Horst Radmacher

Die Bekehrung

Dr. Ansgar Jester, akademisch anerkannter Erneuerer des feinsinnigen Humors, fühlte sich ausgebrannt. Die missionarische Arbeit um das Thema Humor International hatte ihn in den zurückliegenden Monaten an die Grenze seiner Belastbarkeit gebracht; er sehnte sich nach Ruhe. Sein Entschluss, sich zurückzuziehen, um sich seiner zweiten großen Leidenschaft, der Malerei, zu widmen, wurde zügig umgesetzt. Schon nach wenigen Wochen spürte er, der Schritt zur Tiefenentspannung war getan. Auch seine Bilder wurden bald anders, weg von den anfänglich düsteren Farben hin zu farbenfrohen Sujets. Zu diesem Zustand trugen auch die behaglichen Abende mit seiner Frau Irene bei, wenn sie beide zur Blauen Stunde in besinnlicher Stimmung von der Terrasse ihres Häuschens auf die abendliche Ostsee blickten. Alles fühlte sich gut und richtig an. Ohne Beeinflussung von außen wäre Ansgar zu diesem Zeitpunkt niemals aus dem Zustand der Kontemplation in einen turbulenteren zurückgekehrt.

Es geschah an einem der ersten Tage nach der Abreise seiner Frau nach Portugal, wo diese eine Freundin besuchen wollte. Ein Sonntagmorgen in dem abgelegenen Haus am Ende der Gasse nahe des Strandes. Ansgar hatte sich gerade mit einer Zeitschrift zurückgezogen, nachdem er mit seinem Nachbarn versucht hatte, herauszufinden, welcher Rotwein am besten zu Frühstücksmüsli passen würde – er befand sich in Hochstimmung. Dann klingelte es an der Haustür. Als Ansgar öffnete, blickte er auf ein älteres Paar mit abgewetzten Einkaufstaschen und einigen Broschüren bewaffnet. Ihre Kleidung war in einem undefinierbaren, freudlosen Farbton gehalten, unbewusst schlicht, oder aber gewollt unauffällig. Diese beiden unscheinbaren Zeitgenossen gaben sich freundlich und zunächst betont zurückhaltend. Als sie jedoch erkannten, einen gesprächsoffenen Menschen vor sich zu haben, war es mit der Zurückhaltung schlagartig vorbei. Ansgar, als stets höflicher Mensch, bat sie, näherzutreten. In der Folge entpuppte sich das ältere Ehepaar als ein überaus redseliges Duo, das ohne große Einleitung zu seinem Anliegen kam: Sie wären mit der Mission gekommen, verirrte Menschenseelen auf den Pfad der wahren Erkenntnis zu führen. Diese Seelenrettung könne allerdings nur über Reue und Vergebung der Sünden erfolgen, und dann aber nichts wie ab in das Ewige Reich für Auserwählte. Und hierfür wäre für bekehrte Sünder nur eine geringe Eigenleistung zu erbringen: eine Taufe und anschließend Missionsarbeit. Dieses religiöse Programm klang nicht gerade verlockend für einen Agnostiker, wie Ansgar Jester es einer ist. Aber das Bild vom Paradies, dort wo Milch und Honig fließen sollten, gefiel Ansgar. Durchaus eine Perspektive, über die zu debattierten er gerne bereit war, zumal er momentan nichts Unaufschiebbares vorhatte. Allein, ihm fehlte der Glaube an der Deutungshoheit dieser Abgesandten einer theokratischen Organisation zum Thema Paradies. Dennoch, er ließ die beiden erst einmal sabbeln, gute fünfunddreißig Minuten am Stück. Dann übernahm er selbst die Regie, er drehte den Spieß um und beschrieb in leuchtenden Farben ein Reich, in das jeder kommen könnte, um dort unbeschwert zu leben, sofern er Humor und Lebensfreude mitbringen würde. Er nannte ihnen auch den passenden Platz dafür: das traumhaft schöne Yosemite Valley in Kalifornien, ein Sehnsuchtsort vor dem Herren. Da waren die zwei religiösen Paradiesvögel aber baff. Sie waren bei ihren Missionierungsversuchen daran gewöhnt, im günstigen Fall auf höfliche Ablehnung zu stoßen und hätten sogar auch mit einer barschen Ablehnung umgehen können, aber solch ein Gegenangebot ließ sie in entzücktem Staunen verharren, sie hörten fasziniert zu. Und der Meister der Rhetorik, noch ein wenig vom frühen Rotweingenuss stimuliert, entwarf mit eindrucksvollen Worten ein Bild, über das die beiden Sektenmenschen nur mit großen Kinderaugen staunen konnten. Nach gut zweieinhalb Stunden Vortrag schien ihre Aufnahmefähigkeit zu erlahmen, sie baten Ansgar, den Vortrag zu unterbrechen, sie hätten an diesem Tage noch andere Termine wahrzunehmen. So entließ Dr. Jester zwei erschöpfte, potentielle Interessenten an seiner Humor-NGO Hofnarr® mit dem Versprechen, sich am kommenden Sonntag hier wieder zu treffen. Und dies geschah tatsächlich. Die beiden Alten erschienen pünktlich und vermittelten einen komplett anderen Eindruck: modische helle Kleidung - besonders apart die körperbetonten Jeans sowie weiße Sneaker. Die abgeschubberten Einkaufstaschen und die Broschüren hatten sie weggelassen und wurden stattdessen von vier weiteren Mitgliedern ihres örtlichen Komitees begleitet. Im Laufe dieses Sonntags verwandelten sich verbiesterte Werber einer religiösen Sekte in potentielle Anhänger des reinen Humors. Sie waren begeistert von der Aussicht auf Frohsinn und Heiterkeit in einem gelobten Land. Und dies sprach sich in ihren Kreisen herum.

In den folgenden Wochen, Ehefrau Irene war bereits wieder aus Portugal zurückgekehrt, war Ansgar fast nur noch in Sachen Humor-Paradies unterwegs. Seine Frau fragte ihn kopfschüttelnd: “Wo soll das hinführen, Ansgar? Ist dir die Auszeit nicht gut bekommen?“ Aber der war nicht zu bremsen. Er lud die komplette Mitgliedschaft der Sekte zu einer von ihrem herkömmlichen Ritual abweichenden Veranstaltung ein, die im Versammlungssaal des lokalen Komitees stattfinden sollte. Nach der Begrüßung der zahlreich erschienen Neugierigen betrat einer aus dem Kreis der neu rekrutierten Anhänger des Humors das Podium. Die Zuhörer hielten den Atem an, als sie diesen erblickten: Er war im Stil des Till Eulenspiegel in ein mittelalterliches Narrenkostüm gekleidet. Dann, von ganz hinten, ein verhaltenes Kichern, gefolgt von einem alle ansteckenden, prustenden Lachen – bald bebte der Saal vor Fröhlichkeit, die Distanzgrenze war überschritten. Zum Höhepunkt der Veranstaltung hatte Ansgar eine riesige Spiegelwand auf die Bühne schieben lassen, in der sich die einst so verkniffene Gemeindemitglieder herzlich lachend im Spiegel sahen.

Das übergeordnete Zentral-Komitee der Sekte hatte von dieser Entwicklung erfahren und die Absicht Ansgars durchschaut, öde religiöse Werber in sinnesfrohe Herolde zu verwandeln. Die Zentrale setzte ihre Mitglieder unter Druck und konnte den einen oder den anderen in frühere Abläufe zwingen. Jedoch speziell im nördlichsten Bundesland stießen sie auf Widerstand. Die Straßenwerber standen dort zwar wie gehabt auf ihren Posten, aber statt mit missmutigen Gesichtern, missionierten sie nun vor Freude strahlend, wenn sie, statt ausschließlich für ihre Sekte, zusätzlich für Humor und Lebensfreude warben. So hatte Dr. Ansgar Jester es fertiggebracht, allgemeine Heiterkeit in die Fußgängerzonen eines ganzen Bundeslandes einkehren zu lassen – eine sensationell fröhliche Stimmung machte sich dort breit. Und dies in einer Gegend, in der man den Menschen nachsagt, zum Lachen in den Keller zu gehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.03.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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