Klaus Mattes

Ideen&Sex 1/1 - Wofür wir am Leben sind

 

Wir sind nicht am Leben, um einfach nur so am Leben zu sein und dann möglichst lange auch zu bleiben. Das Leben ist der Güter höchstes nicht.

Wir sind auch nicht am Leben, um glücklich zu werden.

Wir sind nicht am Leben, um das zu bekommen, was wir wollen. Wir sind nicht am Leben, um möglichst viel Sex zu haben.

Wir sind nicht am Leben, um einen Freund zu finden.

Sondern wir sind am Leben um zu lernen. Um uns selbst kennen zu lernen. Um irgendwann zu wissen, wer wir sind. Im Gegensatz zu den Anderen. Um zu wissen, was wir können, und zu wissen, was wir wollen.

(Aber nicht: um es darum auch gleich zu bekommen.)

Wir sind am Leben, nicht, um etwas kaputtzumachen, sondern um, so gut es in unserer jeweiligen Kraft steht, etwas aufzubauen.

Wir sind am Leben um herauszufinden, welches die Probleme sind, die für uns bereit liegen. Damit wir uns mit ihnen beschäftigen und daran arbeiten. Wie sind da, um uns eine Aufgabe zu suchen und sich ihrer dann zu widmen.

Für Freundschaft. Familie. Kinder. Frieden. Gespräch. Freude. Lachen. Genuss. Sex. (Aber nicht für: möglichst viel Sex mit möglichst den allergeilsten Partnern.)

Vielleicht ja auch, um einen Baum zu pflanzen und ein Kind zu zeugen.

Und wenn das Leben vorbei ist und nur eine Sache gefehlt hat, so fehlt sie an deinem Leben.

Aber immer fehlt uns was. Jedem von uns.

Wozu meiner Meinung nach die „älteren Lehrer“ und die Leser von so Bildungspostillen (die am Großteil des Volks natürlich längst vorbeizwitschern, zu Gunsten der „Nachrichten“ aus ihren „sozialen“ Netzwerken) wie FAZ, SZ oder DIE ZEIT neigen, ist, an die Gültigkeit von deklamierten Prinzipien zu glauben. (Oder jedenfalls stur weiter so zu tun als ob.)

Es steht in der UN-Charta, also wird es schon auch richtig sein und gültig bleiben. Es ist einer der Grundgesetzartikel, also kann man das nicht länger übergehen. Es ist Teil der Genfer Internationalen Kriegsrechtskonvention, also werden Serben, Türkei und Kroaten es gemeinsam schon irgendwie beachten, falls sie sich mal wieder krachen sollten.

Ihr wisst schon noch, wie der verdiente deutsche und christliche Politiker Wolfgang Schäuble sich fürs Abschießen von unbeteiligten Passagieren stark gemacht hat, damit die Mehrzahl der Menschen in einem Sportstadion, das dieses Flugzeug gerade anfliegt, statt ihrer gerettet wird?

(Zwischendrin schon die kleine Erläuterung. Hier beantworten wir die Frage: Was machen wir, falls sich zwei von uns allen zu höchsten Gütern der Menschenwürde deklamierten Gütern „in einem ungewöhnlichen Einzelfall“ je radikal gegenseitig ausschließen? Also zum Beispiel: Unverletzlichkeit des Lebens eines Individuums versus staatliche Pflicht zur Abwehr von Unheil für das Staatsvolk.)

Ihr wisst noch, wie Winston Churchill den 1.000 Leuten in Coventry gesagt hat, sie fliegen heute Nacht einen Bombenangriff auf London? Wie er sogar aufs Dach gestiegen ist, um das im Rauch unter ihm liegende London zu betrachten, wobei er schon genau wusste, weil seine Experten die deutschen Chiffriertricks durchschaut hatten, dass sie nicht gegen London, sondern gegen Coventry fliegen. Aber wenn sie später mal noch die ganz große Bombe auf London hätten schmeißen wollen, hätte Winston Churchill sie, weil er es eben voraus wusste, dann auch alle vom Himmel geschossen wie Wolfgang Schäuble diese massenmörderischen Terroristen.

Derselbe Mann, der anlässlich der Viruserkrankung Covid-19 solcherart textete: „Das Leben ist der Güter höchstes nicht.“

Komisch, als der noch Finanzminister war (damals bei seiner Abschussäußerung war er Innenminister gewesen), hielten ihn die allermeisten Wähler für einen Garanten der Stabilität und bürgerlichen Sicherheit (des Besitzes).

Komischerweise war es seinerzeit ich, ein Freak in einer sogenannten Literaturplattform, der schrieb, dieser Schäuble ist schlicht eine Knalltüte.

Er meint das sicher immer nur gut, das gestehe ich ihm zu, aber was der da treibt an Brüning'scher Währungs- und Haushaltspolitik und dann seine Siegesmeldung, so, die Null ist zwar weiter Null, was sie bei ordentlichen Haushalten auch sein sollte – und nicht etwa Plus, aber dank meiner ist sie jetzt schwarz und nicht mehr rot. Ich schrieb seinerzeit, also vor sieben, acht Jahren, dieses alles werden wir noch so was von zu büßen haben, wenn dieser alte Mann längst nicht mehr unter uns weilt. Der Haushalt wird gut sein, aber seit Jahren werden uns die Autobahnbrücken, die Panzer, die Schulen, die Kindergartenplätze, die Konjunktur ankurbelnden Konsumausgaben der ärmeren Klassen, die Wärmepumpen, Windräder, die Hochspannungsleitungen, die Bahngleise und Eisenbahnwaggons, die E-Tankstellen, die renaturierten Moore, ach weiß Gott, was alles, fehlen!

Aber die Null wird Schäuble-schwarz sein und was werden wir glücklich sein damit!

Er kam nur deswegen im Alter von 79 Jahren nicht noch einmal zum Posten des Bundestagspräsidenten, weil seine Partei einen falschen Kanzlerkandidaten ausgesucht hatte. Der Friedrich Merz, für den er selber auch noch war, der hätte es besser gekonnt und sogar die AfD halbiert. Halbiert auf halber Strecke. Oder auf offener, wo sonst immer nur die Züge stehen bleiben.

So bleibt uns allen eine Leere und die heißt:

Knalltüten, die aus den besten Motiven handeln, sind und bleiben zuletzt: Knalltüten.

Aber habt ihr gewusst, dass diese „Spielsituation“ (die dann auch noch in einem Film verhandelt wurde, wo die Zuschauer mehrheitlich abstimmen konnten, wie er enden wird, zwei verschiedene Enden waren gedreht worden), quasi die Spielsituation des amtierenden Innenministers Wolfgang Schäuble aus dem Jahre 2008, eine ausgebufft rhetorische Schlitzohrigkeit war?

Das, was man heute gerne mal „Framing“ nennt.

Man sagt den Leuten, diese Terroristen haben das große Passagierflugzeug in ihre Gewalt gebracht, das wissen wir; jetzt befinden sie sich im Anflug auf das vollbesetzte Stadion mit Zehntausenden unschuldiger Fußballfans. Aber woher wissen wir eigentlich, dass sie die töten wollen und dass sie die alle miteinander dann auch ganz sicher töten, wenn sie schließlich im Stadion aufschlagen? Vielleicht wollen sie im Moment erst mal nur einen Finanzminister auslöschen, der auf Rückzahlung der griechischen Staatsschulden (an die Banken Deutschlands und Frankreichs) und, im Zusammenhang stehend, auf die Kürzung der griechischen Staatsausgaben - zum Beispiel für Beamte und Rentner – insistiert. („Sonsch isch ower.“)

Wäre uns das Leben dieses Finanzministers und seiner Hauptabteilung immer noch mehr wert als das jener 300 unschuldigen Passagiere?

Und kann man das alles überhaupt an der Zahl von Köpfen oder am erreichten Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie festmachen?

Und meint ihr nicht, dass, nachdem wir alle wissen, wie der 11. September 2001 in New York und Washington ausgegangen ist, wir sozusagen mit innerlicher Gewissheit ahnen, dass das so kommen wird, die werden diese Massen im Stadion, die mit ihrer Sache nichts zu schaffen haben, alle umbringen. Und dass es gar keinen Weg sonst gibt, sie jetzt noch zu hindern. Gar keinen, nur abschießen kann man sie, ganz sicher, nichts sonst geht. Weil ihr wisst es: TINA - „There is no alternative.“ Margaret Thatcher. Angela Merkel kannte die Übersetzung: „Das ist alternativlos.“ Fühlt ihr euch nicht ein bisschen gelenkt in eurer individuellen Denkfreiheit, wenn intelligente Personen wie der Weise Schäuble mit all seiner reichen Erfahrung die Multiple-Choice-Fragen für euch formulieren?

Denkt ihr nicht, dass eine Masse von Fernsehzuschauern, die sich gegenseitig nicht sehen, aber wissen, dass all die anderen im selben Boot oder Fernsehsessel sitzen, sich in die Seelen der Zuschauer im Fußballstadion hinein versetzen und es für ziemlich unwahrscheinlich halten, dass sie an diesem Tag in einem Quer-übers-Meer-Flieger sitzen, wie im Allgemeinen nur diese Politiker und Manager, wie Wolfgang Schäuble, die jeden Tag ihrer achtzig Jahre zum Sterben gut aufgelegt waren?

Framing heißt, man serviert den Leuten eine noch ganz offene Situation und lässt ihnen alle Freiheiten zur Entscheidung, was zu tun sei.

Man weiß genau, was man den Leuten nicht sagt.

Man weiß genau, was man die Leute lieber nicht denken lassen will.

Man weiß genau, was andere Stimmen raten, was man aber nicht gut findet, man erwähnt es heute nicht.

Also fragt man: „Wenn die Griechen sich mittels falscher Bilanzen in die EU gemogelt haben – und wenn sie seit Jahren pro Kopf mehr Staatsschulden aufnehmen als wir – und wenn sie sich deshalb bei den Banken (man sagt es nicht: vor allem bei den französischen und deutschen) verschuldet haben, sollen sie diese Schulden nicht endlich zurückzahlen, bevor die Zinsen des internationalen Kapitalmarkts sie verschlingen, die rasend in die Höhe schießen, weil sie halt ihre Schulden schon lange nicht mehr planmäßig zurückzahlen können? Und wenn das so ist, wenn sie also zahlen sollen, müssen sie das nicht „alle miteinander“ tun, so als Volk.

Und doch nicht „wir“, so als Volk?

(Wobei man weiß, es geht nicht wirklich darum, dass wir alle wesentliche Teile von unseren Vermögen etwa abgeben müssten, es geht darum, dass unsere Banken nicht krepieren, weil sie zu viele Kredite an zu wackelige Schuldner vergeben haben, weil man doch, je höher das Risiko, auch immer den dicksten Gewinn einschieben kann, wenn die Sache nur nicht implodiert. Was eine nette eigene Regierung vielleicht verhindert.)

Man fragt es die Menschen im Lande und die Antwort schalt fast unisono. Von der FAZ bis in die Tagesthemen und zu Anne Will. (Das sind die mit den Werten, die sonst diese erwähnten Netzwerke nicht mehr haben.)

Wer käme auf die Idee zu fragen: Wollen „wir“ „den Griechen“ eigentlich helfen?

Also den Griechen „wie du und ich“, nicht der Regierung, nicht den Linken, nicht den Parteien! Den Menschen nur?

Kann es sein, dass die was brauchen und wir in der Lage wären, ihnen zu helfen?

Und wenn es so wäre, wollten wir denen überhaupt helfen?

Seht ihr, das ist Framing.

Man hat auch nicht gefragt: Kann man nicht doch noch irgendwie den Menschen in diesem Flugzeug helfen?

Man hat gefragt: Wie kann man diese Terroristen kalt machen?

Man kriegt Antworten zu den Fragen, die man gestellt hat.

Man fragt also nie, was machen wir „alle zusammen“ in den nächsten 10 Jahren WIRKLICH, damit das mit dem Kohlendioxid weniger wird?

Was eigentlich wirklich, um die Auslöschung der Biosphäre aufzuhalten?

Was genau, um bei der Energieversorgung von Mörderstaaten unabhängig zu werden?

Alle fragen sie uns lieber: Was kostet uns das am Ende denn noch alles?

Kann man das nicht viel billiger haben?

Seltsamerweise kriegt man eher spärliche Antworten auf die Fragen, die man nie des Stellens für wert befunden hat.

Schon vertrackt, diese Welt. Wenden wir uns also Gott zu. Er wird es uns sagen.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.08.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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