.

 

Hier in meinem kleinen Haus am Stadtrand war das Leben so friedlich wie nirgendwo. Hier in meinem kleinen Haus am Stadtrand war das Leben so friedlich und auf den grünen Wiesen ringsherum hörte man die Grillen zirpen.

 

Am hohen Holzgitter meines Gartens wuchsen Reben entlang eines Weges, der an meinem Haus vorbei führte. Sie waren schon fast reif und der warme Sommerwind trug ihren süßen Duft zu mir rüber. Am fernen Berghorizont, wo immer die Zukunft beginnt, breitete eine Adler gerade seine Flügel aus und flog hoch in den Himmel hinein. Dort, wo die Kinder Ball spielten, zwitscherte auf einem niedrigen Zaun ein Singvogel eine schöne Melodie.

 

Hier in meinem kleinen Haus am Stadtrand war das Leben so friedlich wie nirgendwo. Hier in meinem kleinen Haus am Stadtrand war das Leben so friedlich und auf den grünen Wiesen ringsherum hörte man die Grillen zirpen.

 

Es war Sonntag und bald werde ich mit meinen Kindern runter gehen in die Stadt, wo eine wunderschöne Kirche steht. Nach dem Gottesdienst werde ich mit den Leuten reden und vielleicht auch Zukunftspläne machen. Ganz heimlich, wenn uns niemand sieht, werde ich meine Frau küssen und später mit ihr schaukelnd auf der Veranda sitzen, dabei ihre Hand halten und die Kinder beim Spielen zuschauen.

 

Hier in meinem kleinen Haus am Stadtrand war das Leben noch schön und so friedlich wie nirgendwo. Hier in meinem Haus am Stadtrand war das Leben noch schön und so friedlich wie nirgendwo und auf den grünen Wiesen ringsherum hörte man die Grillen zirpen.

 

Alles war so unendlich friedlich und von tiefer Liebe erfüllt.

 

Aber das war einmal.

 

***

 

Ich wachte benommen auf und schaute mich noch ganz verschlafen in der morgendlichen Gegend herum. Ich lag unter einer kleinen Brücke auf einer schmutzigen Matratze und hatte mich nur notdürftig mit einigen Zeitungen zugedeckt, denn trotz des Sommers konnte es in der Nacht manchmal ziemlich kühl werden.

 

Ich blieb noch etwas liegen, weil ich mich plötzlich an einen schönen Traum in der Nacht und an eine weit zurück liegende Zeit erinnerte, als es mir noch gut ging und mein Leben mehr als in Ordnung gewesen war. Aber das ist schon lange her.

 

Doch dann kam der Tag, an dem ich mit einem Schlag von heute auf morgen alles verlor. Ich geriet unverschuldet in eine Situation, mit der ich nicht fertig wurde. Nach ein paar fruchtlosen Versuchen, mich gegen mein Schicksal aufzulehnen, landete ich letztendlich dort, wo ich heute bin.

 

Früher wohnte ich in einem wunderschönen Haus mit Garten ganz in der Nähe eines Gebirges mit schneebedeckten Bergen, die ich am fernen Horizont sehen konnte. Meine Frau und meine Kinder starben bei einem Flugzeugabsturz. Heute bin ich obdachlos und lebe auf der Straße. Ich habe keine Wohnung, kein Zuhause, übernachte oft unter Brücken, auf Parkbänken, in verschwiegenen Hauseingängen oder auch schon mal auf Bahnhöfen. In kalten Winternächten suche ich die Notunterkunft auf, die Schlafsäle für Obdachlose bereit stellen.

 

Ja, heute bin ich ein alter Penner, der tagsüber zum Flaschensammeln in der Stadt herum vagabundiert und die Leute um eine paar Almosen anbettelt.

 

Das ist aus meinem Leben geworden.

 

ENDE

 

 

 

(c)Heinz-Walter Hoetter

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