Brigitte Waldner

Man kann das Schreiben auch verlernen,

wenn man äußerst selten schreibt;
die Hände werden ungeschickt;
man kann die Wörter nicht mehr schreiben,
es fehlt an Tempo und Gefühl,
man schreibt ganz andere Buchstaben,
als was man wirklich schreiben will.
In Übung muss man also bleiben,
die Feinmotorik der Hände zu trainieren.

Als ich mit Fremdsprachenkursen
im Internet vor zwei Jahren begann,
war schon ein falscher Buchstabe am Papier,
sowie ich den Kugelschreiber ansetzte,
dass ich viel radieren musste,
besonders bei kyrillischen Buchstaben.
Ich schrieb zuerst mit radierbarer Tinte,
und meine Schrift war ungeschmeidig.

Nach zwei Jahren täglich ein paar Seiten
zu üben, ist sie schöner geworden
und ich muss viel weniger oft radieren.
Ist die Feinmotorik der Hände gut trainiert,
wenn jemand beruflich sehr feine Aktivitäten
oder feine Handarbeiten als Hobby hat,
wie sticken, nähen, stricken, häkeln,
dann wirkt sich das positiv auf das Schriftbild aus.

Bei Handwerkern, die wenig schreiben
und eher grobe Tätigkeiten verrichten,
sind Hände für Feines etwas ungelenk,
so sieht das Schriftbild eher wild aus.
Die Ärzte schreiben selten in ganzen Sätzen,
ich erinnere mich an unlesbare Arztrezepte.
Das handschriftliche Schreiben verlernt man auch,
wenn man häufig auf einer Tastatur schreibt.

Ein anderes Muskelspiel erfordern Fremdsprachen,
beim Tippen auf der Tastatur im Zehn-Finger-System,
weil es ganz andere Buchstabenkombinationen gibt,
wo die Reihenfolge für die Finger ungewohnt ist.
Bis die Muskeln der Hände darauf eintrainiert sind,
um flüssig mit Tempo schreiben zu können, hakt es.
Darum sind Schreiben und Tippen eine Art Sport für Finger,
und eine kreative bis intelligente Tätigkeit.

Würde jeder Taste einer Tastatur ein Ton zugeordnet sein,
könnte man beim Schreiben sogar Musik machen.
Auf diese Idee ist noch kein Erfinder gekommen.
Durch das Schreiben kann man viel lernen,
und sich den Lehrstoff besser einprägen,
insbesondere, wenn man laut mitspricht.
Ein einmaliges Aufschreiben genügt aber nicht,
man muss denselben Block öfters hintereinander schreiben.

Die Schulkinder und Schuljugend brauchen lauter Förderstunden
in mehreren Fächern, nicht, weil sie nicht in der Lage sind,
im Unterricht aufzupassen und selbständig daheim zu lernen,
oder das Lehrpersonal versagt, verständlich zu erklären,
sondern, weil sie zu wenig schriftlich üben.
Schreiben, schreiben, schreiben, ist das halbe Lernen.
Auch Mathematik ist ein Lernfach, wo das geht.
Meine Oma hat mich das Einmaleins dutzende Male schreiben lassen.

[Ich erinnere mich an eine kleine Episode,
wo ich einer 19-Jährigen Mathe beibringen sollte,
und zu ihr sagte: „Du kannst das kleine Einmaleins nicht.“
Ich empfahl ihr, es bis morgen anzuschauen.
Sie antwortete weinend: „Das kann ich ja wohl.“
Ich sagte daraufhin: „Na, dann sag es mir bitte gleich auf.“
Ich erwartete, dass sie so beginnt: 2, 4, 6, … 3, 6, 9 … 4, 8, 12 … und so weiter.
Aber sie antwortete wütend: „Einmal eins ist eins. Das kann ja wohl jeder.“

Am nächsten Tag bat ich sie, mir nachzusprechen,
2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18, 20; 3, 6, 9, 12, 15, 18, 21… usw.
Sie konnte es nicht und wusste nicht, was diese Zahlen bedeuten.
Ich reklamierte, dass sie das Einmaleins nicht angeschaut habe.
Sie sagte, sie habe es angeschaut. Ich fragte, wie?
"Einfach so mit den Augen fünf Minuten auf die Tafel geschaut
und die Zahlen angestarrt - und auf ein Wunder gehofft?
Zeig mir, wo du es im Heft geübt hast?"
Als Nächstes kam dann: „Du hast ja nur gesagt, ich soll es mir anschauen.“]

Die meiste Ausrede war: „Ja, wenn ich immer alles vergesse.“
Gegen das Vergessen hilft das ständige schriftliche Wiederholen.
Meine Oma verlangte, dass ich das kleine Einmaleins
von der Einmaleins-Tafel so schnell wie möglich, herunterlese.
und zwar nur die Ergebnisse,
und dann sagte sie, so schnell muss es auch auswendig gehen,
und sie hat auf die Uhr geschaut, wie lange ich brauchte
von 1 x 2 bis 10 x 12; sie ließ mich die Ergebnisse viele Male schreiben.

Würden laute Kinder weniger schreien und mehr schreiben,
vermieden sie, sich die Blöße des Sitzenbleibens zu geben,
und sie könnten sich den nervenden Förderunterricht ersparen,
der ja nichts anderes ist als eine Animation zum Lernen.
Ich erinnere mich an Mutters Worte, als sie abends von der Arbeit heimkam:
„Was das Kind viel zu schreiben hat für die Schule.“
Beim Elternsprechtag hat sie mit anderen Müttern darüber geredet.
Diese sagten, ihre Kinder hätten nicht auffällig viel zu schreiben.

Ich habe freiwillig ganze Hefte vollgeschrieben, und meiner Mutter erklärt,
dass die anderen Kinder auch NICHT lauter Einser im Zeugnis haben.
Vom bloßen einmal Hinschauen auf Wörter oder Rechnungen,
hätte ich nicht sehr gute Leistungen abrufen können.
Ich habe mir Lehrstoff selber schriftlich erarbeitet und eingedrillt,
und den Drill habe ich bei Oma und im Ballett gelernt,
dass man jede Übung achtmal macht und das täglich wiederholt,
bis sie perfekt und mit Tempo wiedergegeben werden kann.

Es ist ein Unterschied, ob ein Schulkind am Nachmittag
im Garten herumtollt und abnorm herumjault,
bis es ausgepowert und zum Lernen zu müde ist,
oder ob es sich den Lehrstoff halblaut eindrillt
und sich beim Lernen auspowert, damit es Leistung bringt.
Nicht, dass ich das für ideal halte, aber ein herzeigbares Zeugnis verlangt es,
und man kann damit etwaige Schwächen unterlaufen.
Dafür ist schriftliches Üben ein erfolgreiches Mittel.

© Brigitte Waldner

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.10.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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