Franz Erni

Die Geschichte des Lernes

Eines Tages als das Göttliche durch den Himmel spazierte, entdeckte es einen Engel, der nachdenklich auf die Erde schaute. Das Göttliche fragte den Engel: "Was siehst Du denn da?" Der Engel antwortete: "Ich hab' beobachtet, dass die Menschen spezielle Häuser bauen, sie nennen diese Häuser Schulen. Da schicken sie ihre Kinder hin, damit diese etwas lernen."

Darauf antwortete das Göttliche: "Damit die Menschen etwas lernen, habe ich ihnen doch die Fehler und das Spielen geschenkt." "Das ist ja gerade das Problem" entgegnete der Engel "Wer in der Schule Fehler macht, der wird mit schlechten Noten bestraft. Und das Spielen wird den Kindern dort nur in den Pausen erlaubt."

Mit etwas nachdenklicher Stimme sagte das Göttliche: "Mein Engel, bist Du Dir da sicher". Der Engel antwortete: "Ja, ich bin mir sicher. Aber es kommt noch schlimmer. Es gibt Kinder, die fürchten sich sogar vor der Schule." Ganz erstaunt schaute das Göttliche den Engel an und sagte: "Ich kann kaum glauben, was Du da sagst - Angst war doch noch nie ein guter Lehrer."

Mit etwas Traurigkeit in der Stimme antwortete der Engel: "Die Kinder fürchten sich vor allem vor den schlechten Noten." Das Göttliche griff sich an den Kopf und sagte leicht entrüstet: "Typisch Mensch - seit er die Zahlen und das Geld erfunden hat, scheint er den Sinn für das Wesentliche verloren zu haben."

Das Göttliche wurde immer nachdenklicher und er wanderte hin und her, runzelte die Stirn – und plötzlich sagte er: "Ich hab's" – es murmelte noch etwas vor sich hin und zeichnete dann die Form eines Herzen in den Sand und drückte seinen Zeigefinger mitten in das symbolische Herz."

Ganz erstaunt fragte der Engel: "Was machst Du denn da?" Das Göttliche ant­wortete: "Komm schau selber! Ich sende die Neugierde in die Herzen der Kinder."

Und wirklich der Engel konnte beobachten, wie die Kinder, die vorhin noch ganz aufmerksam dem Lehrer zugehört hatten, plötzlich den Lehrer geradezu mit Fragen bombardierten. Zuerst war der Lehrer noch be­geistert vom neuen Interesse der Kinder. Doch schon nach kurzer Zeit konnte er die vielen Fragen der Kinder nicht mehr beantworten.

So schickte er die Kinder zum Spielen in die Pause. Und die Kinder be­gannen auf dem Pausenplatz ganz neue Spiele zu kreieren und immer wieder hörte der Lehrer die Kinder sagen: "Das ist doch, wie ... - Lass uns das mal so probieren..."

Nur der kleine Fritz liess sich von diesem Treiben scheinbar nicht an­stecken. Er hatte sich unter einen Kirschbaum gelegt und schien darunter zu schlafen. Seine Augen waren zwar geschlossen, doch sein Mund stand weit offen.

Der Lehrer gesellte sich zu Fritz und fragte ihn: "Willst Du denn nicht lernen, so wie die anderen Kinder?" "Doch, doch" ant­wortete Fritz: "Zuerst habe ich intensiv die Sonne beobachtet, wie sie die Kirschen reifen lässt und nach meinen Berechnungen sollte mir demnächst eine Kirsche in meinen Mund fallen."

Als das Göttliche die Worte von Fritz hörte, begann es herzhaft zu lachen. Und das Göttliche Gelächter schüttelte den Kirschbaum derart, dass sich eine Kirsche löste und direkt in den Mund des Knaben fiel.

Der Lehrer staunte nicht schlecht, mit weit geöffnetem Mund stand er da, als wollte er die nächste reife Kirsche erhaschen. Doch nach einiger Zeit des Staunens stammelte er: "Das kann doch kein Zufall sein?"

Auch der Engel war ganz erstaunt über dem was vorgefallen war und ganz neugierig fragte er: "Kannst Du mir dies erklären? Mit einem Lächeln auf den Lippen sagte das Göttliche: "Weisst Du lieber Engel, meine Wunder und die Phantasie der Kinder soll vorerst mein Geheimnis bleiben, aber es freut mich, wenn ich Deine Neugierde geweckt habe." 

(Herbst 2000)

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