Der Fall der Berliner Mauer
Als Günther
Schabowski, Mitglied des SED Politbüros, sich am 7. November 1989 um 18.57 auf
einer internationalen Pressekonferenz den Journalisten stellte, schwabblig das
Gesicht und sichtlich irritiert, ahnte die Welt noch nicht, was gleich zu hören sein würde. Stockend las er von
einem kleinen Zettel ab, der, wie er später bekannte, „ihm jemand zugesteckt
hat“. Originalton Schabowski: Laut Beschluss des Ministerrates, können
Privatreisen nach dem Ausland ohne Vorlegen von Voraussetzungen, Reiseanlässe
und Verwandtschaftsverhältnisse, beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig
erteilt. Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur
BRD beziehungsweise zu Berlin West erfolgen.
Auf Nachfrage
eines Journalisten, ab wann diese Mitteilung in Kraft trete, antwortete Schabowski,
diese Erklärung gelte, nach seiner Kenntnis, unverzüglich, sofort.
Was dann geschah
wurde mit nur einem Wort beschrieben
und mir schießen die Tränen in die Augen, während ich dies schreibe: Wahnsinn!
Wahnsinn!!!
Das Ende der
DDR war eingeläutet worden. Seitdem Ungarn seine Türen und Fenster zu Österreich
weit geöffnet hatte, war es, meiner Meinung nach, mit der DDR vorbei.
Als Schabowski
seine Rede hielt, war ich gemeinsam mit anderen Eltern in einer Elternversammlung
in Maxims Schule. Ein junger Mann betrat ohne zu klopfen unseren Klassenraum. Ich
weiß nicht wer er war. Er sagte, die Mauer ist offen. Wohl alle Eltern im
Klassenzimmer erstarrten. Ein Schnappschuss hätte 42 ungläubige Gesichter
gezeigt. Es müssen Parteibonzen unter uns gewesen sein. Ich kann mich nur
erinnern, dass die Mütter und Väter, die sich vertrauten zusammenrückten. Die Zeit
blieb für Sekunden stehen. Dann ging alles sehr schnell. Der Fernsehraum der
Schule wurde aufgesucht. Ein Radio wurde eingeschaltet. Wir hörten Schabowskis
Worte. Die Elternversammlung beendete
sich selbst. Alle Eltern riss es aus dem grauen schäbigen Schulgebäude heraus
und sog es nach Hause. Ich sprang auf
mein Fahrrad und flog in die Schreinerstraße 22., wo ich mit meinem Sohn
wohnte. In Berlin Friedrichshain. Maxim schlief. Ich rannte zu einer Telefonzelle.
Wie durch ein Wunder erreichte ich Ditte, meine Cousine aus Charlottenburg in
Westberlin. Sie sagte mir, Jürgen, ihr Mann, sei schon auf der Mauer- wo ich
bliebe? Ich konnte kaum sprechen, schließlich
sagte ich ihr, Maxim schläft- mehr nicht. Sie erwiderte mir, Janosch, ihr Sohn, auch. Ich stotterte mit trockener Kehle, ich
komme sofort zu euch, wenn Maxim wach wird. Sie fragte zwar, muss er nicht zur Schule?
Erwartete aber nicht ernstlich eine Antwort von mir. Wer weiß…, dachte ich,
sprach meine Befürchtungen aber nicht aus. Ich konnte nicht klar denken. Es
fiel mir schwer zu atmen. Mein Opa Paul meinte 1986 mit einer mir unverständlichen
Seelenruhe zur Thematik der SED Diktatur, Diktaturen kommen und gehen, die Kunst
aber bleibt bestehen- ein Zitat Majakowkis. Und Jürgen vertraute mir im August 1989
bei einer Besuchsreise an, Kerstin, es dauert nicht mehr lange. Ich wusste
genau was er meinte, antwortete aber nicht. Ich verbat mir jeden Gedanken. Jede
Hoffnung. Ich hielt den Atem an. Der Atem hielt mich an. Wir sollten uns für
lange Zeit das letzte Mal in Ostberlin getroffen haben…
Am nächsten
Morgen frühstückte ich mit Maxim und wiederholte fortwährend, Maxim, wir können
Ditte, Jürgen und Janosch besuchen. Wir können Janosch besuchen. Komm, Maxim.
Wir schwammen
in einem warmen Menschenstrom zum nächstgelegenen Grenzübergang. Noch gab es Menschen,
die sich einen Stempel in ihren DDR Reisepass oder Ausweis drucken ließen. Mein
Blick in die Gesichter der Männer in Uniform, flüsterte mir zu, es ist vorbei,
Kerstin, geh einfach weiter… Du brauchst
keinen Stempel. DIESER Golfstrom bleibt so bald nicht wieder stehen! Die Soldaten
und Polizisten wussten nicht, was sie tun sollten. Ich drehte mich um und sah
die Mauer. Ich sah, wie mehr Menschen auf ihr standen als verträglich gewesen
wäre. Wen juckte das an diesem Tag. Gab es Knochenbrüche? Ich hörte nichts
dergleichen. Auch viele „Uniformen“ gesellten sich unters Volk, spürten die
Ausnahmesituation. Spürten, dass das Wort der Vorgesetzten nicht mehr galt.
Nicht jeder traute sich, eigene Entscheidungen zu treffen. Die ersten Hämmer
waren zu hören, die der Mauer zu Pelze rückten, oh, Pardon, zu „Beton(e). Ich
nahm mein Kind auf den Arm und sagte, Maxim, sieh genau hin. Sieh dir alles
genau an. Meine Anspannung floh von mir wie die Seele aus einem toten Körper und ich
schrie. Ich schrie und jauchzte. Maxim
mit mir. Überall hörte ich nur ein Wort.Wahnsinn.
Ich weiß
nicht, wer an diesem Tag zu Hause blieb, zur Schule ging, zur Arbeit… Wenige
wohl. Ich hatte meine Stelle als Pharmazie Ingenieurin in der Amalien -Apotheke
gekündigt. Es war so trostlos und unendlich bedrückend, jeden Morgen in die
Apotheke zu kommen und zu sehen, dass wieder einer/eine Kollege(in) fehlte… Ich wollte diese unerträgliche
Spannung im Land nicht mehr fühlen müssen, die meine Brust zu sprengen drohte. Ich
hatte kein Verlangen, den Dienstplan allein mit meinem Chef zu gestalten. Ich kündigte
bereits im Sommer 1989 und war somit, wahrscheinlich die erste Arbeitslose der DDR…
Maxim und
ich blieben 3 Tage in Berlin Charlottenburg bei Ditte, Jürgen und Janosch, unserer
Verwandtschaft, dann kehrten wir nach Berlin Friedrichshain zurück.
Ein
weiterer Meilenstein in meinem Leben, war die Demonstration am 4.11.89 auf dem
Alexanderplatz. Eine halbe Million Menschen. Die Hubschrauber der westlichen
Fernsehstationen kreisten über dem Platz. Niemand schoss auf sie. Ich beschloss, Maxim nicht zur Schule zu
schicken und fuhr mit ihm zum Alex.
Wir spürten
beide den frischen Wind, die strahlende Sonne, die freie Luft…Eine
unbeschreibliche Aufbruchsstimmung schien ganz Berlin in Bewegung versetzt zu
haben. Ich roch die ungeheure Energie
der Massen, spürte ihren Zusammenhalt. Wir staunten über die kreativen Spruchbänder, die manche Menschen
hoch in die Luft hielten, für die sie, unten anderen Umständen nach Bautzen gewandert wären,
mindestens. „Fortschritt ist Rückschritt“, „Wir sind keine Fans von Egon Krenz“
oder, Egon Krenz, der Gehasste, als Wolf aus dem Märchen Rotkäppchen
verkleidet, mit riesigen Zähnen, solche, die er selber im Maul hatte und dem
Spruch darunter, „Großmutter, warum hast du so große Zähne“? Ich musste
schallend lachen als ich dieses Plakat sah. Ich konnte mich kaum wieder
beruhigen. Ich erklärte Maxim, was er nicht verstand. Ich erzählte ihm, wer die
Menschen waren, die auf der provisorischen Bühne standen und Reden hielten. Ich
entdeckte Schauspieler vom Deutschen Theater mit Banderolen um ihre Rümpfe, auf
denen stand, keine Gewalt. Keine Gewalt.
Ulrich Mühe. Jan Josef Liefers. Schriftsteller. Christa Wolf. Christoph Hein.
Stefan Heim. Keine Gewalt. Es gab keine Gewalt. Die Stimmung war…war ein einzigartiger befreiender, ja, betörender Duft.
Ich war
mittendrin in einer Revolution und mit mir mein Sohn.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.07.2009.
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