Burckhardt Fischer

Oscar II

Ich konnte ihm nicht genügen, nur zu Fuß, seinem Bewegungsdrang.

Von der Leine ward er nicht zu lassen – dann wäre er weg: nicht auszudenken. Also rennen, spielen: Ball, Stöckchen werfen, Spazierengehen. Ein full-time-Job.
Also ging ich zu dem Laden, vor dessen Fenstern ich schon einige Male geschaut, und kaufte ein Fahrrad. Schick, weiß, teuer. Eingedenk der zu leistenden Wege mit breiten, kräftigen Reifen, ein cross-Rad.
Nach einem harten Büro-Tag, Anfang November, es dämmerte schon, als ich es einrichten konnte, mit Oscar loszufahren, der schon ungeduldig wartete, sehr.

Ich lud das Fahrrad in den Kombi, fuhr zum Berliner Tiergarten und begann – zunächst auf breiten Wegen, dort mit Oscar das synchrone Fortkommen zu üben, ich auf dem Rad, er auf schnellen Füßen. Er lernte unverhofft schnell – nach kurzen Wirrungen um vereinzelte Bäume und Laternenpfähle tobten wir durch den Tiergarten, dort wo die vielen Steinplastiken stehen, und fuhren eilig kreuz und quer. Ich hatte zwei lederne Leinen mit dem Karbinerhaken zusammen gekettet, so daß eine ziemliche lange Leine blieb und genügend Karenz. Oscar konnte so seiner Gewohnheit entsprechend jeweils abrupt stehen bleiben an relevanten Duftmarken, und mir blieb genügend Zeit, um abzubremsen: knapp, aber doch. Einige Male musste ich die Hand, um die ich das Ende der Leine geschlungen hatte, vom Lenker nehmen, um den Stopp abzufedern. Es ging, auch wenn ich insofern einen Fehlkauf konstatieren musste: das Rad hatte – der Sportart gemäß – nur zwei Handbremsen, und keinen Rücktritt, wodurch das Bremsen etwas halsbrecherisch geriet in solchen Fällen.

Wir hatten unser Vergnügen und tobten durch die Nacht, dem feuchtkalten Schneegriesel trotzend.
Plötzlich, bei hohem Tempo, querte ein Kaninchen den Weg: Oscar bog rechtwinklig ab.

Zeit zu bremsen blieb nicht, die plötzlich gestraffte Leine riß mir die Hand vom Lenker, von der Bremse, vom Rad, und so landete ich straight in einer flachen Pfütze, den Kopf, das Gesicht voraus, schlurrend durch den Schlamm. Im fahlen Schein der Laternen sah ich Oscar durch das Gebüsch sich entfernen.
Ein guter Läufer war ich nie. Hier jedoch mobilisierte ich alle Kräfte, erreichte den Hund nahezu an der breiten damaligen Entlastungsstraße, traf jedoch die Leine nicht, die der Hund hinter sich herzog,: bei dem Versuch, darauf zu treten.
So lief der Hund weiter, kreuzte die Straße, den dichten Verkehr – ein Wunder, daß er nicht unter ein Auto geriet, oder die Leine erfasst wurde durch ein solches, oder ich: ihm auf den Fersen. Oscar stoppte auf den Stufen des Reichstages, der damals Gedenkstätte noch, teilweise Ruine noch seltsam erleuchtet ward, außerordentlich, wo es doch sonst im Dunkeln lag zu solch später Stunde.
Auf die Leine gesprungen, kaum daß ich ihn erreicht hatte. Ich bücke mich, das Leder aufzunehmen, die kalte Luft schmerzt in den ausgepumpten Lungen. Mühsam richte ich mich auf, wende mich langsam zu Gehen, das Fahrrad zu bergen, nach Möglichkeit.


Aus dem Gebüsch treten zwei Herren, militärisch gewandet, Stahlhelme, Gewehre lässig gerichtet auf den Boden vor meinen Füßen. Einer hat Schlamm im Gesicht – nicht wie ich einer harten Landung zuzuschreiben, sondern erkennbar neckisch drapiert als Tarnung, einige Zweige am Helm zum gleichen Zwecke.

Ausweisen soll ich mich, doch die Papiere hatte ich sicherheitshalber gelassen im Wagen, im Handschuhfach. Oscar hat keine Marke, er ist ja noch nicht lange bei uns. Schweigend hören die Herren meine Erklärungen, werde beiläufig gemustert in meinen triefenden, verdreckten Klamotten. Sie tuscheln in ihre Funkgeräte, ein zweiter Trupp stößt hinzu, die Mannschaften werden neu gemischt. Durch den nächtlichen Tiergarten treten Oscar und ich, gefolgt von zwei Bewaffneten, den Rückweg an zu unserer Pfütze mit Fahrrad, schweigend.
Als – tatsächlich noch – im Dunkel der Nacht das Fahrrad sich findet inmitten des Wässerchens, weiß leuchtend, tritt Entspannung auf. Die Herren scheinen zu glauben.

Auf meine Frage hin wird erklärt: ich habe einen Sicherheitscordon durchbrochen bei einem Empfang von Kanzler Kohl, der sich an nämlichem Tag den Reichstag gewählt hatte...
Die Herren wenden sich zum Gehen.
Frierend, tropfend, schiebe ich das Fahrrad zum Auto, zu müde, zu kalt, es zu besteigen. Oscar scheint nunmehr verlegen, riecht die Verzweiflung auf meiner Seite, ersichtlich.

Am Auto wird Oscar auf dem Rücksitz drapiert, das Fahrrad in den Laderaum verfrachtet, die Klappe zugeschlagen. Als ich die Scherben, die gläsernen Krümel von meiner Jacke, den Ärmeln geputzt, erkannte ich, dass der Hebel der Klingel am Fahrrad hinausragte, zu weit, um eben die Klappe zu schliessen. Der scharfe Stahl hatte den Raum sich nun geschaffen.

Die Werkstatt war nicht weit, und noch geöffnet, der gehobenen Kundschaft wegen. Der Weg nach Hause, mit Fahrrad, Hund, ewig reißender Einkaufstüte war es dann schon.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.09.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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