Werner Kistler
Fünf Sekunden im freien Fall
Es war ein schöner Abend gewesen. Mein Kollege Jürgen hatte mal
wieder zu einem gemütlichen Abend eingeladen. Die Stimmung hielt den
ganzen Abend eine beschwingte erfrischende Atmosphäre. Fünf große
Rum-Cola
hatte ich am Abend genossen und trotzdem saß ich belustigt am Steuer
meines schnellen Flitzers und hatte die ganze Welt umarmen können. Mit
einer Leichtigkeit lenkte ich mein rasendes Fahrzeug über die leere
aber regennasse Autobahn. Noch zehn Minuten, dann hatte ich mein Ziel
erreicht. In meiner Wohnung wollte ich noch ein wenig auf meinem neuen
Fernsehsessel abhängen und dann zu Bett gehen.
Eigentlich
konnte ich auf mein bisheriges Leben stolz sein. Mit fünfundzwanzig
Jahren durfte ich schon eine größere Bankfiliale leiten. Allerdings
zeugte mein Führungsstil doch von einer gewissen Härte. Möglich, dass
ich deshalb schon die Leiter so hoch geklettert war. Schon mein Vater
duldete bei seiner Erziehung keine Schwäche und ich musste immer für
den Patriarchen die Kastanien aus dem Feuer holen.
Keine Schwäche durfte ich vor meinen Mitarbeitern zeigen, dass hatte ich mir geschworen.
Vor
meiner Bürotüre zeigte ich mich immer im dynamischen Outfit. Hinter der
doppelwandigen Tür sah mich kein eventueller Konkurrent.
Mir
fiel wieder der vergangene Abend ein. Auch mit Sabine, auf die ich
schon lange ein Auge geworfen hatte und heute auch auf der Party
engeladen war, verlief der Abend sehr gut. Wir stellten fest,
dass wir doch eine ganze Menge Gemeinsamkeiten besaßen.
Morgen
wollten wir gemeinsam, die neu eröffnete Schlittschuhbahn besuchen.
Richtig - ich musste ja noch nach meinen alten Schuhen sehen. Schon
seit einer Ewigkeit, hatte ich meine Schlittschuhe nicht mehr benutzt.
Hoffentlich
taugten die Kufen noch zum Eislaufen? Oder war das Leder schon so
brüchig und die Schienen so verrostet, dass ich nicht mehr damit laufen
konnte? Dann bestand ja immer noch die Möglickeit mir ein Paar zu
leihen.
Plötzlich ein ohrenbetäubender Knall. Sofort
begann mein Renner zu schlingern an. Immer mehr Platz benötigte ich auf
der Fahrbahn. Jetzt befand ich mich schon auf der Standspur. Die
Leitplanke raste auf mich zu. Wieder ein Knall! Das Fahrzeug hob ab und
schnellte in die Höhe! Jetzt schwebten wir durch die nächtliche
Dunkelheit. Der Motor, der kurz aufheulte, war längst
abgestorben. Wie immer war ich bestimmt wieder zu schnell
gefahren. Ich fühlte mich wie auf einem Karusellsitz. Noch immer flogen
wir durch das nächliche Nichts. Mein ganzes Leben - sollte hier der
Schnitt sein? Alles vorbei? Wie schnell konnte das Gehirn doch
denken?! Wie ein Film lief hier mein ganzes Leben ab. Bilder von
Freude, Ärger und Schmerz und Besinnlichkeit tauchten vor meinen Augen
auf. Fünf Sekunden freier Fall reichten aus, um das ganze bisherige
Leben abzuspulen. Alles was das Gehirn für würdig gefunden hatte
zu speichern, erschien jetzt wie auf einem Film vor meinen Augen.
Und dann der gewaltige Aufprall und aus...
Werner Kistler
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.03.2007.
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