Klaus Mattes

Der gemeinnützige Waschsalon / 8319

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Und so sitze ich hier und warte.

Dieser Waschsalon hat sechs Maschinen und drei Trockner, die ich nie benutze, weil man extra zahlen und dann noch länger warten muss. Ich nehme meine feuchte Wäsche in der Reisetasche mit, fahre mit dem Bus nach Hause, hänge sie im Waschkeller auf, wo eine defekte Miele-Maschine steht und ein funktionsfähiger Miele-Trockner, für den man Münzen braucht, die der Hausmeister beziehungsweise seine Leute verkaufen.

Die Maschinen im Waschsalon nehmen angeblich fünf Kilo Wäsche auf und brauchen in etwa eine Stunde für einen Waschgang bei 60 Grad.

Der Waschsalon hat samstags und sonntags geschlossen und schließt ansonsten jeweils um 18 Uhr. Die Damen vom Waschsalon fordern einen faktisch zwischen zwanzig und fünfzehn vor sechs auf, jetzt dann zu gehen. Kommt einer um 17 Uhr herein, sagen sie, heute geht das nicht mehr. Jede Maschine braucht mindestens eine Stunde. Dann muss man noch Ordnung schaffen. Die beiden Damen im Waschsalon fahren mit den Stadtbussen, wie ich. Würden sie hier nicht arbeiten, wären sie immer noch Langzeitarbeitslose. Reich sind sie nicht. Aber, nachdem sie nun eben hier arbeiten, haben sie sich an diesen einen Bus gewöhnt, in den sie jeden Abend steigen. Sie sind nicht bereit, weitere zehn Minuten auf den nächsten zu warten, weil irgendwer um achtzehn Uhr noch nicht alles zusammen hat.

Daraus folgt und man hat es schnell verstanden: Später als zirka 16.45 Uhr braucht man hier nicht mehr zu erscheinen, auch wenn der offizielle Schluss erst um sechs ist.

Es ist sogar riskant, erst um halb fünf zu kommen. Sechs Maschinen sind schnell gefüllt und laufen, kurz hintereinander angeworfen, dann auch alle beinahe gleich lang. Falls mal, nur so als Beispiel, ein britisches Ehepaar, Reisende im umfunktionierten Lieferwagen und mit einem Schwung von kleineren Kindern angekommen ist, offenbar erst wenige Minuten vor mir, die erst noch über die Reinigung ihrer in Wochen gesammelten Wäsche disputieren müssen. Vordrängeln geht nicht. Sie waren vor mir da. Man darf die Maschinen nicht eigenhändig befüllen und in Gang setzen, solange man noch nicht bezahlt hat. Die Diskussion, dass man bei so viel Wäsche, in die sechs Trommeln passt sie nämlich kaum rein, doch einen Mengenrabatt erwarten kann, verläuft mühsam wie auch im Kreis herum und an Rage zunehmend, weil die Briten kein Deutsch verstehen, die zwei Damen vom Waschsalon nur so etwa zwanzig Wörter Englisch. Man mischt sich als zufälliger Gast in derartige Konflikte tunlichst nicht ein, selbst wenn man passabel Englisch könnte. Am Ende dankt einem das nämlich niemand, sondern die Europabummler mit ihrem Do-it-yourself-Wohnmobil ignorieren einen, scheinen das Englisch, das man spricht, nicht zu akzeptieren, halten einen für einen Wichtigtuer, diesen einen, ewigen Kunden, der sich mit dem Personal sofort gegen sie verbündet. Die Frauen vom Waschsalon denken, man wolle sich wichtig machen, wie super man Englisch kann - und sie dann offenbar nicht, obwohl sie es doch auch so einigermaßen können.

Mittlerweile hat sich um den gemeinnützigen Waschsalon ein kleiner Kreis von lukrativen Stammkunden gesammelt. Damit ist gemeint, dass es sich nicht um Einzelpersonen oder Familien mit Kindern handelt, vielmehr um kleinere Firmen, bei denen regelmäßig mehrere Behälter voller Bettwäsche, Vorhänge oder auch Hemden anfallen. Telefonisch ist alles ausgemacht, wenn die Boten kurz den Kombi stoppen, ihre Körbe eilig hinein tragen oder flugs abholen. Zettel liegen oben drauf. Alles Weitere können die Frauen im Kalenderbuch nachschauen. Sie übernehmen alles, auch das Bügeln, falls es gewünscht und einzeln pro Hemd bezahlt wird.

Jetzt herrscht Ruhe im Salon. Die Frauen gehen hinaus und sehen mir rauchend, durchs Schaufenster, beim Warten zu. Sie sehen auf ihre Armbanduhren und sprechen einander Mut zu: „Na, zwei Stunden noch.“ Die ganze Bügelwäsche liegt hinter ihnen. Außer mir kommt heute keiner mehr rein. Das ist praktisch schon abgemacht.

Ich habe hier gewisse Lektionen gelernt. Inzwischen komme ich nie wieder später als sechzehn Uhr. Meistens um Viertel oder zwanzig nach drei. Eigentlich um fünfzehn Uhr, aber dann habe ich den Absprung mal wieder nicht sauber hingekriegt oder beim Wechseln der Stadtbuslinien ist mir einer vor der Nase weggefahren.

Also sitze ich und und warte. Zeit ist seltsam. Dass nicht nur sieben, sondern geschlagene neun Tage vergangen sind, seit meinem letzten Besuch, erscheint unglaublich, vor allem, wenn man gerade erlebt, wie die angezeigten 27 Minuten bis zum Bereitwerden der frühesten Maschine sich ziehen!

Unweit von diesem Waschsalon befindet sich mein Lidl- oder Penny-Markt, wo ich jedes Mal was einkaufe, während mir die Wäsche gewaschen wird. Es hat aber keinen Sinn, jetzt hinüber zu gehen. Sonst bin ich dort nur im Stress, wenn sich an der Kasse eine Schlange gebildet hat und ich weiß, dass die Maschinen jetzt leer herumstehen. Bevor mein Startknopf nicht gedrückt sein wird, kann ich hier nicht weg. Nachher, da jeder Waschgang mindestens eine Stunde dauert, habe ich dann Zeit und Bewegungsfreiheit in Hülle und Fülle. So etwas wie einen Kurpark oder Rosengarten samt Platanen und Planscheentchen haben wir hier draußen in der Südstadt nicht.

(Geraucht habe ich in den frühen Jahren meiner Waschsalonkundschaft schon auch noch, später dann nicht mehr.)

Ich weiß nicht, ob diese Stadt, die doch über mindestens eine Hochschule verfügt, vielleicht früher schon einen Waschsalon gehabt hat. Um solche Fragen musste ich mich nämlich nicht kümmern. Als ich hierhin zog, hat es im Waschkeller noch eine, wenn nicht nagelneue, so doch grundsolide Miele-Maschine gegeben - und den Trockner daneben. Alle beide hat man damals mit Metallmünzen in Gang gesetzt, die eine freundliche Frau im Erdgeschoss im Namen der Hausverwaltung verkaufte. Sie arbeitete zum Glück nicht außer Haus, ihr bemerkenswert viel jüngerer Freund eher auch nicht, sodass man stets sofort bedient wurde, wenn einem die Münzen überraschend ausgegangen waren. Dieses Paar trennte sich dann, der junge Lebenskünstler verschwand auf Nimmerwiedersehen, im folgenden Jahr zog auch die reife Dame woanders hin.

Somit übergab die Hausverwaltung das Geschäft mit den Münzen dem Hausmeister, einem Mann in der Mitte seines Lebens, der schon dies oder das davor gearbeitet hatte, jedenfalls alles konnte, beherrschte und durchschaute, was einem in einer Anlage mit Tiefgarage, Außengelände und mehreren zusammengebauten Häusern zustoßen kann. Der Hausmeister hatte seinen eigenen Keller und wenn er dann mal im Bereich unserer Liegenschaft zu Gange, war dieser Keller meist nicht abgeschlossen und mit etwas Mühe konnte man den Hausbesorger irgendwo im Gelände oder vielleicht auf einer der Etagen der verschiedenen Gebäude auftreiben und ihm wegen der Abgabe von ein paar Wertmünzen auf den langen Fußmarsch zurück zum Keller antreiben.

Unser damaliger Hausmeister, mit dem das kleine Problemchen einherging, dass er nicht nur in dieser Wohnanlage selbst nicht wohnte, sondern auch in unserer Stadt nicht, vielmehr gut zwanzig Kilometer entfernt und nicht im Telefonbuch stand, hatte sich mit der Zeit als Haus-Service-Techniker selbstständig gemacht. Zu Beginn war das noch die Ein-Mann-Firma gewesen. Er richtete es sich so ein, dass er mit Hof- und Hausputz, kleineren Reparaturen und Heckenpflege für die fünf zusammengehörigen Häuser immer an ein und demselben Wochentag beschäftigt war. Nämlich, wenn der Müll abgeholt wurde. Dann erschien er früh, wenn die Müllwerker unsere Straße noch nicht erreicht hatten, schob die Behälter die Rampe von der Tiefgarage hinauf und machte sich nach und nach an die restlichen Arbeiten, unter anderem den Hausputz. Das dauerte immer mehrere Stunden, bis gegen den Feierabend. Einer wie ich, der vormittags meist entweder schlief oder schon aus dem Haus war, musste ihn an solchen Nachmittagen dann immer erst suchen, was so problemlos auch wieder nicht war, weil mein Sicherheitsschlüssel nur zu einigen der Hausflure der fünf Häuser Zugang gewährte. In den Kellern und in der Tiefgarage war alles erreichbar, aber da steckte er meistens nicht.

Hausmeister wie Hausverwalter waren sich einig, dass zumindest die Mieter, wenn auch möglicherweise für die Eigentümer Verschiedenes gelten mochte, eine direkte Durchwahl zum Hausmeister, der natürlich sein Handy dabei hatte, nicht bekommen würden. Wen von beiden man auch ansprach, praktisch jedes Mal, hörte man, dafür hätte man sich an den Anderen wenden müssen. In Sachen Waschmünzen lag der Fall unumstritten zu Ungunsten des Hausmeisters. Ich hätte mir die Münzen, da die Schatulle in seinen unverschlossenen Keller sichtbar herumlag, auch einfach so wegnehmen und später nachlässig nach einer Bezahlung sehen können, fand dies aber grob inkorrekt und unterließ es.

Den Trockner benutzte ich in jenen Tagen bereits nicht mehr. Ich hängte die Wäsche im Waschkeller unserer Hausgemeinschaft zum Trocknen auf. Dasselbe taten zu jener Zeit noch ungefähr zwei, drei andere Haushalte, von denen ich aber so gut wie nie jemand zu Gesicht bekam, sodass ich nicht mehr wusste, wer außer mir diesen Keller noch brauchte. Im diesem Haus war schon immer ungewöhnlich viel eingezogen worden und bald wieder aus, obwohl es sich um Eigentumswohnungen handelte. Es liegt unweit der Innenstadt und ist auch nicht besonders alt, manche Häuser haben sogar Fahrstuhl. Aber es hat ein gut verborgenes Arsenal kleiner Mucken und Nachteile, über die man beim Einziehen nicht informiert ist, die man nach und nach, während man sie entdeckt, für nicht so wichtig hält, die einen früher oder später aber verrückt machen. In meinem Fall die allgemeine Tageslichtferne der sehr kleinen, aber höchst verwinkelten Wohnung und dass sie nicht allen Einflüssen eines Starkregenereignisses von oben gewachsen ist. Übrigens gilt ein ähnlicher Ruf für die gesamte Stadt. Nämlich, dass man sie ganz charmant findet, wenn einen irgendwelche Zufälle hintreiben, aber nach wenigen Jahren alles daran setzt, von ihr und vor allem von ihren Menschen wieder fort versetzt zu werden.

Wenn die Waschmaschine in unserem Keller Probleme hatte, musste ich den Hausverwalter anrufen, der solche Dinge als Erster wissen und anschließend mit dem Hausmeister erörtern wollte, bevor sie gemeinsam entschieden, was (noch) zu machen sei. Der Hausmeister war technisch so versiert, dass man den Miele-Auftragsdienst nie beauftragte, bevor er es sich nicht angesehen und gleich selbst zu reparieren versucht hatte.

Es kam nicht oft vor, besagte aber, dass ich zwei, drei Wochen bis zu meinen Frischwäschetausch zu warten hatte. Ich fing an, die Gelben Seiten und dann auch noch die Stadt nach Waschsalons abzusuchen. Es gab keinen. Es mag welche früher schon mal gegeben haben. Und später saß ich dann jahrelang im gemeinnützigen Waschsalon und geduldete mich, bis ich an der Reihe war. Aber seinerzeit, als ich zum ersten Mal danach suchte, gab es keinen einzigen! Sondern nur traditionelle, so genannte Heißmangeln und mehrere Wäschereien. Auf Befragen erfuhr ich, dass sie Kilowäsche nur annahmen und dann immer selbst, mit einer Nacht dazwischen, wuschen. Man konnte sie nicht einfach in die Trommel drücken, Waschmittel einfüllen und auf die Taste drücken. Ihre Preise waren ungeheuerlich und die meisten bestanden darauf, das jedes Wäschestück nach einer Sortentabelle einzeln verrechnet wurde. Ein einziges Mal in seinem Leben mochte man so was schon mal machen.

Ich ließ meine Wäsche sich türmen, zog alles nach einer Weile noch einmal an. Ich kam nicht auf die naheliegende Idee, meine kleine Wohnung nach einem versteckten Wasser- und Stromanschluss für einen Waschvollautomaten abzusuchen. Ich glaubte immer noch, in der Küche irgendwo, unter der Spüle wahrscheinlich oder in der Ecke, wo ich den Geschirrkasten hingeschoben hatte.

Wegen der sich verzögernden Reparatur konnte man beim Hausmeister nicht nachhaken. In der Wohnanlage ließ er sich fast nie mehr blicken, sondern schickte jetzt wechselnde Arbeitskräfte, zumeist Frauen, von denen zu Beginn eine wohl noch seine Ehefrau gewesen war, dann immer ausländische Arbeitskräfte, die weder irgendwas wussten, noch es einem in Deutsch hätten sagen können. Ich rief bei der Hausverwaltung an, hatte allerdings nicht im Blick, dass es Freitag und über den Mittagszeit raus war. Der Automat ging an: „Sie rufen außerhalb unserer Bürozeiten an. Die Bürozeiten sind ...“ (Das Ganze übrigens so programmiert, dass man nach der Durchsage nichts aufsprechen konnte.)

Das hatte sich dieser Mann zu einfach vorgestellt. Einerseits wurden nirgends die Nummern des Hausmeisters und immer nur die Büronummer des Verwalters veröffentlicht. Wie es im Internet war, weiß ich nicht. Ich hatte jetzt auch einen PC, aber noch kein Flatrate-Internet. Allerdings hingen ständig getippte und kopierte Warnungen, Verbote und Ermahnungen in den Gebäuden: „Aus gegebenem Anlass weisen wir noch einmal darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht gestattet, dass brennbare Materialien im Tiefgaragenbereich aufbewahrt oder zwischengelagert werden.“ Oder auch, dass schon viel zu viele staubige und nie mehr reparierter Fahrräder den Keller verstopften, der Hausmeister jene der Müllentsorgung zuführen werde, die nicht einen hellen Bändel mit Namensschild an sich hängen hätten. Bei alledem hatten sie irgendwann nicht aufgepasst und Papier verwendet, auf dem außer der Büronummer auch noch Mailadresse und Handynummer des Verwalters standen. Ich hatte mir das abgeschrieben und so rief ich ihn freitagnachmittags auf seinem Handy an. „Sie rufen außerhalb unserer Bürozeiten an“, begrüßte er mich. Er wolle auch darum bitten, diese Handynummer nur in Notlagen zu bemühen. Dann erfuhr ich, dass die Reparatur mittlerweile an den Miele-Kundendienst abgegeben worden sei und man ein bisschen Geduld haben müsse.

Es gehört nicht hierher, sei aber zwischengeschaltet, dass der nur um wenige Jahre jüngere Hausmeister mit knapp 55 Jahren schnell und überraschend dem Krebs erlag. Seine Verantwortlichkeiten wurden einem größeren Hausservice übergeben, von dem wir danach nur ausländische Hilfskräfte und nie eine leitende Person zu Gesicht bekam. Der Münzenverkauf für die Miele-Maschine war eingestellt worden und den Trockner benütze keiner mehr. Beide stehen noch heute, viele Jahre danach, dort unten.

Meine nasse Wäsche, hängte ich, nachdem ich den gemeinnützigen Waschsalon gefunden hatte, immer noch im Gemeinschaftskeller zum Trocknen auf, Münzen brauchte man dafür keine. Ich musste aber immer den Bus nehmen und umsteigen, obwohl es zu Fuß und auf dem direkten Weg sogar schneller zu schaffen gewesen wäre, weil, wie jenen Hausmeister mit Mitte fünfzig sein Krebs ereilt hatte, mich eine starke und nie mehr umkehrbare Abschwächung meiner Herzfunktion umgeworfen hatte, sodass ich viele Tabletten nehmen muss und beim Tragen solcher Lasten immer weiter schlapp machen würde, ob es nun regnet oder nicht. Ich sah mit einem Mal den Tod vor Augen, sah auch den Tod des Hausmeisters und sah, dass es ohne ihn genauso gut ging. Man hörte auch nie mehr was über ihn reden. Es hätte ihn genauso gut nie gegeben haben können.

Der endgültige Zusammenbruch der Waschmaschine ging abschnittsweise vor sich. Erst schien es noch möglich, dass der Hausmeister sie in Gang bekäme, wenn er die Zeit dafür fände. Dann schien es, als werde Miele das richten, es müsste ein bestimmtes bestelltes Teil noch kommen. Dann hieß es, dieses Teil werde seit mehreren Jahren nicht mehr hergestellt und sei nirgends am Lager. Dann versicherte uns der Hausmeister, das gelte so nur für die Firma Miele, er aber hätte Verbindungen und werde, spätestens übers Jahr, das fragliche Ersatzteil von einem alten Freund besorgen. Dann kam dieses Teil wirklich an. Der Hausmeister machte die Maschine auf, arbeitete mit ihren Innereien. In der Folge war der Hausmeister wieder weg, das eine seltene Teil, oder war es der schadhafte Vorgänger, ein graues, verschachteltes Plastikding, lag monatelang auf der Maschinen oben drauf. Im Keller war es still geworden.

Genau zu dieser Zeit fand die Eigentümerversammlung statt, auf der die Frage erörtert werden würde, ob man ein neues Gerät anschaffen müsste. Ich war zwar kein Eigentümer, ich war ein Mieter in einer kleinen, fast fensterlosen Ein-Zimmer-Wohnung. Mein Vermieter, früher mal ein Handwerkermeister, jetzt ein Pensionär an einem herrlichen See in Bayern, reiste zu diesen Versammlungen nie mehr an, schickte mir zu jener Zeit allerdings regelmäßig die Tagesordnungen samt einem von ihm unterzeichneten Vertretungsauftrag. Wenn unser, die Versammlung leitender Hausverwalter beim Abstreichen der Namen den Namen meines Vermieters ablas, seinen Kopf kurz hob und nur mich erblickte, schien er innerlich jedes Jahr ein wenig zusammenzuschauern. Allein dieses war mir den Abend dann immer schon wert.

Als kurz vor Schluss der Trockenkeller drankam, erklärte der Verwalter seinen Eigentümern aus fünf Gebäudeteilen, von denen es manche aber nichts anging, weil bis jetzt nur die vorderen drei Häuser von dieser Waschmaschine profitiert hatten, die anderen zwei hingen mit uns nur über die Tiefgarage zusammen, grundsätzlich würde er es gutheißen, wenn mehr Bewohner diesen Gemeinschaftsraum zum Aufhängen und Trocknen ihrer Wäschestücke benutzen würden, dafür gebe es ihn doch. (Was dann auch bald nicht mehr stimmte. Sie beschlossen, sich eine Wasserentkalkungsanlage samt der dafür benötigten Salzsäcke zu leisten. Von da an diente dieser Gemeinschaftskeller hauptsächlich dazu.) Es wäre besser fürs Klima in den ummauerten Bereichen. Schimmelbefall dürfe man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Und dennoch stelle sich die Frage, ob die Eigentümer eine weitere Anschaffung noch für sinnvoll hielten, die schon auch ihr Geld koste, während, soweit er informiert sei, momentan mehr oder weniger niemand mehr im Keller wirklich Wäsche wasche.

Ich meldete mich zu Wort. Der Verwalter korrigierte sich, es sei noch eine Mietpartei da, die im Keller wasche. Allerdings koste so eine Maschine, wie die von Miele gewesen sei, gute 2.000 Euro. Das müsse umgelegt werden, das überlege man sich zweimal. An dieser Stelle war noch immer offen und die Frage wurde auch nicht mehr beantwortet, ob 2.000 Euro durch 50 oder durch 30 Einheiten zu teilen wären. Wahrscheinlich müsste jeder Wohnungsbesitzer, der sich für den Neukauf einer Waschmaschine ausspräche, ungefähr 70 Euro zuschießen, während jene eine Person, der das in der Praxis zu Gute komme, von den Kosten befreit sei, als Mieter sei sie an der zu erwartenden Wertsteigerung der Immobilie nämlich nicht beteiligt.

Nach ein wenig Herumreden waren sie sich einig, dass zumindest einstweilen eine Neuanschaffung nicht erforderlich sei. Man wolle die Sache ruhen lassen. Wie immer in derlei Fällen ließ der Hausverwalter sicherheitshalber und fürs Protokoll per Akklamation und in umgekehrter Reihenfolge abstimmen. „Ist jemand dagegen, dass wir es so machen?“ Es meldete sich keiner, das heißt einer schon, ich, in Vertretung meines Vermieters. „Oder möchte sich jemand enthalten?“ In der Tat gingen vier oder fünf Hände hoch. Somit war es entschieden. Alle, die nichts gesagt und nichts gehoben hatten, hatten sich, wie das übrigens immer bei diesen Versammlungen zu sein pflegte, der kompetenten Voraussicht unseres Hausverwalters angeschlossen.

Das Procedere wurde dadurch erleichtert, dass, während niemand wusste, dass es keinen Anschluss für eine Waschmaschine in meiner Wohnung gab, nicht einmal ich das wusste, allenfalls der Hausverwalter konnte es ahnen, einer schon wusste, dass es neuerdings in der Südstadt einen Waschsalon gab. Das könne mir sicher helfen. Fürs Erste atmete auch ich wieder auf. Endlich gab es eine Lösung für die Berge verschmutzter Kleidung, Bettwäsche und Handtücher, zwischen denen ich seit mehreren Wochen hauste.

Es gibt auch eine Toilette im Waschsalon. Das ist praktisch, wenn man länger herumsitzt. Sie ist piekfein in Ordnung. Frauen, auch wenn sie einem etwas ramponiert vorkommen, die Ältere hat verwischte Tätowierungen in den Unterarmen, lassen diesbezüglich nicht gern was auf sich kommen. Auch wird hier ständig gebosselt und geschmückelt. Mal stehen zusammengeklebte, angemalte Kieselsteinmännchen mit Häkelmützen zum Verkauf, dann Gläser mit echtem Waldfichtenhonig. Ein anderes Mal dient das Gehäkelte zur Maskierung kleinerer Flaschen mit bunten Likören. Als Mann kauft man dieses alles nie, schon weil es zu teuer ist. Und zu süß.

Auch die Grünschalenmöblierung im anfangs noch ganz nüchternen und von Heizungsrohren durchzogenen Waschsalon nimmt zu. Dann erscheint ein öffentliches Bücherbord für die Südstadt, wo man sich nach Belieben ältere Bücher wegnehmen soll, möglichst, indem man sie gegen Mitgebrachtes aus eigenen Beständen umtauscht. Man muss aufpassen, unten am Boden, vor dem Bücherregal, liegt viel Spielzeug. Ich erlebe gelegentlich, dass kleine Kinder hier sind und spielen, aber ich sehe nie jemanden in einem der Bücher lesen oder sich eines nach Hause mitnehmen oder eines spenden oder zurückbringen. Wenn ich da so sitze und warte, nehme ich mir ein paar heraus. Die mit den vielen Bildern, Kochbücher, uralte Reiseführer, Landschaftsbände. Nach Hause nehme ich nie welche mit. Ein Leben lang kaufe und horte ich zu viele Bücher, in aller Regel nicht ganz so alte wie die hier, aber meist preislich heruntergesetzt. So kommt es, dass mein Ramsch diesen um Längen schlägt. Man kann hier darüber nachdenken, was die Geschenke wert sind, die Menschen ihren Mitmenschen zu machen willens sind.

Laut ist es an solchen Nachmittagen, obwohl nach Köpfen die Zahl der Kunden überschaubar bleibt. Autofahrertechnisch bemerken wir einen Schwachpunkt dieses Waschsalons. Da scheinen hinter dem Haus ein paar Parkplätze und Garagen und eine versteckte Zufahrt zu existieren, doch für die Allgemeinheit sind sie nicht. Vor dem Haus, wo die Frauen stehen, ihren Laden durch die Scheibe im Blick, versonnen Filterzigaretten rauchend, verläuft die große Ausfallstraße Richtung Süden. Die Straße hat hier zwei Fahrbahnen, die in die gleiche Richtung laufen. Die Gehwege im Viertel sind extrem schmal und nahezu jeden Tag mit riesigen Müllgefäßen auf Rollen verstellt, jeden Tag eine andere Farbe im Plastik. Meine Stadt ist dafür bekannt, dass sie ihre Radspuren nach und nach mittels Striche-Abtrennung aus Autospuren und Fußwegen heraus schneidet. In diesem Fall ging das einfach nicht, darum fahren die Radfahrer auf dem Gehweg und kurven um die Mülltonnen herum und fahren dafür, weil sie weicher sind und wegspringen, die Fußgänger an.

Zwar ist das nächste Parkplatz, von denen es übrigens extrem viele in dieser Stadt gibt, bloß fahren die Autos lange herum und suchen nach einer kostenfreien Möglichkeit, vielleicht dreihundert Meter weit zu gehen. Aber Menschen, die sich ein Auto zugelegt haben, kann man nicht abverlangen, dass sie extra fürs Abstellen auch noch was bezahlen, dann ihre Wäschezuber dreihundert Meter weit tragen. Die Autofahrer stellen vielmehr ihre Fahrzeuge kurz halb auf die rechte Spur, halb auf den schmalen Grünstreifen, sie ignorieren alle Huper hinter sich, sie teilen sich auf, einer macht drinnen mit den zwei Frauen das Nötige an der Kasse klar, der Andere springt einige Male zwischen Ladeklappe und Waschmaschinentüren hin und her, bis alle vollen Müllsäcke und Plastikwannen drinnen sind. Dann bleibt die eine Person hier und wartet, bis sie dran ist, die andere Person heizt davon, um die Zeit anderweitig sinnvoll zu investieren.

Der gemeinnützige Waschsalon ergänzt das Angebot eines Wohlfahrtsverbands, dessen Untergliederungen man überall in Deutschland findet. Hier in der Stadt hat er sich ein größeres Areal gekauft, auf dem sich die Bauten eines verschwundenen Lebensmittelhandelsgrossisten aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts befanden. Einige Gebäude riss man ab, ersetzte sie durch Parkflächen für die Fahrzeuge des Wohlfahrtsverbandes, der unter anderem das sogenannte Essen auf Rädern betreibt. Andere wurden durch neue Trakte ersetzt. Das ganz große Haus, ein mehrstöckiges Gebäude mit Satteldach, einem sichtbar belassenen Betonskelett, schmutzigen Ziegelwänden und schmalen Fensterbändern darüber, ist stehen geblieben.

Obwohl weite Flächen unserer Stadt gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zerbombt worden sind, vor allem Tausende Menschen im schnell entstandenen Feuersturm umkamen, die meisten nicht durch Effekte der Explosionen, sondern weil die Brände ihnen den Sauerstoff aus ihren Schutzräumen zogen, war die hier am damaligen Südende der Stadt gelegene Gewerbezone so gut wie unversehrt. Tausende Tote, alle Sehenswürdigkeiten dahin, die Wohnungsnot gigantisch, aber die Gleisanlagen, die meisten Brücken und fast alle Fabriken standen oder lagen immer noch. Das war ein Terrorangriff, für den sich niemals irgendwer vor irgendwem zu verantworten hatte, denn die Terrortaten der Deutschen waren natürlich noch abscheulicher als alles, was die Alliierten ihnen in der Folge antaten.

Jedenfalls erlebte jener Lebensmittelhandel, der auf ein Netz von Nachbarschafts-Filialisten gesetzt hatte, in den fünfziger Jahren seine goldenen Jahre, bevor am Ende andere Kapitalisten auch ihn ausstachen und die Verwaltungs- und Logistikbauten verwaisten. Jahrelang stand hier alles leer, dann griff der Wohlfahrtsverband zu.

Der Komplex liegt, um zwei Ecken herum, nicht weit vom gemeinnützigen Waschsalon entfernt, sodass die für die Aufsicht der hier tätigen Frauen Zuständigen, alle weiblichen Geschlechts, jederzeit hereinschneien könnten, was ich aber nie mitkriege, allerhöchstes wird was per Telefon abgefragt. Man ist ziemlich souverän, so von Tag zu Tag, wenn man eine der zwei - ehemals langzeitarbeitslosen - Frauen vom gemeinnützigen Waschsalon geworden ist.

Drüben im Altbau, in den oberen Etagen, finden - bis zum heutigen Tag - Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen statt, für die Bundesagentur für Arbeit, welche, gemäß jährlicher Ausschreibung und nach Zuschlag nach Evaluierung verschiedener Angebote, der Verband sich von frei arbeitenden, also soloselbstständigen Dozenten zubereiten lässt. Gemäß den Erfordernissen der Arbeitsagentur müssen solche Schulungen, die im Wesentlichen jedes Mal aus dem Zusammenstellen netter Bewerbungsmappen und - in deren Vorfeld - ein wenig Erlernen von Microsoft-Software bestehen, jeweils um acht Uhr morgens beginnen und den ganzen Tag andauern, damit bis Freitag eine Vierzigstundenwoche zusammenkommt, derer es, nach Ansicht der Jobcenter-Menschen, nicht zuletzt aber auch der Politik, bedarf, damit die seit Jahren ihrer sozialen Bezüge und Disziplin entwöhnten Arbeitslosen das wieder zurückbekommen, ohne das keine Menschenseele Arbeit leisten könnte: den strukturierten Tag.

Es versteht sich, dass sowohl die Teilnehmerschaft dieser Kurse wie auch deren Lehrer mehrheitlich aus Männern bestehen, so natürlich auch die Leitung des Wohlfahrtsverbands, dass ansonsten allerdings überall nur Frauen zu sehen sind. Ob als Arbeiterinnen in den Putz- und Waschkolonnen, als Kundinnen im Supermarkt, Gäste im Bistro oder auch unter den fest angestellten Bürokräften und Sozialarbeiterinnen. Nicht verwunderlich, dass in dem von mir kennen gelernten Waschsalon immer nur Frauen arbeiteten.

Die Eine kommt hörbar aus einem der östlichen Bundesländern, Brandenburg würde ich tippen, kann nicht mehr weit von ihrer Verrentung weg sein, ist kess und anstellig. So kann nur eine sein, die Ähnliches früher schon mal jahrelang gemacht hat. Und doch empfinde ich sie als ein wenig sozial problematisch. Zu oft geht sie hinaus auf den Bürgersteig oder hinters Gebäude, um sich Tabak in den Leib zu jagen. Manchmal zittern ihre dünnen Arme, an denen unschön die Haut mit den Tätowierungen hängt. Die Zweite, die mit der Zeit erst hinzugekommen war, später dann ihre Nachfolge antritt, ist eine dicke, immer noch junge Türkin, die alles allen recht machen will, besonders dem ostdeutschen Zerberus, deswegen aber nervös und schusselig herüberkommt. Leider kann sie nicht nur sehr wenig Englisch, sondern auch nicht das, was wir unter uns Deutsch nennen würden. (Und daran ändert sich nichts mehr.)

Ich selbst bin im Altbau auch schon ein paar Monate aus und ein gegangen. Auch mir wurden neue Horizonte des Bewerbungsschreibens erschlossen. Wann immer man Pause hatte und die Treppen runter lief, die finsteren Gänge entlang, um zur Toilette zu gelangen oder sich was vom Automaten oder aus dem gemeinnützigen Supermarkt im Erdgeschoss zu holen, kam man an einer weiblichen Putzkolonne vorüber. Wohl nie im Leben habe ich ein Haus betreten, das, obwohl es immer abgenutzt und düster wirkte, dermaßen oft und gründlich auf Vordermann gebracht wurde.

Wenn man ankommt und gleich drankommt, weil einige Maschinen leer sind, steht die Dienst habende Dame vom Waschsalon hinter ihrer wuchtigen Theke aus hellem Holz und lächelt lieblich. Die alte Ostdeutsche scheint mich ins Herz geschlossen zu haben, während die Türkin mal wieder eine schwer beherrschbare Herausforderung auf sich zudrängen sieht. Hinter der hellen Brüstung stehen die mit namenlosem Waschpulver gefüllten Becher. Die Kasse ist ein Stück tiefer versenkt. Zwischen mir, den Plastikbechern und der Frau liegt das große Kalenderbuch, mit dessen Hilfe sie es im Griff haben.

In Sommermonaten geht es allerdings spürbar zurück. Der Waschsalon, beziehungsweise seine Mütter, die Verwalterinnen vom Verband, beschließen, dass für drei oder vier Wochen Betriebsruhe einkehren muss. Man hängt es früh genug aus, damit die Kunden sich darauf einstellen. Wohl gemerkt, wir befinden uns noch immer in jener seltsamen Epoche, als die Hochschulstadt nur diesen einen gemeinnützigen, aber noch keinen kommerziellen Waschsalon besaß. Die zwei Frauen müssen auch mal einen Urlaub kriegen. Das heißt, bekommen Langzeitarbeitslose, Hartz-IV-Empfängerinnen, die befristet auf ein halbes oder allerhöchstens volles Jahr im Anderthalb-Euro-System angestellt wurden (anderthalb Euro pro Arbeitsstunde dürfen sie zusätzlich zu ihrem Arbeitslosengeld 2 nach Hause tragen, alles noch weiter darüber hinaus wird bis zu dessen Nullwerdung mit dem SGB 2 verrechnet), bekommen solche Leute wirklich vier Wochen Sommerferien am Stück? Oder sind sie nach drüben ins alte Kontor zurückgerufen worden, schrubben die Treppen und Gänge und räumen die Regale vom Lebensmittelmarkt ein?

Ich möchte Ihnen jetzt eine persönliche Frage stellen. Gesetzt, in einer freien Marktwirtschaft hätten Sie das Glück und ihre Lebensaufgabe, ein frei wirtschaftender Unternehmer zu sein. Sie hätten sich, mangels irgendwelcher Konkurrenz, auf die Idee geworfen, den einzigen Waschsalon einer fast schon Großstadt zu leiten. Während der vergangenen drei Jahre ist das Geschäft immer besser gelaufen. Wäre das nicht genau der Augenblick, an dem Sie beschließen, ach was, diesen Sommer schließen wir für ein paar Wochen und fahren in den Urlaub nach Balkonien? Arm macht uns das nicht! Und dann im darauf folgenden Jahr, es ist alles noch besser geworden, sagen Sie sich, jetzt kommen wir mit vier Arbeitstagen in der Woche über die Runden. Ständig kommen so halbgroße Großaufträge ins Haus, die sie ihre Angestellten auspacken und waschen und bügeln und zusammenfalten lassen. Die einzelnen kleinen Individualkunden geraten ein wenig ins Hintertreffen. Aber mittlerweile könnten Sie ohne diese fast auch sein. Sie halten daran fest, dass bei Ihnen niemand in die Nacht hinein arbeitet, dass alle zwei Tage Wochenende haben und jetzt also den Montag als dritten Tag auch noch. Sie könnten Geld ausgeben, investieren, ein, zwei neue Maschinen anschaffen. Nein, dann müssten sie die Stadtteilbücherei und die Kinderspielecke abbauen, das wäre unsozial. Sie müssten neue, gänzlich unbekannte Kolleginnen einstellen! Nein, ich schätze Sie doch richtig ein? Am Ende müssten Sie es dann alles noch mal frisch durchrechnen und mit den Leuten vom Amt besprechen!

Sie stellen mir an dieser Stelle Ihre Gegenfrage. Wie es dazu kommen kann, dass in einem Waschsalon mit sechs Maschinen, dessen Ladenöffnung immer erst um achtzehn Uhr endet, der Kunde neulich, als er um drei Minuten nach drei kam, hören musste, das hätte jetzt keinen Zweck mehr, alles schon voll. „Ihre Tasche können Sie hier lassen, Waschen ab morgen zehn Uhr wieder.“ Irgendwie hängen die zwei Fragen, die wir uns hier gestellt haben, miteinander zusammen, ich komme nur nicht drauf.

Mir eignet übrigens das magische Talent, niemals viel zu früh, jedoch auch nie drastisch zu spät, sondern immer halbwegs pünktlich zu erscheinen, wenn ich es so versprochen habe und mich in einer Pflicht gegenüber anderen Menschen fühle. Etwa als Teilnehmer eines der beschriebenen Bewerbungscoachingkurse des Jobcenters. (Jobcenter sagt man, wenn es Hartz ist. Hartz ist Hartz, Sie wissen schon. Egal, wie es gerade heißt. Sie wissen schon.) Ist dann aber keinerlei Druck dahinter, absolut niemand erwartet es, nur ich allein möchte meinen eigenen Plan einhalten, dann komme ich in aller Regel eine Viertelstunde zu spät. Als ich so einmal um drei nach drei Kehrt machen und meine Tasche wieder zurück nach Hause fahren musste, weil ich schlicht nicht absehen konnte, ob ich es am nächsten Tag übers Herz bringen würde, dieses Abenteuer schon wieder anzugehen, formulierte ich die neue Regel: Hier nie mehr später als Punkt fünfzehn Uhr ankommen!

Dann aber, weil es nicht überwacht wurde und nur ich es war, der mir das aufgegeben hatte, wurde es jedes Mal doch eine Viertelstunde später. Die erwartbare Folge trat ein. In den nächsten Monaten hörte ich dieses „Tut uns leid, Sie sind zu spät, heute wird es nichts mehr“ noch mehrere Male. Ich hörte es mit innerer Verbitterung und in Wahrheit war meine innere Kündigung jetzt passiert, wenn ich mir auch nichts anmerken lies, denn um den Stein, den ich bei der Dame von Waschsalon im Brett hatte, wollte ich mich nicht bringen.

Vor jenem Tag X, der unweigerlich anbrechen musste, wenn es also das erste Konkurrenzunternehmen geben und wenn ich abspringen würde, gab es noch eine Alternative, die ich nie probiert hatte. Ich konnte morgens, kurz nach zehn Uhr hereinschneien, wie aus Versehen. Wenn noch keiner den Weg nach hier draußen gefunden haben würde! Die Männer noch in der Frühschicht, die Kinder in den Horten und Grundschulen, die an irgendwelchen Ladenkassen was dazu verdienenden Frauen, an diesen Kassen oder beim kleinen Sektfrühstück sitzen würden.

Bei dieser Gelegenheit sei eingeflochen, dass keiner sonst beim gemeinnützigen Verband morgens so spät anfing, zehn Uhr am Vormittag. Wie schon erklärt, sah eine Verordnung vom Arbeitsamt vor, dass Bewerbertrainings grundsätzlich um acht begannen. Auch in den Büros der fest angestellten Verwaltungsangestellten wurden um diese gerechte Stunde die PCs hochgefahren. Die, wie gesagt, in aller Regel durchweg weiblich, und zwar mittelalterlich weiblich, besetzten Kolonnen für Großküche, Hausputz und Großwäscherei erblickte man jeweils ab neun Uhr. Was aber auch noch eine Stunde früher als hier im Waschsalon war. Es war anscheinend darum gegangen, jeden Tag auf exakt acht Arbeitsstunden zu kommen, weswegen das Abschließen um Punkt sechs eine heilige Kuh war, und die kleine Mittagspause wurde irgendwie spontan und unauffällig mit dem geringen Kundenaufkommen jener Tageszeit vermengt.

Ich kam zum allerersten Mal um zehn Uhr an. Halt, nein! Wie ich erklärt habe, zwang mich kein Mensch. Das heißt, faktisch war es schon 10.15 Uhr geworden. Oder vielleicht sogar 10.20 Uhr, wie ich einzuräumen willig bin. (Dann lag es nur am Bus.) Wie Sie sich jetzt denken, war nicht ein Kunde dort, aber alle sechs Maschinen drehten sich munter im Kreis. Die von ihnen angezeigte digitale Restlaufzeit sprach dafür, dass sie sehr kurz hintereinander in Gang gesetzt worden waren. Es blieb mir nichts übrig, als wieder mal ein bisschen zu warten. Es konnte sich um kaum mehr als eine Dreiviertelstunde handeln.

Es sollte noch berichtet werden, dass ich während mehr als fünf Jahren, abgesehen von zeitweiligen Vertretungen und jüngeren Helferinnen, die auftauchten, sofort wieder weg waren, nur die erwähnten zwei Frauen, eine ältere, tätowierte aus dem Osten, sowie eine jüngere, dicke, etwas watschelige Türkin, die Deutsch eher radebrechte als beherrschte, sowie halt, ich glaube, eine Dritte schon auch noch, auch nachdem die Tätowierte in Rente gegangen war, wurde die Türkin, die den Laden dann alleine schmiss, hin und wieder mal abgelöst, an dieser Stelle der Südstadt in Aktion gesehen habe.

Wir sprachen nicht darüber, aber da ich den alltäglichen Betrieb im alten Haus des Wohlfahrtsverbandes und dessen Abhängigkeit von der Zuweisung von Personen durchs Jobcenter, denen man eine sogenannte „Hilfe zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt“ anbot, vor Jahren kennen gelernt hatte, ging ich stets davon aus, dass die zwei Frauen - zumindest in den Anfangszeiten mal - Langzeitarbeitslos (gewesen) waren. Ich ging die ganze Zeit davon aus, dass das Unternehmen Waschsalon ein Non-Profit-Unternehmen hatte werden sollen, dass der Rückführung verfestigt arbeitslos Gewordener ins werktätige Dasein dienen sollte. Es hätten mithin, falls das nur halbwegs zutraf, die Investitionen in dem Umbau dieser Erdgeschossliegenschaft und deren Management während einer Spanne von mehr als fünf Jahren der Vermittlung von genau drei Menschen gedient! Darüber dachte ich erst hinterher mal nach, fragte mich allerdings, ob dieselbe Beglückung dieser deutschen Gesellschaft nicht auch noch etwas billiger und schneller zu haben gewesen wäre.

Ich weiß nicht, wie der Todeskampf dieses Waschsalons in seinen blutigen Einzelheiten abgelaufen ist. Ich hatte vorher gewechselt. Inzwischen befindet sich in den Räumen ein Kebab-Lokal, das mit dem Wohlfahrtsverband nichts zu tun hat. Ihn, also den Wohlfahrtsverband, gibt es drei Straßen weiter selbstverständlich nach wie vor und er bringt auch immer noch viele arme Menschen, vornehmlich Frauen, in den strukturierten Lebenslauf zurück.

Leider hatte ich es die längste Zeit nicht bemerkt, bin nicht noch einmal von der Eigentümerversammlung darauf hingewiesen worden, aber mitten in der Kernstadt, bloß in einer etwas abgelegenen Seitengasse, hatte ein anderer Waschsalon eröffnet, der ebenfalls sechs Trommeln und mehrere Trockner hatte und sich ebenfalls in türkischen Händen befand, aber nicht gemeinnützigen, darum auch an Montagen und Wochenenden und abends um 21 Uhr betreten werden konnte.

Diese Leute sieht man meistens nicht. Man tippt auf einem Display, bis man das richtige Programm gefunden und, falls gewünscht, Waschmittel und Weichspüler gespendet bekommen hat. Man zahlt sowohl mit Münzen wie mit Scheinen oder Karte. Die Maschine gibt Rückgeld heraus, auf Wunsch auch Quittungen. Man stopft seine Wäsche selbst und ohne, dass irgendwer vorher das Innere der Maschine nass ausgewischt hat und einem noch eine Weile zuschaut, in die Trommel. Man drückt auf Start und dann wartet man auch hier. Diese Waschmaschinen fassen aber mehr, angeblich sieben Kilo, sie waschen das um denselben Preis. Oder, um genau zu sein, sie taten das ein paar Jahre, bis im Zuge der nach Corona und Ukrainekrieg einsetzenden Inflation alles um fünfzig Cent aufgeschlagen wurde. Sie brauchen allerdings nicht sechzig, sondern nur fünfundvierzig Minuten, wobei anfangs immer siebenunddreißig Minuten dransteht. Für die Zwischenzeit gibt es auch hier zwei Supermärkte in der Nähe, die bis 22 Uhr aufhaben. Es kommt vor, dass schon alle sechs Maschinen belegt sind, wenn man ankommt, aber nur ganz selten haben sie alle gleich lange noch zu laufen vor sich, sodass vielleicht bis zur ersten nur ein paar Minuten zu warten sind.

Ich weiß nicht, ob Sie je was davon gehört haben. Es scheint sich, aus gewissen entlegenen Winkeln unserer Konsumgesellschaft, ein Gedanke herumzusprechen, die Menschheit als Ganzes würde die Belastungsgrenzen des Planeten sprengen. Darum sei es angebracht, wenn in Zukunft, bl0ß weil das technisch machbar ist und die deutsche Wirtschaft boomt, wenn alle dauernd Sachen kaufen, die sie nicht brauchen, nicht jeder einzelne Haushalt alle Haushaltsgeräte exklusiv für sich selbst vorhält, wenn also nicht mehr die Möglichkeit zu einer Tätigkeit eingekauft werde, sondern das jeweils erwünschte Ergebnis solcher Tätigkeit direkt. So wäre es nicht mehr nötig, dass fünfzig Familien in fünf zusammengebauten Häusern fünfzig Rasenmäher im Keller stehen haben, weil rund ums Haus ein paar schmale Spuren von Grün zu erkennen sind. Oder Heckenscheren. Sondern man ruft einen, der den Rasen mäht, das Laub röhrt und die Hecke abschneidet, wenn das gerade anfällt. Und in der Tat ist das so bei uns. Es ist vor zwanzig Jahren schon so gewesen, als der Hausmeister noch lebte. Und wir haben es alle, auch ich, der Mieter, immer jeden Monat zahlen müssen.

Es scheint dagegen heute noch vernünftig zu sein, wenn alle fünfzig Familien sich ihren eigenen Kühlschrank und Elektroherd kaufen, statt Tag um Tag einen Bringdienst zu beauftragen, der die Portionen mit Kohlendioxid produzierenden Fahrzeugen durch Straßen ohne Parkplätze fährt und sie in ein einziges Mal verbrauchten Pappschachteln und Kunststoffbehältnissen reicht, die nachher verbrannt und vorher von Fliegern angeflogen werden müssen. Oder über die dank FDP-Politik geflickten Löcher im Bundesfernstraßennetz. Sie, die Sie sich das alles auch schon gedacht haben, schlagen jetzt vor, man könnte sich mit mehreren unterm selben Dach wohnenden Familien zusammentun, eine Waschmaschine und einen Trockner kaufen und sie in einen Gemeinschaftsraum stellen, wo auch Leinen hängen, falls jemand die Energie vom Wäschetrockner einsparen wollte.

Hui, das wäre so, als würden wir alle in meinem Haus von vor gut dreißig Jahren wohnen, als ich hier eingezogen bin und keinen Tag daran dachte, dass ich irgendwann jede Woche einmal mit der Tasche irgendwohin zum Salon fahren möchte. Als der alte Hausmeister noch lebte und Miele seit Jahrzehnten verbaute technische Teile immer noch herstellen ließ.

Als wir selbst denken konnten und es uns nicht ein kompetenter Hausverwalter um siebzig Euro abzukaufen vermochte. (Übrigens habe ich längst kein Stimmrecht mehr. Ich bin nur Mieter. Mein neuer Vermieter will selbst abstimmen.)

Und so sitze ich hier und warte wieder mal.

A change is gonna come, dear Lord.


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Ich vernehme mich selbst, ich höre tief in mich rein, bin bei mir, hier und jetzt. Die Sprache ist dabei meine Helfershelferin und Komplizin, wenn es darum geht, mir die Wirklichkeit vom Leib zu halten. Wenn ich mein erzähltes Ich beschreibe, beeinflusse, beschneide, möchte ich begreifen, wissen, welche Ursachen Einflüsse bestimmte Dinge und Menschen auf mein Inneres auf meine Handlung nehmen, wie sie sich integrieren bzw. verworfen werden um mich dennoch im Gleichgewicht halten können.

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