Burckhardt Fischer

Ein Gelage

Da meine Eltern erst spät ein Haus gebaut hatten und ältere Brüder auswärts studierten, wie auch aus weiteren Gründen war das Geld stets knapp. Mehr als das.

Die schulischen Geldsammlungen für die Brüder und Schwestern im Osten und zu ähnlichen Gelegenheiten waren gefürchtete, unausweichliche Tiefpunkte in meinem Dasein, der ich doch schon die abgelegten Klamotten der älteren Geschwister aufzutragen gehalten war und daher aus dem Rahmen fiel in meiner Klasse. Kein leichtes Los für ein Kind, das nonchalant zu überspielen nicht immer gelang.

Die Eltern legten großen Wert auf ein gemeinsames Mittagsmahl, des Zusammenhalts, des geistigen Austauschs wegen. Auch dies war nicht einfach, da meine Mutter als Lehrerin arbeitete und stets in Eile in der Küche hierfür zaubern mußte, während Vater seinen Dienst unterbrach und heran radelte – stets zu spät, und häufig dann mit aufgewärmten Speisen verköstigt, oder lau. Im neuen Hause, dem lichten, war dann auch dies alles neu und leichter. Sofern nicht schulische Katastrophen mich drückten.

 

Eines Tages ward Mutter beschwingt.

Sie hatte einen Brief vorgefunden in der morgendlichen Post, der eine Steuerrückzahlung verhieß, eine für uns ungeheure Summe und entgegen den Gewohnheiten - Hunderte, dazu diverse Pfennige, die alsbaldige Auszahlung ward avisiert. Mutter erging sich bei Tische in Überlegungen, was als erstes zu beschaffen sei: für mich endlich die Windjacke, die dringend benötigte, für sie selbst ein Kleid, der große Bruder brauchte Schuhe. Vater löffelte die Suppe, tief gebeugt.

Es klingelte. Das Essen ward unterbrochen, eintrat Herr H., freundlich, jovial, mit seinem Sohne, der mental in schwieriger Lage, doch freundlich war und kräftig, und er brachte Kiste um Kasten, Karton auf Karton. H., der meinen Vater schwer beeindruckte mit seinem untrüglichen Griff nach der jeweils richtigen Flasche für jedwede Gelegenheit, jeglichen Gast mit seinem besonderen Geschmacke: H. kredenzte immer den richtigen Ton, die richtige Beratung, eben den richtigen Wein. Meine Aufgabe war dann, die Flaschen zu kühlen im Waschbecken, unter dem laufenden Hahn, da wir einen Kühlschrank noch nicht hatten. Es fanden sich da – mit Vater und H - zwei Gourmets, Connaisseurs, beide in schwierigen Verhältnissen und auch von daher einander zugetan in der Not.

Mit jedem Gang des jungen H. geriet meiner Mutter die Miene zunehmend versteinert, dieweil mein Vater mit rotem Kopf, bemüht parlierte mit dem Alten, jovial wie immer – ein Lebemann, ein Grandseigneur. H. übergab die Rechnung, in der Summe nahe heranreichend an die erwartete Auszahlung – übrig würde bleiben ein Nichts. Die Tür wurde geschlossen und Schweigen legte sich in den Raum.

Mein Vater wechselte die Farbe. Der Brief sei schon morgens da gewesen und er habe gedacht....

Meine Mutter, sonst eher strenge, brach in ein schallendes Gelächter aus und beschied: wenn es denn nun schon einmal da ist, dann muß auch gefeiert werden! Mein Bruder war behilflich mit dem Entkorken des Sektes, ich brachte die Gläser, und es wurde einer der lustigsten, der befreitesten Tage in meinem Leben – mein Vater wird wohl zu spät gekommen sein zu seinem Dienste.

Ich aber habe zum ersten Male mittun dürfen mit einem Schluck, probehalber.

 

Nicht lange darauf starb H. Was aus dem debilen Sohn geworden wissen wir nicht.

Das Geschäft aber wurde verkauft und in einem der Keller eine Diskothek eingebaut: das „Montparnasse“, das uns zum Lebensmittelpunkt wurde mit unseren feuchten Jünglingsträumen, einen jeden Tag nach der Schule der Treffpunkt, die vergebene Hoffnung, dröhnender Beat. Im Hinterzimmer hielt der Schwarm aller Schülerinnen, ein lockiger, schlaksiger Schauspieler* des nahen Staatstheaters Hof mit einer Carrera-Bahn, aber wir waren nicht zugelassen, der schmalen Barschaft wegen. Unsere Angehimmelten schon.

 

Bei einer Recherche zu einem völlig anderen Bild bin ich über die Postkarte gestolpert von Hoyers Weinlokal, Oldenburg 1909 an Frl. Toni Wilms.

Die hat bei uns um die Ecke gewohnt, noch immer, nun alt und gebrechlich, aber stets freundlich und zugewandt.

 

* Alexander Grill (30. Juni 1938 in Graz; † 22. Mai 2009 in Wien) war ein österreichischer Schauspieler.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.09.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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