Lena Kelm

Der Schepper

Seit seiner Umsiedlung nach Deutschland vor drei Jahren besuche ich zum ersten Mal meinen Cousin Assaf in Baden-Württemberg. Wir verstehen uns sehr gut, mental wie auch sprachlich, denn ich bin von der Wiege aus zweisprachig aufgewachsen. Die Ehefrau Adelheid meines Cousins stammt aus dem Ruhrgebiet. Ihr Deutsch klingt etwas anders, aber gut verständlich, sogar vertraut. Deutsche in Kasachstan in vierter und fünfter Generation sprachen gemischte Dialekte mit einigen Russifizierungen.

Adelheid ist gerade beim Mittagessenzubereiten. Gebückt sucht sie etwas im Küchenunterschrank. „Wo ist der Schepper?“ – stellt sie sich eher selbst die Frage. Ich kenne das als Hausfrau. Man findet das nötige Utensil nicht, gerade dann, wenn man es eilig hat. Ärgerlich. Mich macht der Begriff Schepper stutzig. Ich muss nachfragen: „Was ist ein Schepper, Adelheid?“ – „Na, so ein Topf mit Henkel.“ Mich trifft es wie ein Blitz. Schepper, so nannten auch meine Eltern einen Topf mit Henkel, den wir zum Wasserschöpfen aus Eimern und Fässern benutzten, die an der Pumpe gefüllt wurden. Meine Eltern übernahmen den Begriff von den sogenannten Wolgadeutschen, die im Ort in der Mehrzahl wohnten. Meine Mutter sprach Hochdeutsch, Vater einen ostpreußisch gefärbten Dialekt. Wir waren die einzige Familie, die keinen bayrischen oder schwäbischen Dialekt sprach. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass dieser Begriff aus dem Ruhrgebiet bzw. aus der alten rheinländischen Sprache kommt. Viele russische Worte wurden in die Dialekte Russlanddeutscher übernommen. Der Begriff Schepper, zum Schöpfen geeignet, hielt sich über Jahrhunderte.

Erst während des Besuchs meiner Verwandtschaft offenbarte sich, welchem Irrtum ich in meiner Vorstellung von Dialekten erlegen war. Ich fand, dass Dialekte der Wolgadeutschen kein „richtiges“ Deutsch waren, dabei entsprachen sie, abgesehen von einer geringen Russifizierung, den urtümlichen Wurzeln der deutschen Sprache. Ausgerechnet der kleine Schepper offenbarte mir, wie falsch ich lag.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Lena Kelm).
Der Beitrag wurde von Lena Kelm auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.06.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Lena Kelm als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Augenblicksbetrachtungen von Andreas Reunnes



29 Geschichten in wenigen Zeilen zusammenzufassen, ist schlicht unmöglich. Keine Geschichte ist wie die andere, jede hat ihre eigenen Motive, Spannungsbögen und Handlungsstränge. Dieses breite Spektrum verschiedenster Themen macht auch den besonderen Reiz der vorliegenden Sammlung aus.

Um sich selbst ein Urteil zu bilden, klicken Sie einfach auf das Buchcover und sie gelangen zu einer Leseprobe – oder gehen Sie gleich auf die Homepage:
www. Augenblicksbetrachtungen.de

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Autobiografisches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Lena Kelm

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Phänomenale Zukunft von Lena Kelm (Gesellschaftskritisches)
Endstation Fruitvale von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)
Flaumis Entscheidung von Helga Edelsfeld (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen