Klaus Mattes

Media Blog 2.4 Hannelore Schlaffer


 

Frau Schlaffer in Stuttgart hatte ich vergessen. Viel bekannter ist doch ihr Ehemann gewesen. Als Paar haben sie vor Jahren etliche Taschenbücher mit deutschen Klassikern bei Goldmann besorgt. Nachworte, Worterklärungen, Anthologien. Bertelsmanns - respektive Mohns - Erben haben das längst gestrichen.

Sie schrieb dann auch ihre Essays für Magazine wie „Merkur“ oder die Kulturprogramme der staatlich geförderten Radios. Das erreichte mich aber nicht mehr.

Hannelore Schlaffer hat mich gefesselt, als ich noch kleiner Student in Freiburg war. Thematisch tat sie sich vorzugsweise im weiteren Reiche des Genius Goethe um, der mich ja nie in seinen Bann schlug. Auch die Romantik und so. Dann aber kam eine „Übung“ (oder was es war), wobei der Name Schlaffer mir noch nichts sagte, als das R reibende Fränkin stellte die kohlschwarz gefärbte Löwenmähnendame sich heraus, über „Kulturgeschichtsschreibung“.

Von Anfang an war ich verwundert allein schon wegen dem Anblick. Sie war eine Frauensperson, die gewaltiges Gewicht auf ihre äußere Erscheinung legte. Unter dem germanistischen Lehrpersonal, zu dem naturgemäß auch eine gehörige Damenmannschaft gehörte, war sie auffällig. Sie fiel fast schreiend auf. Sie mag sich in der ersten Hälfte ihrer Vierziger befunden haben. Also du dachtest, sie betont in einem Maß ihre Schönheit, die nicht mehr ganz den veränderten Gegebenheiten entspricht. Ein seltsam verschrobener Individualstil, den ich einer Person aus den Bereichen Theater oder Kunst zugeordnet hätte, nicht dem Buchbereich. Ringe, schwere goldene Ketten, Schals, Sonnenbrillen!

Man war also auf eine tückische Egozentrikerin gefasst. Doch in dem kleinen Kreis mir durchweg unbekannter Studentinnen und Studenten war sie kameradschaftlich und unverkrampft. Von den klassischen Dichtern erzählte sie in einem Plauderton, als wäre sie eine hilfsbereite Deutschlehrerin, nicht als würde erwartet, dass wir jungen Germanisten es natürlich alles schon kannten. Man fühlte sich wohl. Ich wusste nicht, dass sie von Haus aus nicht zu den Unis gehörte, sondern erst einmal mehrere Jahre Deutsch am Gymnasium unterrichtet hatte. Man konnte nicht gleich jeden googeln, damals. Im folgenden Semester belegte ich noch mal was bei Hannelore Schlaffer, der außerordentlichen Privatdozentin.

Ihr Mann Heinz, das war damals der richtige Professor. Der aber war an der Universität Stuttgart und sie wohnten dort auch, sodass sie jede Woche einmal nach Freiburg gefahren kam, auch nicht der nächste Weg, vor allem, wenn man ihn mit der Bundesbahn bewältigen muss. Damals bestritt sie vehement den Charakter der schwäbischen Landeshauptstadt als kulturelle Provinz, den ich mittlerweile öfters doch wieder bestätigt fand. „Diese Stadt hat den Ruf weg, kleinkariert und langweilig zu sein. Dabei gibt es dort alles und man findet die gebildetsten und weltoffensten Menschen.“ Ich hoffe, sie dachte nicht an Sibylle Lewitscharoff in Degerloch, als deren große Schwester sie äußerlich ja hätte durchgehen können.

In jener Veranstaltung „Kulturgeschichtsschreibung“ ging es um eine Sachbuchgattung die damals ziemlich angesagt war. Dinge wie „Pesthauch und Blütenduft - Die Geschichte des Geruchs“ von Corbin (oder so). Patrick Süskind hat das ausgiebig geplündert fürs „Parfum“. „Der Käse und die Würmer - Geschichte eines Dorfes im ausgehenden Mittelalter“. Diese doch eher französische Alltagsgeschichtsschreibung stellte sich uns bei ihr mit dem deutschen Ableger Wolfgang Schivelbusch vor. Es gab Bücher über die Eisenbahnreise und die Straßenbeleuchtung und das Panorama als Massenmedium im europäischen 19. Jahrhundert. Das Paris Charles Baudelaires war die Hauptstadt des europäischen Jahrhunderts gewesen.

Frau Schlaffer hob darauf ab, diese Art Geschichtsanalyse wäre im Grunde nicht mal neu. Eher eine Nachgeburt der 1968-er Jahre. Die politisch eher wenig erreicht, kulturell aber den Anschluss an die verschüttete Vor-Nazi-Zeit geschafft hätten. Unverkennbar, dass Frau Schlaffer nie eine Achtundsechzigerin gewesen war.

Die Frankfurter Schule und der Name des Märtyrers, der für alle steht: Walter Benjamin. Die Achtundsechziger hätten ihn uns zurückgeholt. Wie ihm nacheifernd die Kulturgeschichtsschreiber habe Walter Benjamin, vor allem in seinem „Passagen-Werk“, herausarbeiten wollen, dass sich mit Hilfe von Meditationen über Oberflächenphänomene wie Einkaufspassagen und Straßenlaternen der gesamte „innere Gehalt“ einer Epoche bestimmen lasse. Seine Lesepräferenzen hatten den Berliner Juden ins Paris des Zweiten Kaiserreichs geworfen. Er verliebte sich in die großzügigen Haussmann-Boulevards, denen man ganze Viertel geopfert hatte, die schönen Passagen, wo man gepflegt Zeitungen lesen und Milles-feuilles essen konnte. Die Boulevards halfen der Geheimpolizei des Neffen Napoleons, rührige Bürger zu überwachen und im Falle einer öffentlichen Emeute vom Militär erschießen zu lassen. Die Pariser Passagen konstituierten eine gesellschaftliche Öffentlichkeit der Nation, was später dann Fernsehen und Newsgruppen übernehmen sollten.

Schlaffer schien diese linken Autoren (Walter Benjamin, Georg Lukács) studiert zu haben, selber aber durchaus nicht links zu sein. Sie referierte distanziert respektvoll. So legte sie Wert darauf, dass zwar die Benjamin-Verehrung der Achtundsechziger diese Denkschule zurückgewonnen hatte, Benjamin aber auch schon großen Lehrmeistern gefolgt war. Um die Jahrhundertwende habe es, nun wieder in Frankreich, jenen beliebten Philosophen, der auch Proust, ach, jetzt fällt mir sein Name partout nicht ein, er, der Erfinder des „Elan vital“, Henri Bergson („Schöpferische Entwicklung“), ach ja, mein Gott, in Deutschland gleich noch den Georg Simmel gegeben, diesen jüdischen Professor in Heidelberg („Philosophie des Geldes“), bzw. Straßburg, nach Heidelberg passte er damals nicht, von wegen jüdisch. Beider Namen seien in der Folge dem deutschen Vaterland mehr oder weniger abhanden gekommen und müssten erst noch richtig gewürdigt werden.

Damals im seltsamen Betrieb der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg schien mir Frau Hannelore Schlaffer eine erfrischend andere Art der Didaktik darzustellen. Von blitzendem Intellekt, nicht so hochgestochen abgehoben wie manche ihrer Kollegen. Unübersehbar war der flamboyante Mode- und Stilwillen, der sich in großen floralen Mustern, Riemchenschuhen, viel Schminke und riesigen Ohrgehängen artikulierte. Manchmal kam sie einem schon schlampenhaft vor, jedenfalls als ein sichtlich sexuell aktives weibliches Leibwesen.

Ich behielt sie in Erinnerung als eine Person, auf deren Hirn durchweg Verlass war. Allerdings habe ich sie im Verlauf der Jahre das eine oder andere dann noch mal im Radio sprechen hören und dachte mir so: „Sie ist schon auch eine germanistische Wolkenkuckuckspalaverin.“

Dies waren aber nur zufällige Eindrücke. Ich kann mir kein Urteil anmaßen.


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.08.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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