Burckhardt Fischer

Frack & Stresemann

Nun, da ich meinen eigenen Nachlaß zu ordnen habe, stieß ich auf einen Karton, unter den vielen, darin fanden sich Kleidungsstücke meines Vaters: Gehrock, Frack, Westen, ein schicker Anzug, die Hose, die mein Vater bei feierlichen Anlässen trug: eine „Stresemann“, mit schmalen Streifen.

Ihr müßt wissen, daß meine Eltern, wiewohl bereits vor dem 1. Weltkrieg geboren, erwachsen geworden zu Zeiten der Weimarer Republik, in die innere, familiäre Emigration geraten zu Zeiten des Nationalsozialismus, da meine sozialistische Mutter im Beruf nicht mehr gelitten war – sie waren allem Modernen sehr aufgeschlossen und bemühten sich zuweilen fast angestrengt, nach entsprechenden modernen Grundsätzen zu leben. Meinte dieses auch, neben anderem, unendlich Wichtigerem insbesondere im Miteinander, dem persönlichen Umgang, auch die hinreichend unsentimentale Befreiung von unnötig erscheinendem Ballast. Also Aufzuräumen, abzugeben, wurde etwas nicht mehr benötigt, absehbar.

Meine Mutter, die uns in unserer Familie bestimmend erschien, zelebrierte dieses mit Vehemenz, mein Vater fügte sich dann in die durch sie geschaffenen Fakten, wenn auch – wie mir schien – manches Mal mit gewissem Schmerz. Dieses wurde aber vor uns Kindern nicht erörtert, nahezu nie, denn die Eltern hatten beschlossen, sich vor uns nicht zu streiten. Ich erinnere mich jedoch der mühsam verborgenen Wehmut meines Vaters, als mein älterer Bruder den Sonntagsstaat seiner Urgroßeltern davontrug – noch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammend und auf dem einzigen erhaltenen Foto dieser Familie dokumentiert: mein Vater wird sich dem Vermächtnis seines Vaters verpflichtet gefühlt haben, den er so früh verlor, der dieses ja auch bewahrt hatte. Mein Bruder also trug es davon, mit der Erlaubnis, ja auf Vorschlag der Mutter, ohne Nachfrage, um damit den Fundus seiner Tanzschule aufzufüllen für die gerade geübten historischen Tänze. Wird es dort verschollen sein, da Tanzlehrer und Tanzlehrerin inzwischen schon lange tot, das wunderbare, große gläserne Haus geschlossen, das uns damals als feste, als bleibende Institution erschien.

Dieser Ornat war in einem wunderbaren Koffer gewesen, ein nicht sehr großer Holzrahmen mit braunem, festem Stoff überzogen, die Seiten ziehharmonikamäßig gefaltet für unterschiedlich umfangreiche Füllung, dann mit einem Lederriemen zusammengehalten: ein handliches Gepäck. Meines geliebten Vaters wegen habe ich diesen dann leeren Koffer lange bewahrt, bis er schließlich von den Mäusen auf unserem Dachboden völlig zerfressen ward.

Ein ander Mal bastelten sich meine großen Brüder ein Vergrößerungsgerät, ihrer fotografischen Hobbys wegen, und nutzten dazu den Photoapparat, mit dem seinerzeit der große Bruder wiederum meines Vaters zu Zeiten, da dieses noch außerordentlich und neu war, angefangen hatte zu photographieren: die Familie, den Abschied, den Krieg. Bis er starb, am letzten Tag des I. Weltkrieges, mit 18 Jahren. Im Gesicht meines Vaters zuckte es, und wortlos wandte er sich von dannen.

 

Als nun mein Vater gestorben war, nach langem vergeblichen Kampf, die Trauerfeiern vorüber, die Brüder abgereist, da machte sich meine Mutter daran aufzuräumen, den Schmerz, die Trauer zu betäuben mit Tätigkeit, und wandte sich dann auch dem großen elterlichen Kleiderschrank zu, einem ziemlichen Trumm, in Rüster, Dreißiger Jahre-Design, solide, massiv. Einmal im Jahr, in der Vorweihnachtszeit, wurde er komplett geräumt, um darin den Dresdner Christstollen unterzubringen, den meine Eltern für uns, für Verwandte und Freunde in erstaunlicher Zahl backen ließen, wofür alle Kinder zu den Vorbereitungen im November recht ohne Gnade hinzugezogen: - Rosinen verlesen, Zitronat schneiden, Mandeln entkernen und hacken – damit er darin ruhen und ziehen möge, in diesem Schrank bis zum Fest, 4 Wochen Minimum, und eine Schale Rum dazugestellt, des Aromas wegen und gegen ein Austrocknen. Alles duftete danach, nur langsam über das Jahr verebbend.

Meine Mutter also wandte sich nun der Wäsche meines Vaters zu, Hemden, Socken, Trikotagen, auch die Schlipse wurden in Beutel getan – letztere mit wenigen Ausnahmen, da manche ein ausgesuchtes Geschenk zum Beispiel meines fernen Bruders, und noch gut und somit an den Geber zurückzureichen, ich aber verweigerte mich solcher Mode – um sie zum Roten Kreuz zu bringen oder zu sonstiger nützlicher Verwertung, was dann mir oblag, in meiner Trauer noch betäubt.

Dann sortierte meine Mutter Mäntel, Jacken, Anzüge Hosen, mit schmerzlichem Gesicht, und ihr entfuhr ein Seufzer, als sie in der Hand hielt seinen Frack, mit dem er auf ihrer Hochzeit gekleidet war: daß ihr dies doch schwerfiele, dieses wegzugeben.

Ihr, die die Pflichterfüllung an sich selbst am Höchsten stellte, und laissez faire nur anderen zubilligte, ihren Kindern, mir!

Da mußte ich, der Jüngste, mit Abstand, ein spätes Kind, ihr sagen: „dann bewahre es Dir doch, wer und was soll Dich daran hindern!?“ Mit sichtlicher Erleichterung sortierte sie die wichtigsten, schönsten Stücke zurück an einen Ehrenplatz, und ich war froh darum, der Erinnerung an meinen Vater wegen, daß dieser auch doch mit solcherart persönlicher memorabiles im Hause noch weiterhin vertreten, da seine Seele bereits herausgeflogen wohl, nach seinem Sterben, durch die darob geöffneten Fenster. Fast fröhlich nach dieser Befreiung von selbstgewählter Fessel in vernünftigem Tun haben meine Mutter und ich dann den Nachmittagstee zelebriert, wie zu glücklichen Zeiten.

 

Als dies ist lange her, in meiner Erinnerung eingeschlossen und in meinem Herzen, das elterliche Haus verloren, jener Schrank zerlegt in einem feuchten Lager, daran ich eben jetzt wiederfand diesen Karton, mit den damals bewahrten Kleidern des Vaters. Darin war auch sein schöner, wollener Wintermantel, fast unversehrt, und als ich ihn emporhob, fand ich in der Brusttasche die Fahrkarten der SBB, eine Wanderkarte und einen Informationsflyer des Örtchens Flims in der Schweiz, dahin war die letzte gemeinsame Reise der Eltern gegangen, zusammen mit jeweils ihren Schwestern, die des Vaters aus Südwestafrika angereist. War dieses eine wunderschöne Zeit für sie gewesen, dieses Wiedersehen, an diesem Orte, für einige wenige Tage, und wurde viel erzählt davon. Mein Vater aber brach sich auf der letzten Wanderung den Arm, da er stürzte, und dieser Bruch heilte nicht, ein Vorbote seiner Erkrankung.

Für mich aber war es plötzlich wie gestern, die Erinnerung, mit dieser „Zeitkapsel“ in Händen, mehr als fünfzig Jahre danach!

 

 

An der Seite des Kartons aber befand sich ein kleiner, stoffener Beutel, darin hatte ich die seidenen Spitzenhemdchen meiner Mutter bewahrt, die ich nach ihrem Tod in der hintersten Ecke jenes Schrankes noch gefunden hatte, und war ich froh darum gewesen, daß sie dieses sich gegönnt. Denn im elterlichen Hause ward über SEX nicht gesprochen, die Intimsphäre eines jeden eisern bewahrt, und war uns solches daher verborgen geblieben.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.03.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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